Im Wellenbad bewältigen wir unser Trauma

von Noah Pilloud 17. März 2022

Das Ostfest heisst jetzt «Wellenbad der Gefühle» und findet im Ka-We-De statt. Nach fast drei Jahren kommen Berner Nischen-Sound-Liebhaber*innen endlich wieder auf ihre Kosten. Einige Eindrücke vom ersten Abend.

Es wird wieder gefeiert, gewippt und kopfgenickt – das Ostfest ist zurück, für alle Soundnärr*innen und Klangfetischist*innen, wenn auch nicht ganz so fest im Osten. Denn wo im Sommer 2019 noch die letzte Ausgabe des Ostfests stattfinden konnte, steht heute ein einfallsloser Wohnklotz, das alte Tramdepot im Burgernziel und das Punto sind Geschichte. Deshalb laden die Macher*innen vom Ostfest nun unter dem Motto «Wellenbad der Gefühle» vier Tage ins Ka-We-De-Beizli.

Zwischen Kunsteisbahn und Wellenbad steh ich also an einem Mittwoch Mitte März da, noch ein bisschen winterliche Schwermut drinnen, schon ein bisschen laue Frühlingsnacht draussen auf dem Balkon. Nach den zwei Jahren abgesagter, verschobener, dann doch, aber reduziert, durchgeführter Kulturanlässe, verspricht das «Wellenbad der Gefühle» nichts weniger als musikalische Traumabewältigung in vier Schritten.

Ab 19 Uhr fand sich diese Trauma-Selbsthilfegruppe langsam im umfunktionierten Badibeizli ein, in dem das Ton- und Licht-Equipment fremd wirkt und damit (obwohl viel professioneller) ein wenig für Schuldisco-Flair sorgt. Die Stimmung weist dagegen eher auf ein Klassentreffen hin: Man kennt sich, ist froh, wieder einmal alle zusammen zu kommen.

Leichte Herzen, freie Köpfe

Bevor das erste Konzert beginnt, macht es sich das Publikum rauchend und diskutierend auf dem Balkon gemütlich oder steht für Getränke und Frittiertes an. «Fühlt sich an wie im Sommer, wenn wir hier in der Badi sind», kommentiert ein Freund die lange Schlange entlang der Chromtheke.

Journal B unterstützen

Unabhängiger Journalismus kostet. Deshalb brauchen wir dich. Werde jetzt Mitglied oder spende.

So verstreicht die Zeit und plötzlich ist Viertel vor neun, der Raum abgedunkelt und von rotleuchtendem Nebel gefüllt. Der Klang eines Synthesizer wabert einer Orgel gleich sachte und verheissungsvoll durch den Raum und lockt das Publikum vor die Bühne. Dann setzt ein Drumloop ein, mit einer dieser Snares, die so richtig schön «inebrätscht», dazu eine einfache, repetitive Gutelaunemelodie auf der Gitarre. «Juicy Bee & Baby Gun» eröffnen das Wellenbad der Gefühle.

Die Kollaboration zweier Musiker*innen aus Biel und Lausanne beweist mit ihrem Protopunk-Synth-Pop, dass es manchmal nicht viel braucht, um die Herzen leichter und die Köpfe sorgenfrei zu machen. Ein Drumloop, eine Gitarre, wahlweise eine zweite oder ein Keyboard dazu. Richtig tanzbar ist das zwar nicht, doch zum Tanzen ist eh niemand da. Das Publikum lauscht lieber, lässt sich treiben, wippt und hüpft ganz leicht.

Allein zum Mond, zusammen zurück

Dann wird allmählich auch der Magen leicht. Zeit, vor der Küche anzustehen. Die Fritteuse läuft im Durchlauferhitzermodus, denn es gibt Pommes, Fried Chicken- und Fried Tofu-Sandwiches. Als ich Letzteres in der Durchreiche entgegennehme, setzt «Fai Baba» ein. Vielleicht liegt es an diesem Abend, an dem alles zusammenzupassen scheint, denn zum crispy, fettigen und vollmundigen Sandwich (big up Küchencrew an dieser Stelle!) wirkt in jenem Moment der volle schwermütige Sound der Zürcher Band wie die einzig logische Kombination.

Dann, der Fried Tofu ist mittlerweile Geschichte, wird die Musik langsamer. Das Publikum schwankt nur noch und verliert sich in den bluesigen Riffs. Das ist schön, doch führen diese Träumereien etwas zu weit weg von diesem Ort und dem gemeinsamen hedonistischen Erlebnis. Zum Glück kommt kurz vor Elf wieder Tempo auf, schnelle Gitarrensoli und Echopedale geben nun den Ton an. Wieder im Hier und Jetzt, wieder gemeinsam. Punkt Elf ist Schluss.

Mit diesem Abend ist den Veranstalter*innen etwas Besseres als Verdrängung gelungen: Vergessen.

Die restlichen eineinhalb Stunden untermalt – wie zuvor auch schon die Umbauphasen – der «Helly Hansen Rowing Club» vom DJ-Pult aus. Nie zu dezent, als dass man den Sound ausblenden würde, nie zu aufdringlich, sodass man die Gespräche unterbrechen müsste.

Verdrängung soll laut den Veranstalter*innen der erste Schritt der Traumabewältigung sein. Mit diesem Abend ist ihnen aber etwas Besseres gelungen: Vergessen. Nicht das Vergessen der Vorsicht, die nach wie vor geboten ist, aber das der kollektiven Psychose, die uns die letzten zwei Jahre befallen hatte.

 

Ostfest x Ka-We-De läuft bis am Samstag, 19. März, Tickets gibt es noch für Freitag und Samstag.