«Wenn man auf Jugendliche zugehen möchte, ist es wichtig, dass man ihnen mit Respekt begegnet und ihnen zu verstehen gibt, dass man an sie und ihre Fähigkeiten glaubt. Im Vertrauen Jugendlichen gegenüber liegt eine grosse Kraft. Es ist wie ein Angebot an sie. Wenn man ihnen dann Raum gibt, in dem sie sich ausdrücken können, nehmen die Jugendlichen das Angebot der Zusammenarbeit gerne an. Jugendliche stecken irgendwo zwischen Kindsein und Erwachsenendasein. Sie können in einem Moment fokussiert mitarbeiten und aus einem inneren Vertrauen schöpfen und im nächsten Moment unkonzentriert und unsicher erscheinen. Teenager haben aber einen natürlichen Zugang zu Musikalität. Das hängt vielleicht mit der noch vorhandenen Spielfähigkeit aus der Kindheit zusammen. Und diese Zurückhaltung, wie sie in unserer Gesellschaft als Wert geschätzt wird, und die der Musikalität oft im Wege steht, haben sie noch nicht gänzlich übernommen.
«Das ‹Sorgenkind› der Klasse hatte ganz viel in der Stimme.»
Claire Huguenin, Musikerin
Deshalb haben sie eine grosse Lust, zu geben und sich mitzuteilen. Man muss nicht gross fragen oder bitten, sondern zuhören. Die Realklasse aus Münchenbuchsee war besonders talentiert. Und dies, obwohl manche der Schülerinnen und Schüler im Schulalltag als besonders schwierig gelten und immer wieder für Probleme sorgen. Gerade ein ‹Sorgenkind› der Klasse hatte ganz viel in der Stimme und sich gerne musikalisch ausgedrückt. Wo er sich der Schule oft negativ äussert und sich weigert, mitzumachen, konnte er seine kreative Energie im musikalischen Unterricht sehr erforlgreich zum Einsatz bringen.»
«Die Schülerinnen und Schüler waren sehr talentiert»
«Die Realklasse mit Schülerinnen und Schülern, die kaum Zugang zu ästhetischen Werten haben, wie sie im Bereich der Kunst anzutreffen sind, waren nicht nur sehr aufnahmebereit für neue Klänge und Ideen sondern sogar sehr talentiert. Sie haben unheimlich schnell gelernt, eine neutrale Haltung gegenüber der neuartigen Musik aber auch ihren Mitschülerinnen und Mitschülern gegenüber einzunehmen. Die Emotionalität ist nur ein Parameter der Musikwahrnehmung unter vielen. Man kann Musik auch intellektuell betrachten, Neues analytisch wahrnehmen und sich nicht von den Emotionen bestimmen zu lassen oder das Gehörte sogleich bewerten. Dies haben die Kinder gelernt. Innert kürzester Zeit waren sie fähig, abstrakte, avantgardische Klänge zu hören, ihre Abwehrreaktionen, das Lachen und Runterspielen, zu überwinden und das Gehörte anschliessend zu diskutieren.»
«Diese Musik kann auch richtig sein»
«Die Kinder habel viel Mut bewiesen, als sie auf der Suche nach wahnwitzigen Klängen, jeder einzeln vor der ganzen Klasse mit ihrem Stimmapparat improvisierten. Ein sehr selbstbewusst auftretender Junge mit einem Gespür dafür, wie die Dinge in der Regel richtig gemacht werden sollen, hatte anfänglich grosse Mühe zu glauben, dass diese experimentelle Form von Musik auch richtig und seriös sein kann.
«Teenager haben einen natürlichen Zugang zu Musikalität.»
Claire Huguenin, Musikerin
Als er sein eigenes Geräusch vormachen sollte, wurde er immer nervöser. Er dachte, er hätte keinen coolen Klang gefunden und die Beiträge der anderen seien viel besser. Diese waren hauptsächlich geräuschvolle Zisch-, Plopp- und andere konsonantische Laute, die ohne Einsatz von den Stimmbändern produziert wurden. Sein Stimmgeräusch war hingegen ein sehr stimmhafter und deshalb besonders mutiger Klang. Nachdem ich ihm dies erklärt hatte, konnte er überzeugt vor die Klasse treten und seinen Klang beitragen – so selbstbewusst, wie er sonst auch ist. In diesem Stimmimprovisationen kamen Improvisationsschlaufen von sehr hoher Qualität zustande.»
«Künstlerisch interessant und emotional berührend»
«Ich habe schon einige Erfahrung im Unterrichten gesammelt. Ich war aber immer die Expertin, und die Schülerinnen und Schüler haben von mir Mathe und Französisch gelernt. Ich habe also keine Mühe damit, vor einer Klasse zu stehen und eine Autoritätsfigur zu sein. Die Erfahrung als Musikvermittlerin war aber eine andere. Hier musste ich zwar ebenfalls präsent sein und die Struktur vorgeben. Ich bestimmte aber nicht die gesamte Zeit wie eine Alleinunterhalterin sondern formte eher ein Gerüst, in dem Kreativität entstehen und wahrgenommen werden kann. Und was dort passierte, war für mich dann nicht mehr als Lehrerin sondern vor allem als Künstlerin interessant. Das Projekt war für mich fast wie ein Spielzeug, das ich steuern und mit ihm verschiedene Klänge ausprobieren konnte. Gleichzeitig war die Mitarbeit am Projekt auch emotional bereichernd. Ich war berührt, zu sehen, wie sich die Jugendlichen öffnen und Vertrauen in ihre Fähigkeiten, aber auch in die Fähigkeiten ihres Gegenübers, gewinnen. Sie haben gesehen, wie man Differenzen untereinander distanziert betrachten kann, und zu sagen ‹ok, so bist du, ich muss dich nicht direkt als gut oder schlecht verurteilen, sondern kann dich auch einfach so wahrnehmen.›»