Im Verborgenen schlummert eine Zauberwelt

von Noah Pilloud 25. August 2023

Bern to be Wild Berns Natur hat mehr zu bieten als die Aare und grüne Parks. Beim Klösterlistutz etwa versteckt sich eine Tropfsteinhöhle. Mit einer überraschenden Entstehungsgeschichte.

Eine Met­alltür, ziemlich unscheinbar in der Steinmauer eingelassen, verschliesst das Tor zu einer anderen Welt. Viele Berner*innen sind bestimmt schon daran vorbeigelaufen, ohne zu wissen, was sich dahinter verbirgt. Das verwundert nicht, denn der Öffentlichkeit ist diese Tür meist verschlossen. Doch auf Anfrage öffnet das Tiefbauamt der Stadt Bern gerne das Tor zu einem ganz besonderen Naturphänomen, das aufzeigt wie unberechenbar die Natur sein kann – gerade wenn der Mensch glaubt, alles genau kalkuliert zu haben.

So steht Alain Fallegger, stellvertretender Leiter des Kanalnetzbetriebs beim Tiefbauamt der Stadt Bern, wenige Tage nach der Anfrage von Journal B Redaktion auf dem Klösterlistutz-Parkplatz, um uns das sonderbare Phänomen der Berner Tropfsteinhöhle zu zeigen. Die Metalltür führt in einen Vorraum, in dem von weiter unten leises Plätschern zu hören ist. Es ist der Murifeld-Aare-Kanal, ein Entlastungskanal im Abwassersystem der Stadt Bern, der rund hundert Meter entfernt in den Fluss mündet.

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Noch versperrt ein Gittertor den Weg zur eigentlichen Attraktion. Linker Hand klärt eine Infotafel aber bereits über die Geschichte dieser sonderbaren Tropfsteinhöhle auf. Diese nimmt ihren Anfang im Frühling 1944, mitten im Zweiten Weltkrieg.

Während 35 Jahren verschlossen

Damit wichtige Kulturgüter im Kriegsfall bombensicher gelagert werden könnten, suchte die Stadt Bern damals nach geeigneten Standorten für Schutzräume. So bewilligte der Gemeinderat am 2. März 1944 einen Kredit von 23’000 Franken für einen Sondierstollen im Hang unter dem Rosengarten.

Damit sollten Machbarkeit und geologische Gegebenheiten geprüft werden. Ein Jahr und 48’434 Franken später war jedoch klar: Aus dem Schutzraum wird nichts. Zu viel Wasser drang durch den Felsen, sodass nicht einmal der Sondierstollen selbst als Lagerraum in Frage kam. Also wurde der Eingang auf Antrag des städtischen Baudirektors hin verschlossen.

Die Berner Tropfsteinhöhle scheint etwas ganz Besonderes zu sein.

Erst im Jahr 1980, während der Bauarbeiten zum Murifeld-Aare-Kanal, öffneten Mitarbeitende des Tiefbauamts der Stadt Bern wieder das Tor zum Stollen und erblickten als Erste, was sich dort all die Jahre über im Verborgenen entwickelt hatte: ein Mikrokosmos aus zauberhaften Kalkstrukturen an Decke, Wand und Boden.

Vom Firmenanlass bis zum Videodreh

Alain Fallegger öffnet das Gitter und schreitet langsam dem schmalen Gang entlang. Als hätte sich der Wachs hunderter Kerzen jahrzehntelang über die Wände ergossen, bedeckt eine weisse, unebene Schicht den Sandstein. «Normalerweise entstehen Tropfsteinhöhlen über Jahrmillionen», sagt Fallegger, «doch hier scheinen rund 30 Jahre gereicht zu haben.»

Dann geht er in die Knie und hebt etwas Kleines, Rundes auf. «Diese Kügelchen, die hier den gesamten Boden bedecken, hielt ich anfangs für Kies», erzählt Fallegger. Doch der Bodenbelag wurde nicht etwa eigens im Stollen ausgestreut, er entwickelte sich mit dem Rest der Höhle. Es handelt sich dabei um Höhlenperlen, einem in dieser Menge relativ seltenen Phänomen. Höhlenperlen entstehen durch den Kalk, der sich in kleinen Wasserlachen um einzelne Sandkörner bildet. Das Tropfwasser dreht die Perlen stetig und führt so zu gleichmässigen Kalkablagerungen.

Die Berner Tropfsteinhöhle scheint also etwas ganz Besonderes zu sein. Dann erweckte sie doch bestimmt das Interesse von Geolog*innen? «Nein, die Wissenschaft scheint sich bisher nicht für die Höhle zu interessieren», meint Alain Fallegger. Bei Führungen und an vergangenen Museumsnächten stiess die Tropfsteinhöhle aber bisher auf reges Interesse.

Eine Zeit lang bot die Stadt den Stollen zudem als Lokal für Firmenanlässe und Hochzeitsapéros an. «Wegen der schlechten Belüftung und des Risikos für Schäden haben wir aber damit aufgehört», sagt Fallegger. Einmal habe er das Tor sogar für den Dreh eines Musikvideos geöffnet. «Das war aber ein unbekannter Künstler», kommt er der Nachfrage sogleich zuvor.

Dann richtet sich unser Blick auf das Ende des Stollens. Über einem kleinen See wölbt sich der Sandstein zu einer Art Kuppel, die Kalkformationen ergiessen sich von der Decke über die Wände.

Mit der gewölbeartigen Form und dem stimmungsvoll eingesetzten Licht wirkt dieser Teil des Stollens fast wie eine Kapelle. Zugleich wirken die Formen an der Wand schaurig geisterhaft. Ein sakral anmutender und zugleich gespenstischer Anblick. «Einfach ein Bijou», sagt Alain Fallegger.