Im Garten der Lüste

von Susanne Leuenberger 21. Oktober 2025

Tanz Das diesjährige Festival Tanz in Bern verspricht 17 Tage «Pleasure for all». Aktuelles internationales Tanzschaffen gibt sich in der Dampfzentrale hemmungslos und politisch dem Körper hin.

Die Tänzer*innen bewegen sich nackt über die Bühne, sie rasen, zucken und verbiegen sich, schwitzen, kriechen, lecken, formen Knäuel. Sie performen bis zum Exzess, bis die Erschöpfung, bis der Überdruss einsetzt. «Exposure» heisst das Stück der international tätigen Zürcher Künstlerin, Tänzerin und Choreografin Alexandra Bachzetsis, das sie gemeinsam mit der renommierten Cullberg Compagnie aus Schweden ans Tanz in Bern bringt. Das Thema des diesjährigen Festivals, das aktuelles Tanzschaffen in der Dampfzentrale zeigt: «Pleasure for all». Es gibt viel Lust, Vergnügen, Spass, Sex, Genuss, Schönheit – und Körper.

Die Performance «Song of the Wayfarer» von Claire Cunningham wird ebenfalls am Tanzfestival zu sehen sein und beschäftigt sich mit der Frage, was es bedeutet Höhen zu erklimmen. (Foto: Sven Hagolani)

Trends, Kinks und «Politics of Anxiety»

Auch in «Exposure» geht es um Sexualität. Und um die Macht, die Kultur und Politik auf die Pläsiere ausüben – und mit ihnen. Bachzetsis interessiert sich als Künstlerin für die Mikropraktiken sozialer und politischer Macht, die visuelle Medien über Körper haben, indem sie bis in ihre intimsten Wünsche einwirken. «Wir konsumieren Pornografie, legen Profile auf Instagram, Tinder und Grindr an. Unser Verlangen formt und orientiert sich an der medialen Dauerpräsenz und Verfügbarkeit der Körper.» Und an den Praktiken, Trends, Kinks und den schier endlos verfügbaren Arten der Identifizierung an Orientierungen, mit denen Sexualität getagt wird, so Bachzetsis: «Es gibt diesen Kult der Bilder, dem wir uns mit unseren Profilen hingeben.» Die 80-minütige Performance führt die Hypervisualität der Medien und ihre Stimulation der Lüste vor Augen.

Unser Verlangen formt und orientiert sich an der medialen Dauerpräsenz und Verfügbarkeit der Körper.

Für Bachzetsis wartet hinter dieser exzessiven Arbeit und der Suche nach dem sexuellen Profil eine grosse existenzielle Unsicherheit. Sie spricht von einer «politics of anxiety», in der sich die Körper ganz eigentlich nicht mehr spüren.

Katharsis und Weiterleben

Bei «Exposure» sind es nun reale Körper, die sich durch ihre Nacktheit aussetzen. Und finden sie einen Ausweg aus der Macht der Bilder? Irgendwann setze auf der Bühne ein Zustand ein, in dem die einzelnen Körper wieder zu sich selbst kommen und sich im Kollektiv finden, so Bachzetsis. Eine befreiende Katharsis verspricht die Künstlerin mit Wurzeln in Griechenland dann also doch.

Auch sonst ist am Tanz in Bern mit einigem «Pleasure for all» zu rechnen. Seinem Motto gerecht wird die 17-tägige Feier des aktuellen Tanzschaffens schon mal damit, dass das Festival mit der immer wieder gerngesehenen Sharon Eyal Dance-Crew eröffnet. «Delay the Sadness» heisst ihre 50-minütige versöhnliche Performance, die das Abschiednehmen von einer geliebten Mutter umkreist und ins Versprechen des körperlichen Weiterbestehens und Weitertragens der Liebe mündet.

Aus der Performance Delay the Sadness. (Foto: Vitali Akimov)

Hemmungslos und hoffnungsvoll

«Guilty Pleasures!» nennt sich die Anti-Fashion-Show in slow Tempo der Berner Künstlerin Ernestyna Orlowska – mit schamfreiem und ungehemmtem Schlemmen während der subversiven Modeschau.

Ein Tableau Vivant wie aus dem Bosch’schen Garten der Lüste bringt Stef van Looverens neuestes Spektakel «Radical Hope. Eye to Eye» nach Bern. Auch Van Louveren ist kein neuer Name in der Dampfzentrale. Die*der multimediale Künstler*in aus Antwerpen besuchte das Expop-Festival zu Beginn des Jahres mit dem alchimistischen BDSM-Solo «Confessions». Am Tanz in Bern kreiert they mit acht weiteren Performer*innen eine Spielweise aus Sinnlichkeit und Schlamm, in der Geschlechter und Körpergrenzen transzendieren. Mit dieser «Radical Hope» geht das Festival zu Ende.

Dieses Interview erschien zuerst bei der Berner Kulturagenda.