Zwischen Strasse und Bahngleisen stehen kubistische Strassenlaternen Wache. Ihre rote Farbe ist über die Jahre im Dunst der Abgase ausgeblichen und gleicht dem der Mohnblüten am Rand der Bahnlinie. Standhaft wachen sie über den Verkehr, der über die Bernstrasse in Zollikofen donnert. Lastwagen, Motorräder und Autos befinden sich hier auf der Zielgeraden ins Stadtzentrum. Niemand schaut links oder rechts, niemand hält an, niemand steigt aus. An der Strasse reihen sich Hausblöcke und Garagen an Chalets in der Art grösserer Schrebergartendomizile. Als sie hier gebaut wurden, befand sich Unterzollikofen wohl noch auf dem Land. Erst in den 1950er Jahren hat der Bauboom die Strasse erreicht – und nicht lange angehalten.
Ich steige vom Rad und schaue mich um. Ausser mir ist kein Mensch zu sehen. Der Strassenstaub kitzelt mir in der Nase. Ich muss niesen. Auf dem Vordach eines Hauseingangs schlägt ein gelber Flipperkasten seine Zeit tot. Darunter verkündet ein weisser Schriftzug auf dem blauen Tor: «Ihr Partner für Musik- und Spielautomaten». Ich fühle mich wie in einer jurassischen Kleinstadt, an der die Zeit vorbeigezogen ist und nicht Halt gemacht hat. Geblieben sind die Autowerkstätten – und eine Schaufensterpuppe, die im rauen jurassischen Wind Elektrorad fährt. Geblieben ist der Bürgersteig, den niemand benutzt und die fremdländischen Namen auf den Klingelschildern.
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Geblieben sind einige kleine Wäldchen, die in mit Erde gefüllten Badewannen und Schuttcontainern wachsen. Das knallgelbe Haus, vor dem sie stehen, wirkt als eines der wenigen an der Strasse bewohnt und belebt. Ein Bestattungsinstitut in der linken Haushälfte verspricht «Pietät und Würde». Um die Mauerecke gleich daneben zieht das dunkle Graffiti eines chinesischen Drachens eine Grimasse und zwinkert mir zu. In der Hand hält der Drache eine Kristallkugel – unter ihm wurde ein einziges Wort an die Mauer gesprayt: Doubt. Zweifelhaft auch die Nachbarn: «Uniformenfabrik H. Luginbühl» steht über dem Eingang des nächsten Gebäudes. Zwei weisse Satellitenschüsseln balancieren über dem roten Schild. Der schmutzige, spitalgrün gestrichene Block zeigt stramm Haltung. Enge, rechteckige Fenster beäugen die Strasse mit Missfallen. Einige Jalousien sind geschlossen, andere Fenster von innen mit Vorhängen blickdicht versiegelt.
Hastig gehe ich weiter, schnell weg von den misstrauischen Augen. Hin zu mannshohen Kakteen, von denen die Farbe abblättert. Früher, so stelle ich mir vor, konnten hier im Cowboy Club die einsamen Wölfe des Quartiers ihren Schlummertrunk finden. Auf der Bühne im schummrigen Licht eine paillettenbekleidete Tänzerin, die es nicht in die Stripclubs der Stadt geschafft hat. Heute tanzen im «El Dorado» nur noch wilde Erdbeeren in den Spalten der verfallenen Holzveranda. Zerbrochene Flaschen liegen zwischen Brennnesseln und maroden Tischen. Die Treppe hinunter zum Salon ist überwuchert und wird von mehreren roten Ameisenvölkern heiss umkämpft. Die Zeit des wilden Nordens ist vorbei. Vielleicht gab es sie nie.