Im Einsatz für die Biodiversität

von Nicolas Eggen 16. Oktober 2023

Bern to be Wild Seit sieben Jahren werden in Bern verstärkt die öffentlichen Grünflächen von invasiven Neophyten befreit. Zivildienstleistende, Asylsuchende, 180 Pat*innen und etliche Freiwillige sind in Bern im Einsatz.

Mit Leuchtwesten und Handhackern ausgerüstet, macht sich eine Gruppe von Freiwilligen neben der kleinen Pumptrack bei der Tramstation Gäbelbach an die Arbeit. Heute werden hier vor allem das «Einjährige Berufskraut» und die «Goldrute» bekämpft. «Beim Berufskraut bildet jede Pflanze bis zu 50‘000 Flugsamen und diese bleiben im Boden bis zu fünf Jahren keimfähig» erklärt Rosmarie Kiener, Leiterin der Koordinationsstelle Neophytenbekämpfung und Freiwilligenarbeit der Stadt Bern.

Sie führt durch den heutigen Einsatz und fügt an, dass die Pflanzen mitsamt Wurzeln ausgerissen werden müssen, da sie sonst wieder nachwachsen. «Das Hauptproblem bei den invasiven Neophyten ist die Verdrängung, also das dadurch die einheimischen Pflanzen verdrängt werden und somit die Biodiversität zurückgeht. Würden wir hier nichts unternehmen, wäre diese Fläche in ein paar Jahren mit invasiven Neophyten zugewachsen» erläutert Kiener weiter.

Die Einsätze finden mehrmals pro Woche an verschiedenen Orten in der Stadt statt

Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) definiert invasive Neophyten folgendermassen:  «Als gebietsfremde Arten werden Arten bezeichnet, die absichtlich oder unabsichtlich vom Menschen ausserhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets eingebracht wurden. Invasive gebietsfremde Arten können einheimische Arten verdrängen, zu Gesundheitsproblemen beim Menschen und zu ökonomischen Verlusten führen.» Sie tragen weltweit zum Rückgang der biologischen Vielfalt bei und sind gemäss IUCN weltweit einer der fünf wichtigsten Gründe für den Artenrückgang.

Koordinationsstelle Neophytenbekämpfung und Freiwilligenarbeit

Das Problem der Neophyten ist also bekannt und kein neues Problem. Seit 2016 gibt es in Bern die Koordinationsstelle Neophytenbekämpfung und Freiwilligenarbeit, die ein wichtiges Standbein der Neophytenstrategie der Stadt Bern darstellt. Sie dient als Anlaufstelle für Fragen zu Neophyten, stellt Informationsmaterial zur Verfügung, führt Weiterbildungen durch und koordiniert die verschiedenen Einsätze zur Bekämpfung der invasiven Neophyten. In Bern sind Asylsuchende, Zivildienstleistende und 180 Freiwillige, die sich als Pat*innen für neophytenfreie Flächen engagieren, im Einsatz. Zusätzlich finden Gruppeneinsätze mit Vereinen, Schulklassen oder Firmen statt, die sich für einen freiwilligen Einsatz melden.

Rosmarie Kiener, Leiterin der Koordinationsstelle Neophytenbekämpfung und Freiwilligenarbeit der Stadt Bern (Foto: Nicolas Eggen).

«Die Einsätze finden mehrmals pro Woche an verschiedenen Orten in der Stadt statt», so Kiener weiter. Die Freiwilligen werden praktisch und mittels Merkblättern zu den problematischen Arten geschult, dies um auch Verwechslungen mit einheimischen Pflanzen zu vermeiden. Diese Merkblätter und weiteres Informationsmaterial werden von Stadtgrün Bern oder von Info Flora, dem nationalen Daten- und Informationszentrum für die Flora der Schweiz, zur Verfügung gestellt.

Kiener instruiert die Freiwilligen (Foto: Nicolas Eggen).

Auf der Webseite von Info Flora sind die aktualisierten Listen der invasiven Neophyten der Schweiz zu finden und auch das öffentlich einsehbare Neophyten-Feldbuch, welches einen guten Überblick über die Verbreitung aller invasiven Arten in der Schweiz gibt und auch zeigt, wo bekämpft wird. Die Zusammenarbeit mit Info Flora sei wichtig für den Wissensaustausch und um auf dem Laufenden zu bleiben, sagt Kiener. Wenn möglich werden auch die potenziell invasiven Pflanzen, die zu einem Problem werden könnten, bekämpft. Denn: «Je länger man mit der Bekämpfung wartet, desto grösser wird der Aufwand, der betrieben werden muss, um eine Art wieder in den Griff zu bekommen», erklärt Kiener weiter.

Die Patenschaft ist der einfachste und beste Weg, um den längerfristigen Erfolg auf einer Fläche zu garantieren

Laut Kiener haben das Bundesamt für Strassen (ASTRA) und die BLS ein grosses Problem mit invasiven Neophyten, da diese zum Teil auch ihre Infrastruktur beschädigen. Deshalb unterstützen die Zivildienstleistenden der Koordinationsstelle nun regelmässig die BLS und das ASTRA bei der Bekämpfung von Neophyten entlang ihrer Geleise und Strassen.

Heute werden hier vor allem das «Einjährige Berufskraut» und die «Goldrute» bekämpft (Foto: Nicolas Eggen).

Patenschaften und Sensibilisierung

Seit einiger Zeit wird aber auch auf Patenschaften mit Privatpersonen gesetzt: Einzelpersonen oder Gruppen übernehmen die Verantwortung für eine bestimmte Fläche in der Stadt Bern und kontrollieren regelmässig, ob auf der Fläche invasive Neophyten vorkommen und entfernen diese fachgerecht. «Dies ist der einfachste und beste Weg, um den längerfristigen Erfolg auf einer Fläche zu garantieren», meint Kiener zu den Patenschaften.

«Die Erfolge zeigen, dass sich unser Einsatz lohnt, auch wenn es nach Aussen wie Sisyphusarbeit aussehen mag. An viele Flächen in der Stadt kommen wir leider gar nicht heran, z. B. private Gärten, Flachdächer etc.», so Kiener selbstkritisch. Die Sensibilisierung der Bevölkerung zum Thema Neophyten sei deshalb umso wichtiger. In diesem Jahr wurden eine Plakatkampagne und wie jedes Jahr verschiedene Standaktionen in der Stadt Bern durchgeführt, beispielsweise am Wildpflanzen-Markt und an den Nachhaltigkeitstagen in Bern.

Plakat im Monbijoupärkli (Foto: Nicolas Eggen).
Plakat im Monbijoupärkli (Foto: Nicolas Eggen).

An solchen Aktionen sei Kiener auch mit kritischen Reaktionen konfrontiert worden: «Einmal wurde über eines unserer Plakate geschrieben: Pflanzenrassismus! Dabei geht es ja genau nicht darum. In der Schweiz gibt es 750 Neophytenarten, aber nur 88 davon sind als invasive oder potenziell invasive Neophyten eingestuft. Invasive Neophyten sind ein globales Problem. Pflanzen die bei uns einheimisch sind, können an einem anderen Ort zum Problem werden und umgekehrt. Wir wollen mit der Neophytenbekämpfung die Vielfalt der einheimischen Arten schützen und insgesamt die Biodiversität fördern. Dies zeigt, dass bei der Sensibilisierungsarbeit sicherlich noch Luft nach oben besteht», fügt Kiener augenzwinkernd hinzu.

Das Ziel der Bekämpfung sei es nicht, eine invasive Art ganz auszurotten, dies sei utopisch und jetzt schon nicht mehr möglich, so Kiener weiter. Vielmehr sei das Ziel, die einheimischen Pflanzen zu schützen, bis sich das Ökosystem an die invasiven Neophyten angepasst hat, beispielsweise indem Insekten merken, dass sie auch invasiven Neophyten fressen können und sich somit ein neues Gleichgewicht einstellen kann.

Jetzt gibt es etliche ehemalige Problemflächen, wo durch die jahrelange Arbeit nun wieder eine Vielzahl an verschiedenen einheimischen Pflanzenarten wachsen.

Bei anderen kritischen Stimmen spüre Kiener eine Art Resignation: «Das bringt ja eh alles nichts, jetzt ist es eh schon zu spät!» Dabei zeigen die Ergebnisse der Neophytenbekämpfung der Stadt Bern das Gegenteil. Der Ergebnisbericht Neophytenbekämpfung 2020 von Stadtgrün Bern zeigt, dass sich die gezielte und kontinuierliche Bekämpfung positiv auswirkt. Jedoch seien diese Ergebnisse mit einer gewissen Vorsicht zu geniessen, fügt Kiener an: «Je nach dem an welchem Ort und zu welchem Zeitpunkt die Daten erhoben wurden, beispielsweise ob eine Wiese vor kurzem frisch gemäht wurde oder auch andere Faktoren können die Ergebnisse beeinflussen.»

Auch Kiener hilft mit und steht den Freiwilligen für Fragen zur Verfügung (Foto: Nicolas Eggen).

Sie ist sich aber sicher, dass sich die Bekämpfung positiv auswirkt, denn sie sehe die Ergebnisse tagtäglich in der Stadt. «Früher ging ich durch die Stadt und sah überall Problemflächen, hier sollten wir noch vorbeigehen und hier auch… Jetzt gibt es etliche ehemalige Problemflächen, wo durch die jahrelange Arbeit nun wieder eine Vielzahl an verschiedenen einheimischen Pflanzenarten wachsen. Das zu sehen, freut mich sehr und macht mir Mut, dranzubleiben!“