«Ich wünsche mir, dass meine Stimme gehört wird»

von David Fürst & Lucy Schön 31. Januar 2025

Die ukrainische Journalistin Svitlana Prokopchuk verbindet mit ihren zweisprachigen Texten die Welten, zwischen denen sie lebt. Wir stellen unsere Kolumnistin vor – inklusive Video.

Svitlana Prokopchuk arbeitete in der Ukraine jahrelang als Print- und Fernsehjournalistin. Doch mit der russischen Invasion im Februar 2022 musste sie ihr Land und ihren Beruf hinter sich lassen. Heute lebt sie in Burgdorf und pendelt für ihre Arbeit nach Bern. In ihrer Kolumne «Zwischen zwei Welten» bei Journal B erzählt sie auf Deutsch sowie auf Ukrainisch von ihrem Leben zwischen der Ukraine und der Schweiz, von den Herausforderungen des Neuanfangs und ihren Beobachtungen als Ukrainerin in einem neuen Land.

Wir treffen Svitlana beim Klösterlistutz, wo der Verein Ukraine Schweiz Bern seinen Sitz hat. An diesem Ort begann auch ihre Verbindung zu Journal B: Vor rund einem Jahr besuchte Janine Schneider von der Redaktion den Verein für einen Artikel. Hier unterrichtete Svitlana damals Ukrainische Sprache und Literatur. Aus diesem Treffen entstand die Idee für ihre Kolumne, die sie seither monatlich für uns schreibt. Vor unserem Gespräch blickt Svitlana aus dem Fenster des Vereinsbüros – mittlerweile ist sie hier die Medienkoordinatorin – auf die Aare und die Nydeggbrücke. Sie sagt: «Ich schaue oft hier hinaus und sehe im Sommer Menschen, die gegen den Strom schwimmen – das fühlt sich symbolisch an für mein momentanes Leben.»

Svitlana, wie bist du auf den Titel deiner Kolumne «Zwischen zwei Welten» gekommen?
Ich habe ihn gewählt, weil ich mich oft zwischen zwei Welten fühle – der Ukraine und der Schweiz. In meiner Kolumne vergleiche ich diese beiden Länder, ihre Kulturen und ihre Menschen. Oft stelle ich unterschiedliche Situationen oder Geschichten einander gegenüber, aber mein Hauptanliegen ist es, mehr über die Ukraine zu erzählen. Ich möchte, dass die Menschen sehen, wie schön mein Heimatland ist. Doch das ist nicht immer einfach, denn der Krieg dauert an, und das schmerzt mich sehr. Deshalb widme ich mich manchmal auch schweren Themen, um zu zeigen, was der Krieg für die Menschen bedeutet. Für mich ist es wichtig, die Ukraine verständlich zu machen – ihre Schönheit, aber auch die Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind.

Svitlana im Büro des Verein Ukraine Schweiz Bern, wo sie die Medienkoordination macht und einen Medien-Club für Kinder gegründet hat (Foto: David Fürst)

Wie entscheidest du dich, welche persönlichen Erfahrungen du teilst?
Manchmal weiss ich sofort, worüber ich schreiben möchte. Dann beginne ich morgens direkt im Bett zu schreiben. Manchmal denke ich jedoch wochen- oder sogar monatelang über ein Thema nach, bevor ich es aufgreife. Es gibt Fälle, in denen ich zuerst recherchieren muss, um ein Thema wirklich zu verstehen und angemessen darüber zu schreiben. Einige Themen sind mir besonders wichtig, wie etwa der Genozid in der Ukraine – darüber schreibe ich regelmässig. Ein weiteres Herzensthema ist das Leben von Frauen. Ich beobachte viel in meinem Alltag, und oft kommt eine Idee ganz plötzlich: Ein Gespräch mit jemandem löst ein bestimmtes Gefühl aus, und dann beginne ich zu reflektieren. Ich stelle Vergleiche an und denke: Hey, unsere Mentalitäten sind in dieser Hinsicht ganz unterschiedlich. Das muss ich beschreiben.

Du schreibst seit vergangenem April für uns. Wie hat sich dein Schreibprozess auf Deutsch im Laufe der Zeit verändert?
Manchmal mache ich darüber Witze: Ich schreibe eine Stunde auf Ukrainisch und brauche dann fünf Tage für die Übersetzung. So ist es heute zum Glück nicht mehr – mein Deutsch hat sich verbessert. Aber natürlich bleibt es eine Herausforderung, in einer fremden Sprache zu schreiben. Die Schwierigkeit liegt vor allem in der Grammatik – sie unterscheidet sich so stark von der ukrainischen. Selbst wenn ich direkt übersetze, merke ich oft, dass die Wörter zwar richtig sind, aber der Sinn nicht ganz passt. Dann beginnt der eigentliche Prozess: Ich lese den Text, suche nach alternativen Wörtern, überprüfe Bedeutungen im Internet. Ich bekomme oft Komplimente dafür, dass mein Deutsch immer besser wird. Das freut mich und gibt mir Selbstvertrauen.

Welche sprachlichen Unterschiede fallen dir besonders auf?
Manche Dinge lassen sich nicht wortwörtlich übersetzen, weil sie in einer anderen Sprache ganz anders klingen oder eine andere Bedeutung haben. Besonders bei Redewendungen merke ich grosse Unterschiede. Wenn ich versuche, diese direkt zu übersetzen, kommt manchmal etwas Lustiges oder völlig Unverständliches heraus.

Du hast gesagt, dass du zu jeder Kolumne Feedback bekommst. Wie beeinflusst das dein Schreiben?
Ich nehme jede Rückmeldung ernst. Zum Beispiel habe ich einmal eine Kolumne über das Bildungssystem geschrieben, in der ich das ukrainische und das schweizerische System verglichen habe. Eine ukrainische Frau schrieb mir daraufhin: Es klingt so, als wären wir selbst schuld, dass wir drei Diplome haben, aber trotzdem nicht gut verdienen können. Eine Schweizerin meinte, dass ich das schweizerische Schulsystem idealisiere. Und eine Schweizer Lehrerin schrieb mir, dass früher das System anders war. Nach diesem Feedback habe ich gemerkt, dass das Thema noch mehr Raum braucht – und jetzt überlege ich, eine weitere Kolumne darüber zu schreiben.

Einmal pro Monat erscheint die Kolumne «Zwischen zwei Welten» (Foto: David Fürst).

Gibt es eine Botschaft, die du durch deine Texte den Menschen in der Schweiz und der Ukraine mitgeben möchtest?
Ja, ich möchte, dass mich die Menschen besser verstehen – sowohl in der Schweiz als auch in der Ukraine. Ich habe in meinem Leben viel erlebt, viel analysiert, und diese Reflexionen über mein Land sind mir sehr wichtig. Ich möchte mein Wissen teilen, damit andere verstehen, was wir in der Ukraine durchmachen, was wir erlebt haben und warum bestimmte Dinge für uns so bedeutend sind. Ich wünsche mir, dass meine Stimme gehört wird.

Svitlanas Kolumne «Zwischen zwei Welten» kannst du hier lesen.

Interview + Videoschnitt + Text: Lucy Schön
Video + Fotos: David Fürst