Kabelo Malatsie, Sie befinden sich zur Zeit unseres Gesprächs in Kapstadt, wo Sie bisher lebten. In wenigen Tagen werden Sie die Leitung der Berner Kunsthalle übernehmen. Sind Sie bereit?
Nein! Ich sitze inmitten von tausend Dingen, bin daran, die Reise und den Umzug zu organisieren. Natürlich bin ich auch gespannt auf meine neue Aufgabe in der Kunsthalle, aber gerade komme ich schlicht nicht dazu, mir Gedanken dazu zu machen, was alles auf mich zukommt.
Für Ihre Masterarbeit waren Sie 2016 bereits einige Wochen in der Schweiz. Wie war Ihr Eindruck der hiesigen Kunstszene?
Na ja, ich verbrachte meine Zeit vor allem in Archiven und sah einige kleinere unabhängige Kunsthäuser und Ausstellungsräume von Künstler*innen in Bern, Zürich und Genf. Mir fiel in der doch sehr kurzen Zeit auf, dass mir relativ wenig politisch und gesellschaftlich engagierte Kunst begegnete, zumindest im Vergleich mit Südafrika und Afrika im Allgemeinen, aber ich glaube auch mit anderen europäischen Ländern, Deutschland etwa.
Was meinen Sie, woran liegt das?
Das kann ich noch nicht sagen, dazu bin ich zu wenig vertraut mit der Schweiz und ihrer lokalen Kunstszene, und vielleicht liege ich auch falsch. Aber ich denke, Kunst entsteht ja immer in einem gesellschaftlichen Umfeld und nimmt Bezug darauf. So zumindest verstehe ich ihre Aufgabe und ihren Ort. Was mir sehr positiv auffiel: Kunst kann hier auf eine Menge materieller Möglichkeiten, gut organisierte Institutionen und Infrastruktur zurückgreifen. Das sind Ressourcen, mit denen sich experimentieren lässt.
Sie gelten als Ausstellungsmacherin, die eng mit Künstler*innen zusammenarbeitet. Ist Kuration Gemeinschaftsarbeit?
Diese pauschale Vorstellung einer grossen Kollaboration ist mir zu überstrapaziert. Die Art meines Engagements ist in jedem Projekt immer wieder neu, es kommt ja auch darauf an, ob eine Ausstellung als konventionelle Einzel- oder Gruppenschau angelegt ist oder meine Kurationspraxis im Zentrum steht. In letzterem Fall würde ich es so beschreiben: Mir ist wichtig, dass ich wirklich zu verstehen beginne, was die Kunst und das konzeptionelle Denken einer Künstlerin, mit der ich zusammenarbeite, formt. Ich will begreifen, was der Ausgangspunkt, die Idee ist, die die Künstlerin antreibt.
Dann begleiten Sie Künstler*innen und ihre Arbeit über einen längeren Zeitraum?
Wenn immer möglich, ja. Ich trete mit ihnen in einen Dialog. So kann es etwa sein, dass mir eine Künstlerin erklärt, dass ihr Ausgangspunkt eine Pflanze ist. Von ihr geht sie aus. Und selbst wenn diese Pflanze irgendwann gar nicht mehr in ihrer Arbeit auftaucht, prägt sie ihre Kunst. Verstehen Sie, was ich meine? An diesen Punkt will ich kommen, ich will, dass die Arbeit der Künstler*innen mein eigenes Denken als Kuratorin durchdringt, mich herausfordert und auch meine Art, Kunst zu zeigen, verändert.
Wo wollen Sie mit der Kunsthalle hin?
Die Kunsthalle soll eine Kunstinstitution sein, an der verhandelt und ausgelotet wird, wie wir die Welt sehen, wie wir uns in ihr bewegen, sie bewohnen, sie verkörpern. Wir leben in einer Zeit der multiplen Krisen und Umbrüche, ich will Kunst zeigen, die politisch und gesellschaftlich herausfordert und es ermöglicht, vielfältigere Perspektiven auf die Gegenwart zu erlangen. Die Kunsthalle soll ein Ort sein, an dem Kunst in tiefe Dialoge tritt. Ich halte nicht viel davon, oberflächlich auf mediale Hypes und Trends zu reagieren. Lieber arbeite ich kontinuierlich an Themen.
Woran denken Sie?
Mich interessieren als Direktorin auch die Machtstrukturen des Kunstbetriebs und der Ausstellungspraxis. Ich war zuvor lange Jahre unabhängige Kuratorin und arbeitete für das Visual Arts Network of South Africa VANSA, eine Organisation, die sich mit Arbeitsrechten von Künstler*innen auseinandersetzt. Es gibt eine ganze Reihe von unausgesprochenen Machtverhältnissen, nicht immer sind Arbeitsbeziehungen transparent. Das betrifft alle möglichen Personen in der Crew eines Kunstbetriebs: Da sind die technischen Mitarbeiter*innen, die Künstler*innen, die Kuration. Wie schaffen wir eine Arbeitsatmosphäre, in der Überstunden von Kreativen nicht einfach selbstverständlich sind, während andere Mitglieder des Teams Pausen und Ruhezeiten einlegen können? Wie denken wir über kreative Arbeit in einer Weise nach, die Künstler*innen Respekt entgegenbringt?
Die Kunsthalle ist ja relativ klein. Sind die Strukturen da nicht ohnehin flach?
Das stimmt. Mir geht es mehr darum, allgemein ein Bewusstsein für Machtdynamiken in Kunstinstitutionen zu schaffen und eine bestimmte Kunst- und Arbeitskultur zu pflegen. Ein*e Künstler*in, die in der Kunsthalle ausstellte, nimmt diese Erfahrung auch mit in andere Arbeitskontexte.
Glauben Sie, dass diese Arbeit an Machtstrukturen auch nach aussen sichtbar sein wird?
Ich bin nicht der Meinung, dass alle Arbeit, die in die Entstehung von Kunst einfliesst, in einer Ausstellung sichtbar gemacht werden muss. Vieles, was in diesem Prozess wichtig ist, kann nie gezeigt werden. Es ist vielleicht möglich, etwas von einer Atmosphäre zu transportieren, aber es braucht nicht immer ein Manifest. Kommt hinzu: Wir haben verschiedene Publika in der Kunsthalle. Da sind Künstler*innen, die werden das vielleicht mitbekommen und es wird sie interessieren, weil es sie selber betrifft. Aber da ist auch ein Kunsthalle-Publikum, das nicht selber Teil des Kunstbetriebs ist.
Lassen Sie mich aufs Publikum zu sprechen kommen: Vielen fällt der Zugang zur Sammlung alter Meister eines Kunstmuseums leichter als zu Installationen, Performances oder Videos, wie sie die Kunsthalle zeigt. Sollte zeitgenössische Kunst nicht alle erreichen?
Ich finde nicht, dass zeitgenössische Kunst per se unzugänglich und kompliziert ist. Das ist ein Klischee und zeugt auch von einer herablassenden Haltung gegenüber Menschen ausserhalb des Kunstbetriebs. Weshalb sollten sie Kunst weniger gut verstehen? Die Künstler*innen schöpfen ihre Inspiration ja aus dem Alltag, aus Erfahrungen, die sie mit anderen teilen. Alles, was es braucht, ist die Bereitschaft, sich auf Kunst einzulassen und auch, sich ein Vokabular anzueignen. Aber das ist in jedem Bereich des Lebens so: Musik erfordert ebenfalls ein Vokabular, das gilt etwa für Jazz, aber auch für andere Genres. Und wenn Sie zur Ärztin gehen, brauchen Sie eine Sprache, die artikulieren kann, was Sie körperlich empfinden.
Dennoch: Gerade Medienankündigungen und Begleittexte zu Ausstellungen lesen sich oft ziemlich vertrackt und verschwurbelt. Als Museumsbesucherin und auch als Journalistin stehe ich da öfters an.
Einverstanden, es gibt diese Tendenz, ziemlich unverständlich über Kunst zu schreiben. Da frage ich mich selber auch manchmal, ob das nicht einfacher ginge. Vielleicht müsste man sich davon lösen, dass ein Begleittext die Kunst erklärt, und vielmehr von der Idee ausgehen, dass die Kunst für sich selber wirkt. Ein Begleittext kann eine weitere, möglicherweise auch poetische Ebene eröffnen. Denn im Grunde gibt es tatsächlich das Problem, dass nicht alles, was Kunst leistet, in einen Text übersetzt werden kann, dass die Sprache daran scheitert – denn vieles in der Kunst spricht Eingekörpertes an. Genau das ist ja das, was Kunst kann, das ist es, was visuelle, räumliche und installative Medien können, was zeitgenössische Kunst tut: Sie eröffnet die Möglichkeit, über die Sprache hinauszugehen und andere, neue Erfahrungen zu machen.
Sie sind die erste nicht-europäische Direktorin der Kunsthalle, ohnehin die erste Person of Color, die einer grösseren Schweizer Kunstinstitution vorsteht. Spüren Sie eine gewisse Erwartungshaltung, oder anders gefragt: Beschäftigt Sie das?
Nein, darüber denke ich selbst nicht nach. Es ist etwas, das von aussen an mich herangetragen wird. Aber natürlich bin ich mir bewusst, was es bedeutet.
Die verwendete Abbildung zeigt Kabelo Malatsie und stammt aus einer kontemplativen Arbeit für die Yokohama Triennale 2020 mit dem Titel: «Episodo 02: Scenography for Suspended Time, World of Samosas, Mr King, fish».