«Ich mache keine ‹Frauenkunst›»

von Janine Schneider 27. Oktober 2021

Caroline von Gunten ist diesjährige Preisträgerin des Berner Frauenkunstpreises. Wir haben mit ihr über unbewusste Rollenvorstellungen, Kulturpolitik und die Kunst der Übersetzung gesprochen.

Wann bist du zum ersten Mal mit Kunst in Berührung gekommen?

Caroline von Gunten: Witzig, das ist eine Frage, die oft gestellt wird. Es ist ein bisschen eine Definitionsfrage, was man als Kunst wahrnimmt. Ich komme aus einem sehr kunstfernen Umfeld. Da gab es null Berührung mit Kunst, wir sind nie ins Museum gegangen. In der Schule wurde mir immer gesagt, ich könne nicht gut zeichnen. Auch weil ich zuhause nie gezeichnet habe. Aber ich kann mich erinnern, dass ich schon immer Spass daran hatte, Sachen herauszufinden, Dingen nachzugehen. Das kann man eigentlich auch schon als Interesse an Kunst bezeichnen. Aber ich wusste nicht mal, dass man Kunst studieren kann.

Was du mittlerweile getan hast.

Zuerst habe ich eine Ausbildung im Sozialen gemacht. Mitte zwanzig kam dann doch die Idee, ich könnte etwas «Gestalterisches» machen. Vor dem Begriff «Kunst» hatte ich damals immer noch Respekt. Im Kunstvorkurs für Erwachsene habe ich gemerkt, dass meine grösste Stärke in freien Projekten liegt, was ich mich aber noch nicht so getraut habe. Bis ein Kollege gesagt hat: Wenn du Kunst machen willst, dann mach doch einfach Kunst. Also habe ich mich an der Hochschule in Sierre beworben. Anfangs habe ich mich wie eine Hochstaplerin gefühlt. Ich habe immer gedacht, jetzt kommt dann wer und fragt: Was machst du denn hier?

Hast du während den Hochschulzeiten weibliche Vorbilder gefunden?

Meine Vorbilder haben sich während dieser Zeit sehr verändert. Ich habe jetzt nicht explizit weibliche Vorbilder gesucht, es gab sie aber sicher auch.

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In der Schweiz sind Frauen in der Kunstszene immer noch unterrepräsentiert. Nur ein Viertel der Ausstellungen sind Künstlerinnen gewidmet. Hast du diesen Gender Gap auch an den Hochschulen wahrgenommen?

Ich hoffe, da hat sich nochmals was verändert, seit ich Kunst studiert habe – und das ist noch nicht so lange her. Es passiert unbewusst. An vielen Orten wird Gleichstellung zwar angestrebt und gelebt. Aber unbewusst müssen Frauen immer noch ganz viele gesellschaftliche Vorstellungen mittragen, die sie auch vorher schon mitgetragen haben. Es sind kleine Dinge: Unbewusst erwartet man eher von den Studentinnen, dass sie noch einen Kuchen mitbringen. Manchmal hatte ich auch das Gefühl, Studenten wurden ein bisschen mehr zum Ausstellen gepusht. Da stellt sich die Frage: Ist das so, weil sie sich anders verhalten, oder weil sie stärker gepusht werden? Was mir auch schon passiert ist: Als ich Assistentin war, wurde ich nicht gefragt, ob ich auf eine Studienreise mitkommen möchte. Als ich nachgefragt habe, meinten sie, es wäre für mich mit einem Kind doch sicher schwierig zum Organisieren. Ich habe auch schon von verschiedenen Künstlerinnen gehört, dass sie seltener für Ausstellungen angefragt werden, seit sie Kinder haben. Ich kenne auch ein Paar, bei dem beide Kunst machen und die zusammen ein Kind haben. Zuerst hat er ein Atelierstipendium gekriegt – da hat niemand gefragt, wie sie sich organisieren. Einige Jahre später hat sie dann ebenfalls ein Stipendium bekommen. Da haben alle gesagt: Du Armer, wie macht ihr das denn mit diesem Kind? Diese Vorstellungen sind stark in uns drin.

«Ich habe immer gedacht, jetzt kommt dann wer und fragt: Was machst du denn hier?» (Foto: David Fürst)

 

In der Kunstszene spürst du aber keine Andersbehandlung von männlichen Kollegen?

Ich habe es bei der Materialwahl gemerkt. Für eine meiner Abschlussarbeiten habe ich etwas gestrickt. Das hatte nichts mit mir als Frau zu tun, sondern mit dem Inhalt der Arbeit. Aber die Frage wurde mir automatisch gestellt: Ist das, weil du eine Frau bist? Dieselbe Frage wurde mir gestellt, als ich ein halbes Jahr später etwas aus Holz geschnitzt habe. Und diese Frage muss man wahrscheinlich beantworten. Aber ich habe mich gefragt, ob eine solche Frage auch einem männlichen Künstler gestellt worden wäre. Da wünschte ich mir, dass wir schon weiter wären, dass Geschlecht keine Rolle mehr spielen würde.

Dass man sich nicht immer erklären muss…

Genau. Gleichzeitig finde ich, Gleichstellung muss weiter gedacht werden, es geht nicht nur um Mann und Frau, sondern sie muss für alle gelten. Auch wenn es um sexuelle Ausrichtungen geht zum Beispiel. Und ich denke, es beginnt schon ganz früh. Wir sind alle in diesen Denkfallen drin.

Man würde einen Preis nie «Männerkunstpreis» nennen.

Welche Form der Förderung von Frauen könnte daran etwas ändern? Welche Form der Frauenförderung braucht es in der Kunstszene überhaupt noch?

Nehmen wir den Berner Frauenkunstpreis: Ich finde es toll, dass ich ihn gewonnen habe und er hilft extrem, indem er dir mehr Luft und Freiheit für deine Kunst verschafft. Ich würde mir aber wünschen – und das meine ich im Guten – dass er nicht «Frauenkunstpreis» heisst. Ich mache keine «Frauenkunst». Man würde einen Preis nie «Männerkunstpreis» nennen. Das hat natürlich einen geschichtlichen Hintergrund und kommt aus einem sehr guten Ansatz heraus. Aber man könnte sich überlegen, den Preis zum Beispiel in «Künstlerinnenstipendium» umzubenennen Die Frage ist ja, braucht es ihn noch? Ich glaube: Ja, es braucht ihn noch. Und wünschenswert wäre es, dass es ihn nicht mehr braucht, oder in einer anderen Form. Es ist eine ähnliche Diskussion wie die über die Frauenquote. Es gibt gewisse Dinge wie Lohngleichheit, die gesetzlich festgehalten werden müssen. Aber es gibt Kritik daran, dass Frauen eben gerade durch eine solche spezifische Förderung geschwächt würden, indem man sie beschützt und behauptet, sie bräuchten das, weil sie zu wenig durchsetzungsfähig wären.

Indem man ihnen wieder eine Rolle zuschreibt, statt ihre künstlerische Arbeit ins Zentrum zu stellen.

Ich möchte in erster Linie Künstlerin sein. Meine Arbeit soll gleichwertig wahrgenommen werden. Ich möchte nicht einen Preis gewinnen, weil ich eine Frau bin, sondern weil ich gute Arbeit mache. Aber es ist auch ein Fakt, dass Frauen untervertreten sind und es solche Preise noch braucht.

Neben deiner künstlerischen Arbeit leistest du auch viel kuratorische Arbeit. Wie nimmst du die Gleichstellung von Frauen im kuratorischen Bereich wahr? Bräuchte es da eine Frauenquote? Oder zeigen die vielen Beispiele von erfolgreichen Kuratorinnen, auch an grossen Häusern wie der Tate Gallery und dem Louvre…

…und der Kunsthalle Basel, der Kunsthalle Bern. Das sind alles Frauen…

….dass da nicht derselbe Gender Gap besteht?

Ich bin vor allem in der Off-Szene kuratorisch aktiv. Dort gibt es sehr viele Frauen, die kuratieren. Es wäre interessant, der Frage nachzugehen, ob es zuerst mehr Kuratorinnen oder zuerst mehr Künstlerinnen gegeben hat. Da kenne ich mich geschichtlich zu wenig aus.

Wieviel Kunst will sich eine Gesellschaft schlussendlich leisten?

Wo zieht es dich zurzeit stärker hin – zur Kunst oder zur kuratorischen Arbeit?

Ich trenne das nicht. Ich würde mich auch nicht als klassische Kuratorin bezeichnen, die thematische Ausstellungen zusammenstellt. Stattdessen schaffe ich Diskursplattformen und Vernetzungsgefässe. In der Galerie 3000 laden wir Leute ein, die uns interessieren oder über deren Arbeit wir mehr wissen wollen. Das heisst nicht, dass es nicht auch Projekte gibt, die ich gerne kuratieren würde. Zum Beispiel ein Projekt mit einem Fischerboot auf dem Thunersee, das interessante Fragen aufwerfen würde: Findet Kunst statt, wenn sie niemand sieht? Was sind überhaupt die Rahmenbedingungen für Kunst? Das sind Fragen, die sich in ebenso der Kulturpolitik stellen: Welche Förderung begünstigt welche Kunst? Und wieviel Kunst will sich eine Gesellschaft leisten? Ich kenne praktisch niemanden, der von der Kunst leben kann. Aber mit Kunst, Brotjob und Familie wird es ziemlich eng. Die Stadt Bern hat neuerdings, sehr vorbildlich, eine Atelierstipendium in Belgrad ausgeschrieben, das auch für Künstler*innen mit Familie geeignet ist. Das gibt es sonst noch überhaupt nicht. Als hätten Künstler*innen keine Kinder.

Eine familientaugliche Residence, wie sie Bern ausgeschrieben hat, ist in diesem Sinne ja auch eine Form der Frauenförderung. So werden Strukturen geschaffen, die es Frauen ebenso ermöglichen, eine künstlerische Karriere zu verfolgen.

Deshalb finde ich das Angebot sehr wichtig. Auch hier geht es schlussendlich darum, welche Freiheiten für welche Kunst nötig sind? Meiner Meinung nach braucht es eine finanzielle Absicherung, es braucht – nicht nur für Kunst, für Kultur im Allgemeinen, auch für Care-Arbeit – das bedingungslose Grundeinkommen. Das ist mir ein grosses Anliegen. Künstler*innen leben am Existenzminimum. Das ist einerseits eine bewusste Wahl. Andererseits müssen wir uns als Gesellschaft überlegen, wieviel uns Kunst wert ist. Und Kunst hat sich der Mensch zu allen Zeiten geleistet. Sie ist Teil unserer Identität.

caroline von gunten
«Man soll durchaus auch einen professionellen Anspruch an die Kunst haben» (Foto: David Fürst).

Ist die Stadt Bern kulturpolitisch auf einem guten Weg?

Ich finde es super, dass sich die Stadt immer wieder dem Gespräch stellt. Und dass sie auch Offspace-Förderung betreibt. Aber es ist ein Tropfen auf den heissen Stein. Ich glaube, es gibt keine gerechte Förderung. Es wird immer Leute geben, die kein Geld kriegen und andere schon. Und ich finde auch nicht, dass alles gefördert werden muss. Man soll durchaus einen professionellen Anspruch an die Kunst haben. Es braucht einfach eine Förderung, die möglichst viel ermöglicht, ohne dass jemand von oben bestimmt, was inhaltlich möglich ist.

Irgendwann mal war ja auch Van Gogh skandalös.

Diese Diskussion hängt auch damit zusammen, wie wichtig der Bevölkerung Kunst ist. Und da gibt es durchaus die Kritik an der Kunst, sie sei letztlich elitär und schaffe es nicht, die Bevölkerung abzuholen.

Ich verstehe diesen Vorwurf. Es gibt natürlich eine Schwellenangst. Aber irgendwann war ja auch Van Gogh skandalös. Es geht darum, dass man diese Grenzen immer wieder ausweitet, auslotet. Kunst ist im besten Fall ein Dialog oder ein Spiegel der Gesellschaft. Sie setzt sich mit verschiedenen Welten und gesellschaftsrelevanten Themen auseinander. Und dann geht es nicht darum, immer dieselben Dinge zu fördern, ob die jetzt gut sind oder nicht, sondern es geht in der Kunst – im besten Fall – auch darum, etwas Neues herauszufinden. Vielleicht sollte man es viel eher wie Bildung sehen. Bildung muss auch immer wieder überdacht werden. Gewisse Risiken müssen eingegangen werden, damit auch etwas entstehen kann. Was nicht heisst, dass man die Gesellschaft nicht auch abholen und mitnehmen muss. Aber es ist nicht die Aufgabe der Künstlerinnen und Künstler, diese Vermittlung der Kunst zu übernehmen. Das ist die Aufgabe von Kuratorinnen und Kuratoren.

Du hast am Anfang unseres Gesprächs schon erwähnt, dass Kunst für dich etwas mit Herausfinden zu tun hat. Und du hast auch gesagt, dass du im Zeichnen nicht besonders begabt warst. Deine aktuellen Arbeiten haben ihren Ursprung aber im Zeichnen. Hast du dich wieder damit angefreundet?

Nein, ich habe gemerkt, dass es sogar ein Vorteil für diese Arbeiten ist, dass ich nicht so gut zeichnen kann. Ich kann viel freier zeichnen, sozusagen im Nebel herumstochern und Neues herausfinden. Ich habe für meine Arbeit oft neue Techniken oder Materialien ausprobiert, weil mir diese wieder neue Freiheiten ermöglichen. Manchmal fühlt sich das Zeichnen trotzdem noch fremd an. Dann zeichne ich eine Stunde lang und lege alles gleich weg. Erst nach einigen Wochen nehme ich diese Zeichnungen wieder hervor und ordne sie neu. Der Überraschungseffekt ist gross: Während dieser Zeit verändert sich, was man interessant findet und was nicht. Ich habe auch herausgefunden, dass für mich die Technik des Zeichnens eine der Übersetzung ist. Von der Bewegung zur Zeichnung, von der Zeichnung zur Skulptur, von der Zeichnung zur Bewegung. Ich habe zum Beispiel aus Bewegungen Zeichnungen gemacht, diese dann wieder Leuten gegeben, mit der Bitte, sich zu filmen, wie sie die Bewegung der Zeichnung umsetzen, wie sie von der einen in die nächste Pose kommen. Ohne einen Kommentar meinerseits. Mich interessiert ihre Interpretation. Was dort dazwischen passiert, das Nichtausgesprochene, das Unsichtbare.

Hast du eine Lieblingsübersetzung?

Eigentlich ist einem immer die Arbeit, an der man gerade dran ist, am nächsten. Aber am meisten fäggt’s, wenn man von einer Arbeit selbst überrascht wird.