«Der Lärm ist eine der grossen Herausforderungen», sagt der junge Mann im karierten Holzfällerhemd. Seit diesem Sommer ist Michael Rothenfluh ausgebildeter Kinderbetreuer. Am anstrengendsten sei es, wenn drei Babies gleichzeitig weinten und er mit ihnen alleine sei. Noch ist es in der zur Kita-Wohngruppe umfunktionierten Wohnung still. Alle Kinder sind im Kindergarten.
Wollte keine Mädchenspiele spielen
Dass er Kinderbetreuer werden würde, hätte sich Rothenfluh als Jugendlicher nicht vorstellen können. «Das Soziale war mir fremd», sagt er, obwohl seine Eltern in sozialen Berufen tätig waren. Zwar habe er oft mit den jüngeren Kindern gespielt. Doch er sei «auf Autos fixiert» gewesen und habe nicht mit den beiden älteren Schwestern Mädchenspiele spielen wollen. Auch heute noch kennt sich Rothenfluh bestens mit Automarken aus.
Als Steinerschüler musste er aber ein Sozialpraktikum in absolvieren. «Die Arbeit gefiel mir total gut», sagt Michael Rothenfluh. Deshalb wollte er Behindertenbetreuer werden. Doch die Lehrstellen für Behindertenbetreuer waren knapp. «Als Plan B bewarb ich mich auch bei Kitas», erzählt er.
«Jetzt bin ich froh, dass ich in der Kita gelandet bin», sagt Rothenfluh. «Mit den Kindern zu arbeiten, ist sehr bereichernd.» Er habe in seiner Arbeit viel Gestaltungsspielraum, könne sich einbringen und mit den Kindern Dinge unternehmen. «Kürzlich machten wir einen Ausflug mit dem Schiff auf den Bielersee», erzählt er. Einige der Kinder seien vorher noch nie auf einem Schiff gewesen.
Auch die Rahmenbedingungen des Berufs gefallen dem jungen Mann. Die Arbeitszeiten seien regelmässig und der Lohn sei zwar nicht sehr hoch aber ganz okay: «Mein Kollege in der Wohngemeinschaft verdient als Geomatiker nicht mehr als ich.» Einzig die Aufstiegsmöglichkeiten seien sehr gering, sagt er. Deshalb denke er schon über Weiterbeildung nach.
Mehr als Spielen
Zu Beginn der Lehre, sei für ihn die Vorstellung mit Babies zu arbeiten schwierig gewesen, erzählt Rothenfluh. «Ich hatte Bammel vor den Bébés.» Doch bald habe er gelernt, sich auf die kleinen Geschöpfe einzulassen. Trotzdem ziehe er die Arbeit mit etwas grösseren Kindern vor. «Ich mag Kinder, mit denen ich verhandeln muss, wenn ich etwas von ihnen will», sagt er und seine Augen beginnen hinter den schwarzgerahmten Brillengläsern zu leuchten.
Er spiele nicht ganzen Tag mit Lego-Klötzchen, wie einige seiner Schulfreunde anfangs meinten, erklärt Rothenfluh. «Unser Auftrag ist, die Kinder in ihrer Entwicklung zu fördern, nicht mit ihnen zu spielen.» Das brauche entsprechendes Fachwissen. Nach der Lehre erhielt der 23-jährige eine feste Stelle im ehemaligen Lehrbetrieb und wurde gleichzeitig Teamleiter. Deshalb wird er bald einen Leadership-Kurs besuchen.
Ausgeglichenes Geschlechterverhältnis wäre gut
Auf die Berufswahl habe er vor allem positive Reaktionen erhalten. «Einige lobten mich für den Mut, einen für Männer untypischen Beruf zu wählen», erzählt Michael Rothenfluh. Trotz den positiven Reaktionen hätten aber viele seiner Schulfreunde keine Vorstellung von dem Beruf gehabt und gefragt, was er den ganzen Tag mit den Babies anstelle.
Hingegen seien viele Eltern von Kita-Kindern froh um den männlichen Betreuer. «Gerade Kinder von alleinerziehenden Müttern haben oft keine männliche Bezugsperson», erklärt er. Auch das Team werde bereichert, wenn Männer und Frauen zusammen arbeiten. «Frauen schlüpfen eher in eine mütterliche Rolle», sagt Rothenfluh. Er selber sei oft direkter und konsequenter als die Kolleginnen. Deshalb wäre ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis im Team gut.
Michael Rothenfluh steht auf und räumt sein Büromaterial vom Esstisch. Als Teamleiter hat er die Einsatzpläne gemacht. Nun kommt eine Kollegin zur Türe herein. Sie beginnt ihre Schicht. Zusammen bereiten die beiden Fachleute für Kinderbetreuung den Tisch für das Mittagessen vor. Schon bald sind die 18 Kinder aus den umliegenden Kindergärten zurück. Dann wird es im hellen Raum bunt wuseln und auch der Lärmpegel wird deutlich steigen. Vielleicht werden ein paar besonders wilde Buben eine Kissenschlacht anzetteln. Das dürfe aber geschehen. «Sie sind schliesslich Kinder», sagt Rothenfluh und freut sich sichtlich darauf.