«Ich habe ein grosses Mitteilungsbedürfnis»

von Rita Jost 6. Januar 2023

B-Kanntschaft: Sie hat zwei Bestseller geschrieben. Und sagt, sie weiss gar nicht, ob sie schreiben kann. Auf einen Kaffee mit der Berner Autorin Meral Kureyshi.

Eigentlich wollten wir auf einem Spaziergang ihren Weg zur Schriftstellerin ergründen, nun hat es aber in der Nacht zum ersten Mal geschneit. Es ist wenig einladend und so treffen wir uns in einer Kaffeebar in der Innenstadt. Meral, die in der Altstadt wohnt, hat das Lokal vorgeschlagen.

Sie kennt den Barista hinter der Theke, wird freundlich begrüsst und setzt sich zu mir ans Fenster. Blick auf den Flockenwirbel draussen und den weiss-braunen Pflotsch, die Stadt ist ruhiger geworden. Sie habe nicht viel Zeit, erklärt die Frau mit dem offenen Blick, und den grossen dunklen Augen, die mich gespannt anschauen. «Was willst du wissen?»

Mich interessiert ihr Weg zur Schriftstellerin. Wann hat sie gemerkt, dass sie schreiben kann? Meral winkt ab. «Ich weiss immer noch nicht, ob ich schreiben kann. Darum geht es ja nicht. Aber: Ich habe schon immer Geschichten erzählen wollen. Ich habe ein grosses Mitteilungsbedürfnis.» Die Kritiker lobten schon nach ihrem Erstling die hohe literarische Qualität der Texte und die ungewöhnlich starken Bilder. Es gelinge ihr, ihre Migrationsgeschichte ohne anklagende Untertöne zu erzählen. Ein grosses Lob für das Debut einer jungen Autorin.

Da schreibt offenbar jemand, dem die Sprache in die Wiege gelegt wurde. Aber die Frau, die Literatur und Germanistik und am Literaturinstitut kreatives Schreiben studiert hat, winkt wieder resolut ab: «Ich habe nie gerne geschrieben.» Sie finde Schreiben sogar ziemlich anstrengend. Viel lieber würde sie fotografieren. Aber sie schreibe täglich, um ihre Gedanken und Gefühle aus sich herausholen. Sie schreibe Tagebuch, notiere ihre Beobachtungen und sitze oft in diesem Café, schaue hinaus und schreibe, was sie sieht und hört.

Drei Tage pro Woche arbeitet Meral in ihren Schreibwerkstätten mit Menschen, die Texte schreiben und analysieren wollen. Das ist ihre Hauptbeschäftigung. Daneben entstehen ihre eigenen Texte. Ein dritter Roman ist fast fertig.

Sie formuliert schnell und präzis. Man merkt, sie schreibt nicht nur viel, sie reflektiert ihr Schreiben auch gerne. Dass ihre Texte ankommen, freut sie zwar, aber eigentlich war sie überrascht, als gleich drei Verlage ihren ersten Roman, «Elefanten im Garten», veröffentlichen wollten. Und erst recht, als dieser Roman zwei Wochen nach Erscheinen bereits nominiert wurde für den Schweizer Buchpreis.

Ich möchte nicht eine Wahrheit schreiben, das interessiert mich nicht.

Unterdessen ist dieser Erstling in mehreren Auflagen nachgedruckt worden, es gibt ihn als Taschenbuch und in zwölf Übersetzungen. Und es gibt einen zweiten Roman («Fünf Jahreszeiten», erschienen im Limmat Verlag), der trotz einem covidbedingten schwierigen Start, sehr gut läuft. Meral Kureyshi ist eine gefragte Autorin, sie wird im Januar nach Thailand reisen und dort in Goetheinstituten, an Unis und in der Schweizer Botschaft lesen.

Ungeschehenes geschehen machen

Ihre zwei Romane handeln beide von Verlusten. Die junge Protagonistin ist in beiden Fällen die Tochter einer Migrantenfamilie aus dem Kosovo. Das tönt nach Autobiografie. Meral ist 1983 in Prizren, im ehemaligen Jugoslawien, zur Welt gekommen und lebt seit 1992 in Bern. Aber dass es ihr Leben ist, das sie in ihren Büchern literarisch aufarbeitet, bestreitet sie. «Es ist nicht meine Geschichte, die ich erzähle.» Sie wisse längst nicht mehr, was wirklich passiert sei und was sie erfunden habe. Alles habe sich vermischt. «Ich möchte nicht eine Wahrheit schreiben, das interessiert mich nicht.»

Aber dass ihr Vater in der neuen Heimat unerwartet starb, ja, das sei ein Fakt. Und das sei auch der Ursprung ihres Schreibens gewesen. Sie beginne ihr Schreiben immer in einem Gefühl, einen Plot habe sie nicht im Kopf, die Geschichte ergebe sich dann: «So entsteht wohl Kunst ganz allgemein. Indem Ungeschehenes von Menschen zu Geschehenem gemacht wird. Ein kreativer Akt.»

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Kreatives Schreiben will sie auch vermitteln. An der Zürcher Hochschule der Künste wird sie ab nächsten Frühling creative writing unterrichten und die Studierenden lehren, Literatur konstruktiv zu kritisieren. In Textwerkstätten in Bern und anderen Städten gibt sie Kurse. «Schreiben kann man nicht lernen», ist sie überzeugt, «aber wir diskutieren gemeinsam über Geschriebenes, ich versuche, die Teilnehmenden für gute Texte zu sensibilisieren.»

Und was liest sie selber? Meral Kureyshi überlegt lange. «Im Moment fast nichts mehr. In der Endphase eines Buchs kann ich meistens nur noch Gedichte lesen.» Und, nein, Lieblingsautoren habe sie nicht. Aber die Lyrik der Schweizerinnen Eva Feck, Simone Lappert, Noëmie Lerch berührten sie im Moment wohl am meisten. Der Stapel mit den ungelesenen Büchern, der werde hingegen im Moment immer höher. Das sei schlimm, denn früher habe sie zwei Bücher pro Woche gelesen. «Es ist meine Lieblingsbeschäftigung.»

Der Kaffee ist getrunken. Meral muss weiter. An der Bar wechselt sie ein paar Worte mit dem Barista. «Er kommt zu mir in die Schreibwerkstatt,» erklärt sie mir danach.

 

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