Politik - Kolumne

I love Mama – wieso die Beziehung zu meiner Mutter politisch ist

von Kat 20. Januar 2025

Vista Activa Franziska Schutzbach, eine der wichtigsten feministischen Stimmen aktuell, lässt unsere Kolumnistin über die Beziehung zu ihrer Mutter nachdenken. Und darüber, weshalb diese Beziehung sie politisiert hat.

Im Buch «Die Erschöpfung der Frauen» von Franziska Schutzbach gibt es einen Abschnitt, der «die Liebe der Männer zueinander und die Spaltung der Frauen untereinander» behandelt. Dort schreibt sie auch über Mutter-Tochter-Beziehungen und dass diese in der Literatur entweder gar nicht oder aber als sehr konflikthaft beschrieben werden. Gleichzeitig werden Mütter beziehungsweise die Mutterrolle in zahlreichen Texten, Liedern, Geschichten, hochstilisiert. «I love Mum» gibt es in Rap Battles, auf Tattoos, im Kartenregal, Popsongs oder auf Werbetafeln.

Was bedeutet es also für mich, wenn ich sage: «Ich liebe meine Mam»?

Franziska Schutzbach sagt, dass Frauen der Subjektstatus abgesprochen wird. Liebe ich also die Rolle, der Frau, die mich geboren und aufgezogen hat? Oder wer ist die Frau hinter dieser Rolle?

Es war meine Mutter, die mir erklärt hat, was Emanze bedeutet und wieso sie sich eher als Feministin bezeichnet.

Meine Mutter hat mit 30 Jahren geheiratet, hat zwei Kinder grossgezogen, sie hat eine Lehre absolviert und immer gearbeitet, meine Mutter hat Hobbys wie Pilates, Stricken, Lesen und engagiert sich im Turnverein. Meine Mutter führt Beziehungen zu ihrem Ehemann, zu ihren Eltern und Schwestern, zu ihrer besten Freundin und Kolleginnen aus Nachbar*innenschaft/Vereinen/von früher, meine Mutter unternimmt Ausflüge, Reisen, besucht Konzerte, hört Podcasts und schaut Dokus. Meine Mutter managt den Haushalt und den Alltag – seit sie Kinder hat und bis heute.

Übrigens geht es in diesem Text nicht darum zu ergründen, wie die Care Arbeit bei meinen Eltern aufgeteilt war oder wie die Beziehung zwischen mir und meinem Vater ist. Es geht – für einmal – nicht um das Leben von Frauen in Relation zu einem Mann.

Anders als in den Geschichten, die einer patriarchalen Gesellschaft entspringen, ist meine Beziehung zu meiner Mutter keineswegs von Missgunst oder ähnlichem geprägt.

Ich komme zu einem weiteren Klischee-Satz: «meine Mutter ist mein Vorbild». Die Frau, die mich geboren und grossgezogen hat, ist nämlich echt cool! In meiner Kindheit akzeptierte sie mich, wie ich bin und stützte mich, wo ich es brauchte. In meiner Jugend bot sie immer Nähe an, wenn ich Distanz herausforderte. Als junge Erwachsene ist sie mir eine Freundin und Verbündete. Sie lebte mir vor, einen eigenen Stil zu haben und nicht nur der Masse zu folgen. Sie lehrte mich, eigene Lösungen zu suchen und nicht nur den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Sie gab mir Beziehung und die Sicherheit, auch mit anderen Menschen in Beziehung zu treten.

Es war auch meine Mutter, die mir erklärt hat, was «Emanze» bedeutet und wieso sie sich eher als «Feministin» bezeichnet. Es war meine Mutter, die mich schon in der Kindheit über Menstruation, Sex, verschiedene Familienformen und unterschiedliche Geschlechtsidentitäten aufgeklärt hat. Es war meine Mutter, die mich in der 6. Klasse in dem Film «Wüstenblume» begleitete, was mich politisiert hat. Es ist meine Mutter, die mir sagt, sie sei stolz auf mich, wenn ich ein Video meiner Rede am 1. Mai in den Familien-Chat schicke. Und es ist meine Mutter, die meine Insta-Storys liked, wenn ich politische Vorträge halte.

(Unter anderem) dank meiner Mutter steht es mir offen, meine Lebensform selbstbestimmt zu wählen.

Weshalb ist also die Beziehung zu meiner Mutter politisch? Anders als in den Geschichten, die einer patriarchalen Gesellschaft entspringen, ist meine Beziehung zu meiner Mutter keineswegs von Missgunst oder ähnlichem geprägt. Ich bewundere und schätze die Frau, die mich geboren und grossgezogen hat. Für ihre Art, ihr Können, ihr Engagement für ihre Nächsten oder im Verein, für ihre Emotionalität und ihre Offenheit. Meine Mutter ist mehr als ihre Mutterrolle, lebte mir dies vor und hilft mir dabei, selbst ein Subjekt wider der patriarchalen Zuschreibung zu werden.

(Unter anderem) dank meiner Mutter steht es mir offen, meine Lebensform selbstbestimmt zu wählen. Es ist mir möglich, mich aktivistisch zu betätigen. Ich traue mich, Platz einzunehmen und meiner Stimme Gehör zu verschaffen. Und noch etwas brachte mir meine Mutter bei: die Solidarität zu anderen Frauen. Seit ich als «cooler Teenie» das erste Mal sagte, ich fände Steff la Cheffe nicht gut, weil Männer besser rappen würden, ermahnte sie mich davor, was ich heute im Buch von Franziska Schutzbach lese: die Männer lieben einander und die Frauen spalten sich untereinander.

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Dank dieser Haltung kann ich heute für die FINTAs (Frauen, inter, nicht-binäre, Trans und agender Personen) in meinem Leben fangirlen, mich mit ihnen verbünden und mich wiederum von ihrer Solidarität stärken lassen. Also ja, die Beziehung zu meiner Mutter ist politisch, weil sie nicht einer patriarchalen Erzählung folgt, weil sie mich zum Subjekt gemacht hat, weil ich mich mit Hilfe meiner Mutter politisiert habe und weil ich dank der Beziehung zu meiner Mutter auch Beziehungen zu anderen FINTAs festigen kann – Liebe statt Spaltung.

Also ja, ich liebe meine Mam und ich bewundere die Frau, die sie ist! <3