Vier grosse Verkehrsachsen zerschneiden den Stadtteil 3 Mattenhof-Weissenbühl, der vom Marzili bis zum Steinhölzli reicht und von der Autobahn bis zum Hirschengraben. Es gibt kein einzelnes Zentrum, sondern viele kleine Quartierplätze. Ein Schloss – in Holligen – findet ebenso Platz wie eine Eisenbahnersiedlung, zwei Spitäler und viel Wald. Zum Stadtteil gehören die Quartiere Mattenhof, Weissenstein, Sandrain, Monbijou, Holligen und Weissenbühl.
Wenn ein Einfamilienhaus im Mattenhof frei wird, dann bewerben sich bis zu 30 Familien.
Claudia Luder, Quartiermitwirkung Stadtteil 3
Rund 30’000 Menschen leben im bevölkerungsreichsten Stadtteil nach Bümpliz. Zwar sind die Mietpreise gemäss städtischen Statistikdiensten in den vergangenen acht Jahren für eine Drei-Zimmer-Wohnung um etwa 13 Prozent und für vier Zimmer um rund 21 Prozent gestiegen. Doch Wohnraum ist hier immer noch günstiger als in den Trendquartieren Breitenrain oder Länggasse. Mittlerweile ist der Wohnungsleerstand auch im Mattenhof-Weissenbühl gesunken und liegt derzeit bei 0,32 Prozent. Bezahlbare Wohnungen sind entsprechend begehrt, vor allem bei Familien – das zeigen auch die vielen Handzettel an Laternen.
Über 500 neue Wohnungen
«Wenn eines der Einfamilienhäuser in meinem Quartier frei wird, dann bewerben sich bis zu 30 Interessenten. Das übt natürlich einen starken Druck auf den Preis aus», sagt Claudia Luder von der Quartiermitwirkung QM3, die ihr Büro an der Schlossstrasse in Holligen hat. Luder leitet die Koordinationsstelle und wohnt seit langem im Mattenhof. In den vergangenen Jahren hat sie beobachtet, dass sehr viele Häuser saniert würden. «Das zeigt ja, wie beliebt die Wohngegend geworden ist. Unser Stadtteil liegt nah am Zentrum, dennoch haben manche Quartiere fast dörflichen Charakter», fasst es Luder zusammen. Der Stadtteil ist sehr vielfältig und wird noch heterogener, denn neben dem ländlichen Charme wird Mattenhof-Weissenbühl in den nächsten Jahren stärker denn je urban geprägt werden. Mehr als 500 Wohnungen werden neu entstehen – am Warmbächliweg, an der Schwarztorstrasse und an der Mutachstrasse, um nur die grössten Projekte zu nennen.
Bauboom in Holligen
Bereits bewohnt sind die Crescendo-Siedlung zwischen Krippen- und Freiburgstrasse mit 51 Wohnungen sowie das Projekt Balkonien mit 42 Wohnungen an der Schwarzenburgstrasse. Das mit Abstand grösste Bauvorhaben der nächsten Jahre wird die bisherige Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) in eine Siedlung mit 250 Wohnungen verwandeln. Ein neuer Treffpunkt soll dabei auch entstehen – an der Freiburgstrasse. Wie das Areal dereinst aussehen wird, ist noch nicht abschliessend geklärt, aber theoretisch sind auch Hochhäuser mit bis zu 60 Metern Höhe erlaubt. Ein Ideenwettbewerbs läuft dazu.
Ich bin gespannt, ob genügend bezahlbare Familien-wohnungen resultieren werden.
Claudia Luder, Quartiermitwirkung Stadtteil 3
Gleich in der Nachbarschaft ist auf der Schlossmatte eine weitere Überbauung mit 190 Wohnungen und einem Stadtteilpark am Schloss Holligen geplant. Dafür müssen allerdings die rund 110 Schrebergärten an der Schlossstrasse weichen. Dagegen gingen mehr als 200 Einsprachen ein, doch das Stimmwolk hiess die Baupläne gut. Für die Gärtner seien neue Domizile gefunden worden. «Derzeit läuft der zweistufige Wettbewerb für die Überbauung», sagt Luder.
Generell unterstütze die QM 3 das verdichtete Bauen der Stadt. «Doch es sollte bei den Neubauten darauf geachtet werden, dass das Wohnen noch für alle möglich ist und sich besonders auch Familien die neuen Wohnungen leisten können», betont Luder und äussert gleichzeitig Bedenken. «Gemäss den Plänen soll zwar die Hälfte der Wohnungen genossenschaftlich gebaut werden. Ich bin gespannt, ob aus dieser Vorgabe genügend bezahlbare Familienwohnungen resultieren werden.» Auch die Hardegger-Siedlung an der Gemeindegrenze zu Köniz sei zum Teil genossenschaftlich und habe recht «happige Mietpreise». Die Crescendo-Siedlung im Holligen-Quartier habe mit ihren gehobenen Preisniveaus bereits «eine andere Klientel» angezogen, sagt Luder.
Eine spürbare Verdrängung der ärmeren Bevölkerung ist auch im Stadtteil 3 zu verfolgen.
Daniel Mullis, Stadtgeograph
Verdrängung ist bereits im Gange
Ist das schon Gentrifizierung? «Es gibt keine endgültig definierenden Faktoren dafür, das ist oft ein schleichender Prozess», sagt der Berner Stadtgeograph Daniel Mullis, der seine Abschlussarbeit über die Gentrifizierung in der Lorraine geschrieben hat. Er sagt, dass sich dieser Wandel auch ohne steigende Mietpreise nachweisen lässt. «Es muss eine spürbare Verdrängung der ökonomisch schlechtergestellten Bevölkerungsschichten geben und die ist aus meiner Sicht auch im Stadtteil 3 zu verfolgen», sagt Mullis, der im Fischermätteli aufgewachsen ist. Er verweist auf die Volkszählungen der vergangenen Jahrzehnte. Diese hätten für die ganze Stadt Bern gezeigt, dass sich im Zentrumsbereich die sozial besser situierte Klientel verstärkt niedergelassen hat und die sozial schwächeren Schichten in die Agglomeration abgedrängt wurden. Die neuen Bauprojekte in Holligen bieten nach Meinung Mullis auch weiterhin Potenzial für eine Verdrängung der bisherigen Quartierbevölkerung.
Neben den erwähnten Bauprojekten gibt es weitere, die jedoch noch in der Schwebe sind, zum Beispiel auf dem Grundstück der Fleischerei Meinen und die Umnutzung des Gaswerkareals. Zudem ist das Tram nach Schliern weiter in der Diskussion und damit verbunden der Umbau des Verkehrsknotenpunkts Eigerplatz.