Hochwasserschutz alleine genügt nicht

von Beat Kohler 2. Mai 2013

Bauten für den Hochwasserschutz sollen in erster Linie vor Hochwasser schützen. Sie bieten aber auch die Chance, das Flussufer als Naherholungsgebiet aufzuwerten. Diese Aspekte lassen sich nicht immer vereinbaren. 

Wie soll die Matte vor Hochwasser geschützt werden? Seit die Berner Stimmbevölkerung sehr deutlich Ja zum Projektierungskredit Wasserbauplan «Gebietsschutz Quartiere an der Aare» gesagt haben, befassen sich die Spezialisten im Detail mit dieser Frage. Bereits im kommenden Jahr soll der fertig ausgearbeitete Wasserbauplan vorliegen.

Wird ein Fluss verbaut, müssen nebst dem Hochwasserschutz auch die anderen Funktionen, die ein Gewässer im urbanen Raum übernimmt, sichergestellt sein, wie Felix Hauser, Hydrologe am Geographischen Institut der Universität Bern erklärt. Für Hauser, der diese Themen auch für die SP Stadt Bern bearbeitet, ist klar, dass neben dem Schutz das Gewässer auch als Naherholungsgebiet und als ökologisch wertvoller Raum funktionieren muss. «Davon profitieren weit mehr Menschen, als vom direkten Hochwasserschutz», so Hauser. Und nur bei einem Eingriff für den Hochwasserschutz können die anderen Funktionen auch sichergestellt werden, weil die Massnahmen für sich zu teuer wären.

«Davon profitieren weit mehr Menschen, als vom direkten Hochwasserschutz»

Felix Hauser, Hydrologe

Ein Beispiel dafür, welchen Wert die Landschaft als Naherholungsgebiet hat, ist für Hauser die Sichtbarkeit des Gewässers. Bezogen auf diesen Teilaspekt übt er Kritik am Projekt in der Felsenau. Wer hier auf der Strasse spaziert, sieht die Aare nicht mehr. Den Fussgängerinnen und Fussgängern werde dank einem begehbaren Grünstreifen mehr Raum zur Verfügung stehen, versprach der Projektbeschrieb. Wer direkt an der Mauer steht, der hat auch einen freien Blick auf die Aare. Auf dem Grünstreifen sind nun Büsche gepflanzt und das hohe Gras wächst – für Hauser ist dies nicht im eigentlichen Sinn «begehbar».

«Der Grünstreifen kann begangen werden» erklärt hingegen die Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün TVS in einer Stellungnahme. Allerdings sei der Gang durchs hohe Gras nicht sehr komfortabel. Dass der Streifen mit Steinblöcken vor dem Parkieren von Autos geschützt werde, sei ein Wunsch der Bevölkerung gewesen. Im Projekt waren Holzpfähle vorgesehen. Die Steinblöcke haben zur Folge, dass der Grünstreifen nicht maschinell gemäht werden kann. Aus Kostengründen kann das Mähen von Hand höchstens einmal pro Jahr erfolgen. Die TVS streicht im Gegenzug die positiven folgen des Projekts für den Naherholungsraum heraus: «Durch die Neugestaltung des Aareufers entstanden Sandbänke, die bei den Badenden sehr beliebt sind.»

In erster Linie soll Hochwasserschutz natürlich vor Hochwassern schützen. Soweit die Erfahrungen bisher gezeigt haben, ist der Hochwasserschutz gewährleistet. «Aus unserer Sicht funktioniert das Hochwasserschutzsystem gut», schreibt das Tiefbauamt auf eine entsprechende Anfrage. Allerdings musste die Anlage bisher auch noch keinem Hochwasser, wie es 1999 oder 2005 sich ereignete, Stand halten. Die Abflussspitze lag seit der Fertigstellung im Sommer 2010 im Juli 2012 bei 430 Kubikmetern pro Sekunde. 2005 waren es 600 Kubikmeter. Dennoch mussten für die Ereignisse im Juli 2012 und auch im Oktober 2011 bereits die vorgesehenen mobilen Schutzwände eingesetzt werden, die sich laut Tiefbauamt ebenfalls bewährt haben.

«Aus unserer Sicht funktioniert das Hochwasser- schutzsystem gut»

Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün TVS

Beim Wasserbauplan «Gebietsschutz Quartiere an der Aare» kann das Tiefbauamt nun auf die Erfahrungen zurückgreifen, die bei den bereits fertig gestellten Verbauungen in der Felsenau gemacht wurden. Eine Parallele zwischen der Mattte und der Felsenau ist der Einsatz von Dichtwände und einem Drainagesystem. Diese Wände, welche als einzelne Elemente tief bis möglichst auf festen Untergrund in die Erde gerammt werden, sollen verhindern, dass Wasser durch das Erdreich in das Quartier einsickern und so zu Schäden führen kann. Bisher klappt dies in der Felsenau: «Das ganze System funktioniert nach den bisherigen Erkenntnissen und Erfahrungen einwandfrei», heisst es beim Tiefbauamt. Da die Wände auf beide Seiten abdichten, muss auch sichergestellt sein, dass Hang- und Regenwasser über ein Drainagesystem in die Aare abgepumpt werden kann. Die Wartung der Pumpen und der Drainage erfolgt einmal pro Jahr. Die geschätzten Kosten belaufen sich laut TVS auf rund 7000 Franken pro Jahr.

Die Fachleute sind von der Funktionalität der Schutzbauten überzeugt: «Sämtliche Erfahrungen der Planung und der Bauausführung fliessen in das Projekt Hochwasserschutz Aare Bern ein», verspricht das Tiefbauamt. Der Transfer von Know-how und Erfahrungen sei insofern sichergestellt, als die beiden Bauvorhaben durch dieselben Personen betreut und verantwortet würden.