Hier wird nicht mit heisser Nadel gestrickt

von Noah Pilloud 21. November 2023

Freie Szene Der Theaterverein «Bunburyaner» zeigt im Theater Remise aktuell seine vierte Produktion. «Was Wir Wolle/n» ist ein Stück über Schafe, das Stricken, den Willen und manches mehr. Und findet nebenbei neue Wege zu mehr Zugänglichkeit im Theater.

 

Wo sonst Anspannung und Nervosität in der Luft liegt, macht sich vor der Aufführung von «Was Wir Wolle/n» im Theater Remise gemütliche Wohnzimmeratmosphäre breit. Das Publikum kann auf den Stühlen, Sesseln und Sofas Platz nehmen – vor oder neben der Bühne. Die Schauspieler*innen kommen auf sie zu, fragen sie ob sie stricken wollen und bieten ihnen Nadeln und Garn oder ein bereits begonnenes Strick-Projekt an, helfen und erklären wo nötig. Wer die eigene «Lismete» mitgenommen hat, nimmt sie spätestens jetzt ebenfalls hervor.

Diese Inszenierung wird dem Anspruch, eine Relaxed Performance zu sein, mehr als gerecht. Das Konzept der Relaxed Performance wurde ursprünglich in der Autismus-Community entwickelt und hat zum Ziel, Regeln und Rahmenbedingungen während Aufführungen zu entspannen und den Zugang zu Kultur so für alle inklusiver und barrierenärmer zu gestalten. Häufig beinhaltet das, dass auf starke Reize wie etwa Lichteffekte verzichtet wird, sprechen erlaubt ist und das Publikum jederzeit aufstehen und rausgehen darf.

(Foto: Tom Hiller)

Das ist auch bei «Was Wir Wolle/n» der Fall. Doch der Performance gelingt es, diese entspannte Atmosphäre von Beginn weg auf natürliche Weise zu schaffen. Das Entspannte wird so nicht zur Option, sondern zum Normalfall. Daran wird ersichtlich, dass das Konzept der Relaxed Performance während der Konzeption des Stücks mitgedacht und so Teil davon wurde.

Das Entspannte wird so nicht zur Option, sondern zum Normalfall.

Der Geist, sich bereits von Beginn weg darüber Gedanken zu machen, wie mögliche Barrieren abgebaut werden können, zieht sich durch das gesamte Theaterstück. So findet etwa jede Aufführung mit Audiodeskription statt. Diese ist genauso Teil des Stücks, wie die entspannte Atmosphäre.

(Foto: Tom Hiller)

Abwechselnd treten die Schauspieler*innen ans Mikrophon und beschreiben das Geschehen auf der Bühne. Mal sachlich objektiv, mal ironisch kommentierend. So wird aus einem Instrument, das mehr Teilhabe ermöglicht, gleichzeitig ein weiteres künstlerisches Mittel auf der Bühne.

Geschickt gestrickt

Wie der etwas sperrige Titel andeutet, geht es inhaltlich ums Wollen. Und um Wolle. Und deshalb auch um Schafe, ums Stricken, um Maschinen und die Textilindustrie. All diese Themen bilden Stränge, die das Stück miteinander zu verknüpfen weiss. Manchmal verliert es den Faden und nimmt einen anderen wieder auf und fädelt einen weiteren geschickt mit ein.

So gesehen findet sich das textile Thema nicht nur auf inhaltlicher, sondern auch auf der Konzeptebene wieder. Das ist zwar eine ziemlich verstrickte Sache, stellt vor dem Hintergrund, dass Text vom lateinischen Wort für «weben» kommt, aber ein weiteres brillantes Wortspiel dar.

Durch diese Metaebene wird das Theaterschaffen plötzlich selbst zum Thema des Stücks. Man ist an diesem Punkt versucht zu fragen: Ist das zu viel gewollt?

Dass dem Stück dadurch zuweilen schwer zu folgen ist, thematisiert es gleich selbst. «Wir haben ja gar keine festen Rollen!», stellen einige der Schauspieler*innen etwa fest. Durch diese Metaebene wird das Theaterschaffen plötzlich selbst zum Thema des Stücks. Man ist an diesem Punkt versucht zu fragen: Ist das zu viel gewollt? Tatsächlich steckt ganz schön viel in dem Stück, so dass es schwer fällt, sich auf alles zu fokussieren oder am Ende in einem Satz sagen zu können, worum es ging. Und für einige mag die Aufmachung etwas gar konzeptuell daherkommen.

Trotzdem bleibt «Was Wir Wolle/n» ein niederschwelliges Vergnügen. Das erreicht die Inszenierung etwa durch Humor. Ferner gibt es immer wieder Momente, die durch ihre prägnanten Bilder bestechen. Durch die thematische Breite bietet das Stück zudem für ein breites Publikum Anknüpfungspunkte.

(Foto: Tom Hiller)

Neue Wege

Wer also die konzeptuelle Herangehensweise zu schätzen mag und Freude an sprachlichen Feinheiten, zahlreichen Referenzen und Spielereien hat wird hier bestens unterhalten. Wer dem wenig abgewinnen kann, dürfte genauso Gefallen am Stück finden.

Wenn sich durch das komplexe Strickmuster dieses Stücks ein roter Faden zieht, dann ist es dies: Der Wille, Theater auf allen Ebenen zugänglicher zu machen und dabei nicht bloss auf etablierte Werkzeuge zurückzugreifen, sondern neue Wege zu finden.

Dazu trägt nicht zuletzt die Audiodeskription bei. Gerade bei abstrakteren Ausdrucksformen trägt sie nämlich zum Verständnis bei, ohne die Szene erklären zu wollen. Somit baut die Audiodeskription in mehrerlei Hinsicht Barrieren ab. Und leistet dabei ihren Teil dazu, dass es der Inszenierung gelingt, Niederschwelligkeit und künstlerischen Anspruch zu vereinen.

Wenn sich durch das komplexe Strickmuster dieses Stücks ein roter Faden zieht, dann ist es dies: Der Wille, Theater auf allen Ebenen zugänglicher zu machen und dabei nicht bloss auf etablierte Werkzeuge zurückzugreifen, sondern neue Wege zu finden. Und das ist «Was Wir Wolle/n» definitiv gelungen.