Das Zentrum Paul Klee eröffnet sein 20-Jahr-Jubiläum mit einer Ausstellung zum grossen Architekten der Moderne. Warum gerade Le Corbusier?
Martin Waldmeier: Weil Paul Klee und Le Corbusier beide Ikonen der Moderne sind – und der Kunst. Als Architekt war Le Corbusier die Kunst als Ort der Freiheit und als Ideenlabor immer wichtig. Er sprach auch vom «Labor der geduldigen Forschung». Es ist bis heute faszinierend zu sehen, wie er Impulse aus der Kunst aufgenommen und diese in die Architektur integriert hat – und umgekehrt.
Intuition, Verspieltheit und Wildheit spielen bei Klee eine Rolle. Auf der anderen Seite ist da Le Corbusier, der nichts dem Zufall überliess und gern mit Stahlbeton und Technik experimentierte. Was verbindet Le Corbusier mit Paul Klee?
Le Corbusier und Klee hatten unglaublich viel gemeinsam! Beide erfanden neue Techniken und revolutionierten, wie man über Kunst und Architektur dachte. Für beide war das Zeichnen wichtig als eine Form des Denkens und Erfindens. Für beide war die Begegnung mit der Architektur eine «Schule des Sehens», und für beide war das Naturstudium ein Thema, das sie zeitlebens beschäftigte.
Beide wollten auch zurück zu den Anfängen.
Ja. Auch die Antike, die volkstümliche und nichtwestliche Kunst war beiden eine Inspirationsquelle. Und sie sahen sich nicht zuletzt beide als Menschen des Südens, Paul Klee machte seine Ferien im französischen Port-Cros, nicht weit von Roquebrune-Cap-Martin, wo Le Corbusier sein Cabanon, sein Ferienhaus, hatte. Begegnet sind sich die zwei aber nie.
Die Ausstellung nennt sich «Die Ordnung der Dinge». Was bedeutet Ordnung bei Le Corbusier?
Ordnung bedeutete für Le Corbusier, die Welt zu gestalten und bewohnbar zu machen; gegen das Chaos und die Beliebigkeit anzukämpfen und etwas zu schaffen, das bleibt. Dass sich Le Corbusier besonders in den 1920er-Jahren für Ordnung interessierte, war auch der Zeit geschuldet.
Inwiefern?
Die Ära nach dem Ersten Weltkrieg war eine der Umbrüche, des Fortschritts und der Utopien. Le Corbusier war der Meinung, dass die Art und Weise, wie die Menschen lebten, etwa in überfüllten Mietskasernen der Industriestädte, sie unglücklich und krank mache. Beim Wunsch nach Ordnung geht es deshalb in erster Linie um den Wunsch einer Befreiung. Alle Menschen sollen Zugang haben zu Sonne und Licht und zur Natur. Um dies möglich zu machen, hat er Architektur und Städtebau neu gedacht.
Le Corbusier fasziniert und provoziert zugleich. Dieses Spiel beherrschte er sehr gut. Man muss ihn als Mensch auch nicht mögen, um ihn interessant zu finden
Wenn wir von Ordnung sprechen: Lässt sich Le Corbusier selbst einordnen? Er war unglaublich vielseitig. Er war Künstler, Architekt, Theoretiker und Möbeldesigner. Zudem durchlief er in seinem Leben verschiedene Phasen: Klassizismus, Natur, Brutalismus, Farben. Wie macht man zu diesem Universalmenschen eine Ausstellung?
Es ist fast unmöglich, ihm gerecht zu werden. Wir haben es trotzdem versucht. Die Ausstellung hat zwei chronologische Achsen: Le Corbusier als Künstler und Le Corbusier als Architekt. Dazwischen steht, als Bindeglied, die «Recherche»: das künstlerische Formenlabor, seine Quellen und Inspirationen, sein Arbeitsprozess im Atelier. Hier blickt man ihm beim Arbeiten über die Schulter.
Le Corbusier war nicht nur Visionär, er war auch Machtmensch. Aktuell beschäftigt sich im Kino ein Film mit der Künstlerin Eileen Gray und ihrem Haus E-1027 in der französischen Riviera. Le Corbusier, der die Wände des Hauses ohne ihr Einverständnis bemalte, kommt als übergriffig und machtversessen rüber. Schadet das der Schau?
Im Gegenteil. Der Film zeigt doch, dass Le Corbusier als Figur immer noch fasziniert und natürlich auch provoziert. Dieses Spiel beherrschte er sehr gut. Man muss ihn als Mensch auch nicht mögen, um ihn interessant zu finden.

Schon länger ist bekannt, dass Charles-Édouard Jeanneret, wie Le Corbusier mit bürgerlichem Namen hiess, mit dem Vichy-Regime sympathisierte und antisemitische Aussagen machte. Wie geht die Ausstellung damit um?
Das verschweigen wir nicht. Wir haben in der Ausstellung eine Vermittlungszone eingerichtet, die dem Publikum Informationen auf dem neusten Forschungsstand bietet. Nämlich, welches Verhältnis Le Corbusier zum Faschismus hatte, inwiefern er sich antisemitisch geäussert hat, wie er während des Zweiten Weltkriegs handelte, und weshalb auch sein Werk bis heute polemisch diskutiert wird. In den letzten zehn Jahren wurde die Kritik an Le Corbusier zum Glück sehr gut aufgearbeitet.

Was haben Sie selbst neu über Le Corbusier gelernt?
Dass er als Architekt und als Künstler nie dogmatisch war. Er stellte programmatische Forderungen auf, nur um diese schon bald selbst nicht mehr zu befolgen und sich immer wieder neu zu erfinden. Vergleicht man die rationalistischen Bauten Le Corbusiers der 1920er-Jahre mit der Kapelle von Ronchamp von 1950, liegen da Welten dazwischen. Mit der Villa Savoye hat er eine Ikone der Moderne kreiert, während er mit der Kapelle von Ronchamp schon die Postmoderne vorwegnahm.
Gibt es eine Arbeit, die Sie besonders mögen?
Wir räumen in der Ausstellung dem Buch «Vers une Architecture» von Le Corbusier viel Raum ein. Le Corbusier war ja nicht nur Künstler und Architekt, er war auch einflussreicher Schriftsteller. An einer Stelle stellt er etwa den Parthenon in Athen einem Auto gegenüber. Was er damit sagen will: Die moderne Architektur soll zeitlos schön und wohlproportioniert sein wie der Parthenon, und praktisch und funktional wie ein Auto, wo die Form der Funktion entspricht und jedes Bauteil eine Funktion erfüllt.
Zentrum Paul Klee, Bern
Vernissage: Fr., 7.2., 18 Uhr
Ausstellung bis 22.6.
www.zpk.org
Dieser Artikel ist zuerst in der Berner Kulturagenda erschienen.