Heuchelei

von Christoph Reichenau 13. Februar 2023

Geht es um andere, ist der «Bund» kritisch. Gegenüber dem eigenen Verlag, Tamedia, wird gekuscht. Ein Kommentar.

Als es 2021 und 2022 zu sexuellen Belästigungen und einem Übergriff bei Bern Ballett kam, der nach sorgfältiger Abklärung durch eine Anwaltskanzlei erst mit Verwarnung, dann mit fristloser Entlassung des Täters endete, berichtete «Der Bund» mehrere Male mit Beiträgen von bis zu 7 Journalistinnen und Journalisten in der gleichen Ausgabe. An einer Medienkonferenz von Bühnen Bern nahmen zwei Personen live teil, die Chefredaktorin meldete sich per Zoom mit einer Frage. Die Haltung der Redaktion war sehr kritisch gegenüber dem Verhalten des Theaters.

Jetzt geht es um sexualisierte Belästigungen des Chefredaktors des Magazins, das dem «Bund» jeden Samstag beiliegt, gegenüber einer Journalistin oder vielleicht mehreren Journalistinnen. Wie reagiert die «Bund»-Redaktion: Sie druckt eine Verlautbarung der Chefredaktion der Tamedia-Medien ab, kommentarlos. Sie recherchiert nicht, sie nimmt nicht Stellung. Wir können der Verlautbarung aus Zürich entnehmen, dass die anklagende Journalistin entlassen wurde, der Chef des Magazins seine Stelle freiwillig verlassen habe. Und was erfahren wir vom «Bund»? Nichts.

Das war vor ein paar Wochen anders bei der sogenannten «Berset-Krise». Da wurde unter anderem aufgewärmt, dass der CEO von Ringier, Marc Walder, während der Corona-Pandemie die Ringier-Redaktionen – zuvorderst den «Blick» – gebeten hatte, die Landesregierung zu unterstützen. Walder wurde bezichtigt, von Seiten des Verlags in die Freiheit der Ringier-Redaktionen eingegriffen zu haben. Wie anders heute. Brav druckt man eine Verlautbarung von oben ab.

Fazit: «Der Bund» misst mit zwei Ellen. Das ist Heuchelei. Diese Art von Journalismus untergräbt das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Medien.