Herbstliche Veränderungen und politische Fallbeispiele

von Jovana Nikic 16. Oktober 2024

Be(rn)trachtungen Unsere Kolumnistin nimmt uns mit auf einen herbstlichen Spaziergang durch Bern – von nassen Laubblättern über Kürbis-Latte bis hin zu den Stadtratswahlen, welche die Stimmung in der Stadt ebenso erhitzen wie die ersten Marroni des Jahres.

 

Es ist wieder so weit: Nasse Laubblätter liegen auf den Quartierwegen Berns, die Sonne zeigt sich nur noch schüchtern. Einige Menschen haben ihre Trenchcoats aus den Schränken geholt und wandeln als menschgewordene Schals unter den Lauben, währenddem andere noch am Sommer festhalten und ihre Knöchel den herbstwetterlichen Launen in Drei-Viertel-Hosen exponieren.

Alles genau so, wie es jeden Herbst der Fall ist. Witzig, denke ich, als ich den Regenschirm abschüttele, um mich ins Café zu setzen. «Fall» ist doch auch die englische Bezeichnung für Herbst.

Womöglich ist die Falttechnik der Grund dafür, dass viele Marroniverkäufer*innnen fingerfreie Handschuhe tragen.

Der Regen prallt an die Fensterfront, Indie Musik erklingt aus der Anlage, mein Kürbis-Latte dampft in einer überdimensionalen Tasse vor sich her und ich betrachte die Leute, die die Strasse passieren und vor dem Fenster die Treppen Richtung Bahnhof hinauf- oder heruntersteigen.

Irgendwie ändert sich in Bern ausser der Jahreszeit nicht viel, denke ich mir: Die Baustellen verschieben sich lediglich zwischen Eigerplatz und Altstadt, die Strassen werden in der Lorraine, dem Hirschengraben oder dem Wankdorf aufgerissen und wieder zubetoniert.

Nur die Temperaturen und die Witterung ändern sich, die Länge der Tage und nicht zu vergessen die Aare, die frei von Gummibooten ist, je nach Regenmenge steigt und die Bewohner*innen des Mattequartiers  wieder und wieder auf die Probe stellt.

Erneut nehme ich einen Schluck vom Kürbis-Latte und verbrenne mir dabei die Zunge, wie ich es jedes Mal tue, wenn ich mich auf das Abendessen freue – oder beim Marroniessen, fällt mir in dieser Sekunde ein.

Die Politiker*innen müssen sich im wahrsten Sinne des Wortes warm anziehen.

Im Herbst ändert sich eines immer am Stadtbild: Die Marronihäuschen verbreiten einen angenehmen Geruch gerösteter Kastanien, da die Holzläden geöffnet sind und darin eine mit Faserpelz ausgerüstete Person die Marroni wendet, die nachhaltig gedachten Tüten faltet, die zugleich Behältnis und Abfallentsorgung enthalten.

Und jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Womöglich ist die Falttechnik der Grund dafür, dass viele Marroniverkäufer*innnen fingerfreie Handschuhe tragen.

Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Die Schweiz hat das Ricola erfunden, Berner Marronistände die fingerfreien Handschuhe.

Als ich zum Zeitungsregal blicke, merke ich: Obschon sich Bern optisch nicht grossartig ändert, Menschen im Herbst immer Kürbissuppe machen werden und der Sandstein des Münsters immer von Baugeländern umringt sein wird: Die Stadtratswahlen stehen vor der Tür und jeden vierten Herbst ändert sich die Ämterverteilung. Die Politiker*innen müssen sich im wahrsten Sinne des Wortes warm anziehen, da das Rennen um die Ämter so heiss sein wird, wie es mein Kürbis-Latte ist.

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Für uns Wähler*innen heisst das: Kürbissuppe essen und recherchieren, um im November an die Urne zu gehen, und uns die Zunge, ich meine Finger – ob mit Handschuhen oder ohne – nicht zu verbrennen.

Im besten Fall sogar die Stadt Bern positiv zu verändern.