«Mein Team und ich verlieren den attraktivsten, spannendsten und schönsten Arbeitsplatz, den man sich als Hebamme wünschen kann», sagt Verena Piguet. Sie ist Hebamme mit «ganzem Herzen» und leitet die weithin bekannte und beliebte Geburtsabteilung am Spital Riggisberg. Das Spital gehört zur Spital Netz Bern AG, welche die Geburtsabteilung Ende Juli schliessen will. Dies wurde in der vorigen Woche bekannt. «Wir werden zwar nicht arbeitslos», sagt Piguet, die Spital Netz Bern will die Riggisberger Hebammen in anderen Spitälern wie Münsingen oder in Bern unterbringen. «Aber uns kann man nicht einfach so verpflanzen, das Team und die geburtshilfliche Philosophie, die wir hier zusammen aufgebaut haben, finden wir woanders nie mehr», unterstreicht Piguet.
«Regionale Geburtshilfe soll nicht profitabel sein müssen.»
Marianne Haueter, Schweizerischer Hebammenverband
Immer mehr würden die Kenntnisse von Hebammen in den Hintergrund gedrängt. Dies auch weil: «gesunde Frauen und Kinder sowie «komplikationslose Geburten» keinen so genannten ‘Krankheitswert’ haben», kritisiert Piguet. Je besser eine natürlich Geburt verlaufe und je geringer die Risiken seien, desto weniger verdienten die Spitäler. «Es kann doch nicht sein, dass unter diesem Paradoxon die klassische Hebammen-Geburtshilfe zugrunde geht.»
«Wir sind der Ansicht, dass regionale Geburtshilfe – als Teil der Grundversorgung – nicht profitabel sein muss», doppelt Marianne Haueter, Präsidentin der Berner Sektion des Schweizerischen Hebammenverbandes. Wenn es nur noch um die Renatbilität gehe, müsse man sich nicht wundern, wenn die natürliche Geburt immer mehr verschwinde. «Anstelle einer Eins-zu-eins-Betreuung zur Unterstützung einer natürlichen Geburt erhalten viele Frauen heute Medikamente, eine Periduralanästhesie (PDA) oder Kaiserschnitte», sagt Haueter, die als Hebamme im Simmental praktiziert. Sie verweist auf die aktuellen Zahlen: Im Jahr 2011 kamen in der Schweiz durchschnittlich ein Drittel der Babys per Kaiserschnitt zur Welt. Laut dem Bundesamt für Gesundheit schwankt die Kaiserschnittrate in den einzelnen Spitälern jedoch zwischen 14 und 57 Prozent, was nicht medizinisch zu erklären sei. «Viele Kaiserschnitte sind strukturell, organisatorisch oder ökonomisch statt medizinisch begründet», weiss Haueter.
«Je besser eine natürliche Geburt verläuft und je geringer die Risiken sind, desto weniger verdienen die Spitäler.»
Verena Piguet, Leiterin Geburtsabteilung Riggisberg
Ihr Ansprechpartner bei Spital Netz Bern war Bruno Haudenschild, Mitglied der Geschäftsleitung. «Mit ihm haben wir ein Konzept erarbeitet, in dem wir mehrere Möglichkeiten aufzeigen, wo wir noch sparen könnten, damit es ohne die Schliessung weitergehen könnte», sagt Piguet. Einsparungen sind denn auch das schlagende Argument der Leitung der Spital Netz Bern. Zwar konnte sich die bei jungen Eltern beliebte Geburtenabteilung in den vergangenen Jahren stets über eine steigende Geburtenzahl freuen – im letzten Jahr ein Plus von 18 Prozent. «Zu uns kamen die werdenden Eltern aus Luzern und durch den Lötschbergtunnel», sagt Piguet.
Trotzdem: das Spital verzeichnete im vergangenen Jahr ein Defizit von 1,5 Millionen Franken und das Ideen- und Sparkonzept konnte die Spital Netz Bern nicht überzeugen. «Ich weiss allerdings nicht, wie fest Herr Haudenschild unsere Interessen vertreten hat», sagt Piguet. Die Spital Netz Bern AG verzichtet auf eine Stellungnahme.
Aufgeben wollen Piguet und ihre Kolleginnen jedoch nicht. «Hebammen geben nicht so leicht auf, wir sind es gewohnt zu kämpfen.» Derzeit werde geprüft, welche Art von Protest möglich ist, sagt Piguet vorsichtig. Nach einer Kundgebung oder nach einer Petition rufen indes einige auf der Facebook-Seite «Die Geburtshilfe Riggisberg darf nicht geschlossen werden». Dort sympathisieren schon bald 2300 Nutzerinnen und Nutzer mit den Riggisberger Hebammen. Von Rufen nach einer Petition für den Erhalt bis zu offenen Briefen an die Spital Netz Bern AG reichen die Wortmeldungen. Innerhalb eines Tages klicken über 50 Menschen den «Gefällt mir»-Button.
«Die Geburtshilfe Riggisberg darf nicht geschlossen werden.»
Solidaritätsseite auf Facebook
Sie fürchtet, dass die Schliessung der Geburtsabteilung nur der Anfang einer Salamitaktik ist, bei der letztlich das Spital geschlossen werden soll. «Das ist bereits bei zwölf Landspitälern in Bern passiert – immer mit dem Spar-Argument; angefangen wurde jeweils mit der Geburtsabteilung.» So geschah es auch beim Spital Meiringen, bei dem die Geburtenabteilung vor elf Jahren geschlossen wurde und fünf Jahre später verlor es den Status eines Akutspitals. Engagiert wurde damals um die Geburtsabteilung gekämpft – genützt hat es leider nichts. Heute haben die Meiringer noch ein Gesundheitszentrum mit ambulanter Notfallversorgung.