Politik - Meinung

Hat der Bypass Bern-Ost noch eine Zukunft?

von Willi Egloff 15. Oktober 2025

Verkehrspolitik Das unter dem Titel «Verkehr ’45» veröffentlichte ETH-Gutachten hält die Verlegung der Autobahn Wankdorf-Muri in einen Tunnel für «wenig prioritär». Die betroffenen Gemeinden sind mit diesem Befund gar nicht einverstanden.

Als «verkehrlich wenig prioritär“ bezeichnet der ETH-Professor Ulrich Weidmann in seinem Gutachten die Verlegung der A6 in einen Tunnel. Die nötigen Kapazitäten liessen sich seiner Meinung nach auch durch eine Umnutzung von Pannenstreifen gewährleisten. Eine Verlegung könnte nur «städtebaulich motiviert» sein.

Es ist kein falscher, aber ein sehr einseitiger Befund. Das Projekt Bypass Bern-Ost war nämlich von Anfang an – zumindest offiziell – auch städtebaulich motiviert. Es sollte nicht primär zusätzliche Verkehrskapazitäten schaffen, sondern den in den 1960er-Jahren begangenen Fehler des Baus einer Autobahn durch ein Wohnquartier korrigieren. Es wurde dementsprechend auch unter dem Begriff der «Stadtreparatur» propagiert.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass für das federführende Bundesamt für Strassen ASTRA andere Gründe im Vordergrund standen. Dort wurde das Projekt als «Engpassbeseitigung», also als Kapazitätserweiterung, betrachtet. Aus Sicht der Stadt Bern standen aber die Stadtreparatur und die damit angepeilte Aufwertung der Wohnquartiere klar im Vordergrund.

Mit dem Bypass Bern Ost sollen Muri und der Osten Berns entlastet werden. (Karte: ASTRA)

Für das ETH-Gutachten war diese Stadtreparatur kein relevantes Kriterium. Es ging bei der Beurteilung um den technischen Nutzen von Verkehrsangeboten, um den Kapazitätsausbau bei Engpässen, um Redundanz im Störungsfall, um die Wirtschaftlichkeit der Infrastruktur und um ähnliche technische Aspekte. Dass der Ersatz einer bestehenden vierspurigen Autobahn durch eine andere vierspurige Autobahn unter diesen Gesichtspunkten von vorneherein als unnötige Investition erscheinen musste, hätte eigentlich von Anfang an klar sein können. Der Kapazitätsgewinn wäre im Verhältnis zu den sehr hohen Kosten viel zu gering.

Protest der betroffenen Gemeinden

Der Gemeinderat des Stadt Bern stellte noch am Tag der Veröffentlichung des ETH-Gutachtens klar, dass er von dieser rein «verkehrlichen» Beurteilung gar nichts hält: «Aus Sicht der Stadt Bern ist eine solche einseitige Betrachtung von grossen Verkehrsprojekten nicht mehr zeitgemäss. Die Vorzüge des Bypasses Bern-Ost sind (…) vorab in der einmaligen Chance zur Stadtreparatur im Berner Osten zu suchen», heisst es in der Medienmitteilung der Stadt. Dementsprechend fordert sie den Bund auf, an der Realisierung des Bypasses Bern-Ost festzuhalten.

Bei der Gemeinde Muri klingt es ganz ähnlich. Auch der dortige Gemeinderat bedauert die Herabstufung des Tunnelprojektes im ETH-Gutachten und verlangt eine politische Korrektur aufgrund der städtebaulichen Bedeutung des Vorhabens. Für Muri bedeute die Verlegung eine verbesserte Lebensqualität und innere Verdichtung. Rund 450 Hektaren Landfläche könnten in den Gemeinden Bern, Muri und Ostermundigen dank des Tunnels anderen Nutzungen zugeführt werden.

Aus Sicht der Stadt Bern ist eine solche einseitige Betrachtung von grossen Verkehrsprojekten nicht mehr zeitgemäss

Allerdings dürfte es sehr schwierig werden, beim autophilen Verkehrsdepartement eine solche alternative Betrachtungsweise durchzusetzen. Das zeigt sich schon daran, dass die im ETH-Gutachten vertretene Haltung, den Ausbau der Autobahn im Grauholz trotz der klaren Ablehnung in der Volksabstimmung vom November 2024 zu priorisieren, von Bundesrat Rösti nicht etwa zurückgewiesen, sondern mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen wurde. Sein Augenmerk scheint nach wie vor auf dem Ausbau der Kapazitäten, nicht auf der Behebung der vorhandenen Schäden zu liegen.

Quartiervertretung verlangt die Einhausung der Autobahn

Wie prekär die heutige Situation für die betroffene Bevölkerung ist, zeigt eine aktuelle Stellungnahme der zuständigen Berner Quartiervertretung QuaV4. Diese verlangte vom Kanton schon im August die sofortige Überdeckung der bestehenden Autobahn. Dadurch solle das Quartier, unabhängig von der Entwicklung des Bypass-Projektes, besser vor den ständigen Immissionen geschützt werden (Journal B berichtete). Laut dem Präsidenten der Quartiervertretung, Jürg Krähenbühl, hat sich der Kanton Bern zu dieser Forderung bisher nicht geäussert. Umgekehrt hat die Quartiervertretung zur Herabstufung des Bypass-Projektes noch keine Stellung genommen, obwohl das von ihr vertretene Quartier davon direkt betroffen ist.

Ob eine nachhaltige Sanierung der Verkehrssituation im Osten Berns auf dem Wege der Einhausung der Autobahn möglich ist, erscheint allerdings als zweifelhaft. Insbesondere würde diese Lösung ein Präjudiz für die Beibehaltung der Autobahn im Wohnquartier darstellen und damit eine Stadtreparatur auf Jahrzehnte hinaus in Frage stellen. Denn – das machen die Reaktionen der Gemeinden Bern und Muri auf den ETH-Bericht klar – die Autobahn sollte eigentlich nicht zugedeckt, sondern verlegt werden. Dass es irgendwann dazu kommen wird, ist angesichts des Leidensdrucks und des städtebaulichen Potentials wahrscheinlich – aber wohl nicht unter der aktuellen Führung des Verkehrsdepartementes.

Für den Ausbau im Wankdorf könnte es eng werden

Auf einen zusätzlichen Aspekt weist der Verein Spurwechsel in seiner Stellungnahme zum ETH-Bericht hin: Wenn auf den Bypass Bern-Ost verzichtet werden solle, wie das Gutachten nahelegt, so mache auch der Ausbau des Autobahnanschlusses im Wankdorf definitiv keinen Sinn mehr. Das als «Spaghetti-Teller» verspottete Ausbauprojekt sei eng auf den Bypass Bern-Ost abgestimmt, und ein erheblicher Teil der Projektkosten entfalle auf die Verbindungen zu diesem geplanten Tunnel. Wenn dieser Bypass wegfalle, so sei auch der Ausbau des Autobahnanschlusses nicht mehr zu rechtfertigen.

Die Herabstufung des Bypass-Projektes zu einem rein städtebaulichen Anliegen, wie sie im ETH-Gutachten erfolgt, kann daher auch eine Chance sein: Sie ermöglicht einen Neustart bei der Diskussion um die Zukunft der A6 im Osten Berns, die nicht mehr vom Autoverkehr aus gedacht wird, sondern auf städtebauliche Aspekte ausgerichtet ist. Auch der Bund wird sich nämlich nicht auf Dauer über die Bedürfnisse der städtischen Bevölkerung hinwegsetzen können, sondern zur notwendigen Stadtreparatur Hand bieten müssen.