Neulich beim Velomech in Bümpliz. Ich hatte mein Problem vorher telefonisch angekündigt: «Weiss du, die Scheibenbremsen quietschen.» Ich kannte den Mann nicht, aber unter Bikern ist man per du. «Ja, klar, brings morgen vorbei», bestätigte er. Anderntags dann: «Ah, Sie sind der Mann, der gestern angerufen hat.»
Der junge Velomech siezt mich, weil er gut erzogen ist, ehret das Alter. Dass ich mich nicht geehrt, sondern mich dank der Sie-Keule ausgestossen fühlte, ist nicht sein Problem. Sondern meins.
Neulich neben der Schütz. Ich wartete nachts auf den 21er-Bus. «Hey, wosch Coci?», sprach mich der Mann von hinten an. Und als ich mich umwandte: «Sorry, ha gmeint, dr suechet öppis», siezte er mich. Coci ist der Strassenname für Koks, Kokain. Es gibt ja zum Glück noch Leute, vor allem wir Senioren, die das nicht wissen.
Soll ich mich freuen oder ärgern? Zum Beispiel dann, wenn ich den herumhüpfenden penetrant fröhlichen Spendensammlern auf dem Bahnhofplatz begegne. Sie beachten mich nicht und bitten nur Junge um eine Patenschaft für den WWF, eine Spende für Amnesty oder einen Beitrag für Greenpeace. Dialoger heissen diese Leute. Sie haben einen mies bezahlten Stressjob. Möglicherweise würde ich aus purem Mitleid was geben.
Das Marketing-Du ist mir zuwider. Habe ich mit Tim Cook Aepfel aufgelesen? Habe ich mit Ingvar Ikea Kamprad ein Billy-Gestell zusammengebaut? Nein, habe ich nicht.
Die Werbeindustrie entdeckt die Senioren. Sie haben Geld und wollen dazugehören. Bis zu den Dialogern und Dealern ist dies noch nicht durchgedrungen. Aber ins Gastrobusiness. Denn neulich in den Drei Eidgenossen, dem Szenelokal an der Rathausgasse. «Willst du ein kleines oder grosses Bier?», fragt mich die Kellnerin. Und zu meinem Gegenüber: «Was soll ich Ihnen bringen?» Da kommt doch Freude auf. Liegts an meinen roten Hosen oder an der kecken Mütze? «Anyway», sage ich mir voll easy. Hauptsache, ich gehöre dazu. Die Erkenntnis folgt später. Die Kellnerin hat mich nicht geduzt, weil sie mich als jung taxierte. Sondern weil sie mich nur von hinten sah.
Allerdings ist es nicht so, dass ich mich übers Duzen immer freuen würde. Das Marketing-Du ist mir zuwider. Habe ich mit Tim Cook Aepfel aufgelesen? Habe ich mit Ingvar Ikea Kamprad ein Billy-Gestell zusammengebaut? Nein, habe ich nicht. Trotzdem klopfen mir die Mitarbeitenden dieser und vieler anderer Firmen verbal auf die Schultern und sagen du zu mir.
Journal B unterstützen
Unabhängiger Journalismus kostet. Deshalb brauchen wir dich. Werde jetzt Mitglied oder spende.
Ich weiss, das Du soll Nähe und Vertrauen schaffen. Duzfreunde zieht man etwas weniger über den Tisch. Und ich weiss, dass sich die Du-Sie-Grenze verschoben hat. In vielen Firmen und Institutionen, in manchen Ländern ist Duzen längst Alltag. In Schweden gibt es Leute, die sagen auch seiner Majestät Carl XVI. Gustaf: «Hej kung, hur mår du?»
Abgeschweift. Hierzulande sollten sich Firmen und Institutionen, die sich an alle wenden, an die obere Grenze des Höflichkeitsspektrum halten. Ich bin weder mit Salt noch mit der Migros oder mit Aldi befreundet. Also, liebe Marketingleute, verzichtet auf das Rhetorten-Du und begrüsst mich so, wie’s der Anstand will: «Guten Tag, Herr Steiger».
Geschätzte Marketingleute, ich habe mit euch weder Schweine gehütet noch in der Beiz ein Bier getrunken.