Hände weg von der Kunsthalle!

von Christian Pauli 6. September 2013

KOLUMNE | Eine rot-grün dominierte Stadt, die ihren Bewohnern ein lebenswerter, sinnstiftender Ort sein will, sollte Sorge tragen zu seinen Kunstinstitutionen. Zum Beispiel zur Kunsthalle, die auch ein befremdlicher Ort sein kann.

Kürzlich wollte ich mit meinem 13-jährigen Sohn in die Berner Kunsthalle. Wir hatten eben das Stadttheater besucht, wo ich meinem Sohn und ein paar anderen Zuhörern aus dem Jugendroman «Tschick» vorgelesen hatte. Es regnete und ich dachte, die tolle Ausstellung von Virginia Overton könnte für den Jungen einen kurzen Besuch wert sein.

Seine Antwort aber war ganz einfach Nein: «Dort ist es so komisch.»

Christian Pauli

Seine Antwort aber war ganz einfach Nein: «Dort ist es so komisch.» Hurra!, dachte ich, ganz Kulturbern, dem ich mich so verpflichtet fühle, solidarisiert sich mit der Kunsthalle, derweil mein Sohn in wenigen Worten klar macht, warum dieser Kulturort es immer wieder so schwer hat.

Ich verstand meinen Sohn sofort und dachte, dass ich ihn sicher nicht dorthin bringen will, wenn es für ihn «komisch», also befremdlich und unangenehm ist. Wir gingen ins Alpine Museum, wo wir aber in der Cafeteria stecken blieben, ein Sandwich verspeisten, und wo ich das letzte Kapitel von «Tschick» vorlas. (Zwei Tage später sollte Wolfgang Herrndorf, der Autor von «Tschick», seiner Erkrankung ein Ende bereiten.)

Vermutlich wäre die Kunsthalle für den 14-jährigen Maik Klingenberg und seinen schwulen Russenfreund Tschick, mit dem er in einem Lada Niva durch ein faszinierend ungeordnetes Ostdeutschland kurvt, auch eine eher befremdliche Angelegenheit. Und vermutlich hätten die beiden in der Kunsthalle irgendeinen Mist gebaut, um dann auf eine noch verrücktere Art und Weise zu flüchten.

Ich habe zur Kunsthalle eine sehr emotionale Bindung.

Christian Pauli

Für mich ist dieses Befremden echt seltsam, weil ich zur Kunsthalle, die ich als junger Erwachsener entdeckte, eine sehr emotionale Bindung habe. Mir bleibt unvergesslich, wie Michael Asher im Jahre 1992 alle Radiatoren der Kunsthalle in einen Raum gepfercht hat, inklusive neu gelegten Heizungsrohren.

Ich denke gerne und oft daran, wie ich beim Johannes Gachnang zu Hause war, oben beim Muristalden, dem Kunsthalle-Kuratoren, dessen Amtszeit 1974 bis 1982 ich nicht bewusst erlebt habe. Dieser Mann, Künstler und Kunstvermittler, hat mich tief beeindruckt. Ich wusste von seiner Zeit in der Kunsthalle und lauschte fasziniert seinen bedächtigen und zugleich verschmitzten Ausführungen über die Kunst, über Bern, über die Kunsthalle. Ich realisierte, dass hier eine Geschichte erzählt wird, die für mich ein Bern darstellt, zu dem ich mich hingezogen fühle.

Das ist bis heute so geblieben. Ich gehe gerne und oft in die Kunsthalle – meist weniger wegen den Künstlerinnen und Künstler, die dort ausstellen und die ich in der Regel nicht kenne, sondern weil mir diese ruhigen Räume Ohren und Augen öffnen. Und dies in einer Stadt, die mir immer wieder so in sich gekehrt vorkommt.

Die Kunsthalle ist für Bern ein Tor zur Welt und für die Welt ein Tor nach Bern.

Christian Pauli

Das ist pathetisch, selbstverständlich. Aber ich sage es dennoch: Die Kunsthalle ist für Bern ein Tor zur Welt und für die Welt ein Tor nach Bern. Bern ohne Kunsthalle wäre nicht das Bern, in dem ich mich seit bald 50 Jahren daheim fühle.

Persönlich geprägtes Pathos ist ein ambivalentes Argument, um für den Erhalt einer Kulturinstitution zu kämpfen, die nun gerade in den Strudel eines halbgaren und billigen Angriffs geraten ist. Ambivalent auch, weil die Kunsthalle in der Tat ein eigentümlich unnahbarer Ort ist, dessen Repräsentanten es offensichtlich immer wieder schwer fällt, aus ihrer bizarren Globalkunstwelt herauszutreten.

Es fällt mir nicht leicht zu sagen, dass es die Kunsthalle braucht, weil es in der Schweizer Hauptstadt einen öffentlich verordneten Raum für zeitgenössische Kunst braucht. Zeitgenössische Kunst ist ein seltsamer Gast in meinem Leben. Ich verstehe wenig davon. Sie zieht mich an und stösst mich auch ab, wenn ich als halbwegs versierter Kultur-Jetsetter wieder mal an eine Vernissage mit anschliessendem Essen für Eingeweihte geladen werde.

Die Identität der Kulturstadt Bern wird von stümperhaften Politikern sorglos aufs Spiel gesetzt.

Christian Pauli

Die Kunsthalle-Debatte geht um die Identität einer Kulturstadt, für die wir einstehen müssen, weil sie von stümperhaften Politikern sorglos aufs Spiel gesetzt wird. Darum sage ich vor allem auch aus politischen Gründen: Hände weg. Eine rot-grün dominierte Stadt, die ihren Bewohnerinnen und Bewohnern ein lebenswerter, sinnstiftender Ort sein will, sollte Sorge tragen zu seinen Kunstinstitutionen. Und entschieden Nein sagen, wenn ein ideenloses, politisches Spielchen getrieben wird.

Wenn die Kunsthalle nachhaltig ramponiert ist, werden den kunst- und lebensfeindlichen Kreisen in dieser Stadt Tür und Tor geöffnet. Vielleicht kann ich das auch mal meinem Sohn verklinkern. Und wenn das nicht gelingt, wird er mit dem Skateboard seine Stadt entdeckt haben. Auch gut.