Gruebe-Buch 2.0

von Willi Egloff 26. Oktober 2022

Das Buch, das die 188-jährige Geschichte des Knabenerziehungsheims «Auf der Grube» in Niederwangen nachgezeichnet hatte, war dem Feuer zum Opfer gefallen. Nun ist es neu entstanden: direkter, vielseitiger, noch näher an der bedrückenden Vergangenheit.

Es war keine schöne Geschichte, welche die 2013 erschienene Chronik über das Knabenerziehungsheim «Auf der Grube» in Niederwangen zu erzählen hatte. Fredi Lerch hatte dort in akribischer Arbeit aus Jahresberichten, Sitzungsprotokollen, Berichten von Aufsichtsbehörden und anderem mehr die Vergangenheit der Institution rekonstruiert, die 1825 unter dem Namen «Rettungsanstalt für arme und verlassene Buben» gegründet worden war.

Das Buch war aus Anlass der definitiven Schliessung des Heims im Auftrag des Stiftungsrates entstanden und richtete sich an die ehemaligen «Gruebe-Buebe». Laut Vorwort wollte sich der Stiftungsrat bei ihnen ausdrücklich dafür entschuldigen, dass sie auf der Grube «nicht das erfuhren, was ihnen zustand: Schutz, Wertschätzung, Wohlwollen, physische und psychische Unversehrtheit».

Als Folge eines Rechtsstreits wurde das Buch drei Jahre später aus dem Verkehr gezogen und die Restauflage still und heimlich entsorgt (Journal B berichtete darüber). Das aber wollten die ehemaligen «Gruebe-Buebe» nicht hinnehmen. Mit einer Petition verlangten sie die Neuauflage des ihnen gewidmeten Buches. Journal B hatte sie in dieser Forderung unterstützt, indem es das Buch auf seiner Webseite wenigstens digital wieder zugänglich machte.

Keine Neuauflage, sondern ein neues Buch

Nun gibt es zwar keine Neuauflage, dafür aber ein weitgehend neues Buch über die 188-jährige Geschichte des Knabenerziehungsheims. Zwar sind grosse Teile von Fredi Lerchs Chronik darin erneut abgedruckt – und sie sind unverändert lesenswert. Den Hauptteil machen aber neu verfasste Erfahrungsberichte von Betroffenen aus. Sie schildern in eindringlichen Worten, was sie in ihrer Jugendzeit erlebt haben und wie sie später mit dem Erlebten umgegangen sind. Einer von ihnen, Heinz Kräuchi, hat seine Erinnerungen in ein kurzes Theaterstück gepackt, das ebenfalls abgedruckt wird.

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Neu ist auch eine Zusammenstellung von Erinnerungen aus der Sicht ehemaliger Leitungspersonen und Angestellter. «Der Gruebe langer Schatten», ist der vom Urs Hafner verfasste Text überschrieben. Den Abschluss bildet ein Gespräch von Heinz Kräuchi mit den Fachpersonen Margrit Lienhart und Peter Schallenberger über die sozialgeschichtliche und die sozialpädagogische Einordnung der Geschichte der Institution.

Ein Auftrag an die Gesellschaft, von dieser Geschichte Kenntnis zu nehmen und sie in das kollektive Geschichtsbild zu integrieren.

Wie Tanja Rietmann in ihrem Vorwort zum neuen Buch schreibt, ist dieses «ein Auftrag an die Gesellschaft, von dieser Geschichte Kenntnis zu nehmen und sie in das kollektive Geschichtsbild zu integrieren.» Welche sozialen Gegebenheiten haben dazu geführt, dass solche Institutionen jahrzehntelang unangefochten existieren konnten? Wer ist dafür persönlich, institutionell, politisch oder gesellschaftlich verantwortlich? Dabei geht es dem Buch nicht um Antworten, sondern darum, dass diese Fragen auch heute immer wieder gestellt werden.

Am kommenden Sonntag, 30. Oktober, findet um 17 Uhr im Rossstall des Kulturhofs Schloss Köniz eine Vernissage zum neuen Gruebe-Buch statt.