Der Plot des Romans ist relativ schnell erzählt: Hunter White, ein steinreicher Amerikaner, begibt sich nach «Afrika», um seine Sammlung von Trophäen der sogenannten «Big Five», der grossen fünf Wildtiere, zu vervollständigen. Den Elefanten, den Leoparden, den Büffel und den Löwen hat er bereits bei früheren Safaris erlegt. Es fehlt ihm nur noch der Kopf des Nashorns. Dafür hat er sich für teures Geld eine Lizenz gekauft, die ihm das Jagen eines Nashorns in einem Naturreservat im südlichen Afrika offiziell erlaubt. Doch es ergeben sich diverse Komplikationen, mit denen der geübte Schütze und begeisterte Naturliebhaber nicht gerechnet hat…
Mehr als eine Jagdgeschichte
«Hunter mag Afrika nicht. Für ihn ist Afrika ein grosses Naturreservat, von Gott geschaffen, um ihm Freude zu bereiten; dass dort auch Menschen leben, hat er nie wirklich realisiert, geschweige denn, dass er sich für sie oder ihre Lebensumstände interessiert hätte. Afrika ist sein Vergnügungspark, sein Jagdgebiet. Mehr nicht.»
Mit diesen Worten beschreibt Gaea Schoeters Hunter Whites Einstellung zu seinem Unterfangen. Mit einigem Befremden begleitet man den Grosswildjäger bei seinen Vorbereitungen auf die Jagd, beim Umgang mit den für ihn angeheuerten Gehilfen und Fährtenlesern, bei seinen Begegnungen mit den dort lebenden Menschen. Und unwillkürlich ist man beim Lesen selbst mittendrin im Geschehen – die Bilder, die wir von «Afrika» haben, scheinen wie in einem Film auf. Man folgt gebannt den verschiedenen Stationen, die eine Grosswildjagd mit sich bringt, den vielen präzisen Details, erzählt in einem Spannungsbogen wie in einem Abenteuerroman.
Ich habe mich immer wieder ertappt, wie exotisierende Bilder automatisch auftauchten.
Ist das ein bewusst gewähltes Stilmittel, um der Leserin, dem Leser sozusagen eine Falle zu stellen und ihnen die verinnerlichten Bilder, die über den afrikanischen Kontinent nach wie vor präsent sind, vor Augen zu führen? Gaea Schoeters sagt, dass es ihr beim Schreiben selber so ergangen ist: «Ich habe mich immer wieder ertappt, wie exotisierende Bilder automatisch auftauchten. Wir kennen die Stereotype über ‹Afrika› aus alten Geschichtsbüchern, aus Kinderbüchern, aus der Werbung, aus Ferienprospekten. Wir sehen die in Gelb und Rot getauchten Sonnenuntergänge wie im Film ‹Out of Africa›, die Tiere auf freier Wildbahn, die erotisierend dargestellten Körper der Menschen. Wir sind mit diesen Bildern sozialisiert worden, und sie bestehen bis heute. Es fiel mir sogar ziemlich leicht, die kolonial geprägte Haltung aus Hunter Whites Perspektive zu beschreiben.»
Wie kommt Gaea Schoeters dazu, sich für ihren Roman eine derart bizarre Figur vorzunehmen und mit ihm auf Jagd zu gehen? «Ich habe eine Schwäche für unangenehme Charaktere», gesteht sie, «ich interessiere mich für Figuren, die ganz anders sind als ich selbst. Indem ich mich ihnen nähere, versuche ich nachzuvollziehen, wie Menschen, die ganz anders ticken als ich, funktionieren und wie sie sich ihr Leben zurechtlegen. Ohne ihre Haltungen gutheissen zu müssen, kann ich dabei versuchen, dem auf den Grund gehen, was uns als Menschen ausmacht und wo wir vielleicht Ansichten teilen.»
Das Fremde von innen heraus begreifen
Gaea Schoeters’ Interesse an solch unangenehmen und sperrigen Zeitgenossen hat vor allem mit der Beobachtung zu tun, dass viele von uns sich in Bubbles aufhalten. «Wir bevorzugen es, uns mit Gleichgesinnten zu treffen. Wir leben gerne umgeben von Menschen, die denken und handeln wie wir.» Die Debatten rund um Identität und Identitäten führten laut Schoeters jedoch zu einem stark polarisierten Denken. «Klar, es ist absolut legitim, dass Minderheiten für ihre Rechte einstehen und dafür kämpfen, von der Gesellschaft gesehen zu werden. Ich unterstütze das auch. Aber gleichzeitig führt die Fokussierung auf Identität oftmals zu einem eindimensionalen Blick auf die Welt.»

Der Schriftstellerin ist es ein Anliegen, Menschen mit einem anderen Weltbild nicht von aussen her zu beurteilen und sozusagen als Gegner zu sehen. Man müsse sich stets fragen: «Bin ich denn so viel besser als sie? Bin ich etwa frei von Vorurteilen?» Schoeters schlägt vor, sich auf Gemeinsamkeiten zu konzentrieren: «Wenn wir nicht aus unserer Bubble herausschauen, kommen wir einander nicht näher. Das Wichtige ist deshalb, dass wir etwas finden, das wir teilen und worüber wir reden können. Wenn wir diese Verbindung finden, können wir einander auch wieder als Menschen begegnen. Und wenn wir einander als Menschen sehen, können wir auch anfangen darüber zu reden, worüber wir anders denken.»
Menschen auf der ganzen Welt hätten grundsätzlich die gleichen Bedürfnisse. Sie möchten anständig und zufrieden leben können, ihren Kindern eine Zukunft bieten, sich in einem konfliktfreien Umfeld aufhalten. «Die Menschen verbindet bei allen Unterschieden eigentlich mehr, als sie trennt. Über solche Gemeinsamkeiten könnten Brücken gebaut werden.»
Indem sich die Autorin in den Grosswildjäger, diesen für sie völlig fremden Mann versetzt, gelingt es ihr, aus dem zunächst unsympathisch daherkommenden Charakter die Seiten herauszuschälen, die ihn, den Jäger, als verletzlich und empfindsam zeigen. Er ist ein Mensch, der sich auch ethischem Verhalten verpflichtet fühlt – und im Laufe der Geschichte selbst zum Gejagten wird. Hunter White muss sich jenen existentiellen Fragen stellen, die alle Menschen betreffen.
Erzählen, um die Welt zu verstehen
Worauf führt Gaea Schoeters den Erfolg ihres Buchs zurück? Ist es das exotische Setting, in dem der Roman spielt? Oder ist es vielmehr die Herangehensweise an die Figur des weissen Privilegierten? «Es ist wohl beides», meint die Autorin, «das Interesse, sich mit kolonialen und neokolonialen Situationen auseinanderzusetzen, ist in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum stark gewachsen. Insbesondere in Deutschland, das sich in den vergangenen Jahrzehnten vor allem mit dem Erbe des Zweiten Weltkriegs und der innerdeutschen Wende befasst hat, hat sich die Aufmerksamkeit in jüngerer Zeit auch auf dessen Rolle während der Kolonialzeit gerichtet. Und selbst in Ländern wie der Schweiz oder Österreich ist die Thematik mehr als zuvor in der Öffentlichkeit präsent.» Bemerkenswert sei allerdings, dass «Trophäe», obwohl bereits auf Englisch übersetzt, bisher noch keinen Verlag im angelsächsischen Raum gefunden hat. «Die Thematik sei aktuell zu sensibel, wie mir gesagt wurde.»
Wahrscheinlich wähle ich Männer als Protagonisten, weil sie mir so fremd sind
«Trophäe» ist Gaea Schoeters’ erster übersetzter Roman. Die Schriftstellerin arbeitete früher als Dolmetscherin, als Journalistin, als Librettistin für Opern, als Drehbuchautorin für Theater und Fernsehen sowie als Reisebuchautorin. Die Lust am Erzählen und Erfinden von Geschichten sei wahrscheinlich wegen ihres Elternhauses entstanden: «Wir hatten zuhause keinen Fernseher, aber eine sehr grosse Bibliothek. Seit ich mich erinnern kann, habe ich immer gelesen, und ich bin meinen Eltern dankbar, dass sie mir diese Möglichkeit geboten haben. Über das Lesen konnte ich in unterschiedlichste Welten eintauchen, in Welten, die ich nicht kannte. Ausserdem war ich in meiner Kindheit von vielen Erwachsenen umgeben. Vieles habe ich als Kind nicht verstanden. So habe ich mir Geschichten ausgedacht, wie das Unverständliche für mich verständlich gemacht werden konnte.»
In eine vollständig andere Welt eingetaucht ist die Autorin auch in ihrem vor Kurzem fertiggestellten neuen Roman. Es geht um einen deutschen Kanzler in schwierigen Zeiten. «Mir ist bewusst, es ist erneut ein Mann mit einem schwierigen Charakter», sagt Gaea Schoeters fast entschuldigend. «Aber wahrscheinlich wähle ich Männer als Protagonisten, weil sie mir so fremd sind», ergänzt sie lachend. Man darf auf jeden Fall gespannt sein. Die Veröffentlichung der deutschen Übersetzung ist auf den 23. Juli geplant.
Dieser Beitrag erschien zuerst beim Länggassblatt.