«Gespräche über das Leben»

von Christoph Reichenau 29. März 2021

Ein Glück, dass das Museum für Kommunikation in Bern, die Ausstellung «Death an Birth in my Life» vom 1. April bis 30. Mai 2021 wieder aufnimmt. Im Oktober 2020 eröffnet, fiel sie bald den Corona-Massnahmen zum Opfer. Nun haben wir eine zweite Chance. Die Ausstellung öffnet uns Wege zum Tod und zu uns selbst.

Journal B schrieb zur Eröffnung: Vier kleine Kinos beherbergt das Untergeschoss des Museums für Kommunikation (MfK). Sie stehen wie Feuerstellen im halbdunklen Raum. Ein paar Stühle pro Kino, Kopfhörer. Man blickt auf zwei grosse Bildschirme. Auf jedem schaut eine Person uns an. Die beiden Personen reden eine Stunde lang zueinander, zu uns, miteinander. Das Thema: Death and birth in my life.

Acht Paare: Zwei Frauen, zwei Männer, Frau und Mann, Alte und Junge. Sie leben und reden in Johannesburg, in Manchester, in Frankfurt. Sie erzählen sich von ihrer Geburt und von dem, was am Ende des Lebens auf sie wartet. Und natürlich von ihrem Leben zwischen dessen bekanntem Anfang und ungewissen Ende.

Die zwei alten Frauen in Frankfurt berichten von Freuden, von Krankheit, Unfällen, Selbstmorden, von Krieg, Entbehrung, Versehrung, von Heilung, von Erleben und Überleben, von Erwartungen, Hoffnungen, Sehnsüchten. Sie haben die Kinderlähmung überwunden («ich wollte den Eltern meinen Tod nicht zumuten»). Sie sind stolz auf Verwandte, die in Würde eine schwere Krankheit ertrugen. Sie finden Trost im Glauben oder sie haben den Glauben verloren und freuen sich für jene, denen er hilft. Sie leben trotz aller Pein – oder gerade weil diese ihnen Kraft verlieh – gern: «Wir hatten schwere Zeiten, das hat uns stark gemacht; wir haben jeden Tag Freude am Leben». Und sie finden am Ende des Gesprächs: «Es ist gut, dass wir uns getroffen haben; wir müssen uns wiedersehen.»

Der Mann, der die zwei Frauen zusammengebracht hat und uns nun ihr Gespräch im MfK zugänglich macht, ist Mats Staub aus Muri, heute in Berlin zu Hause. Er ist Journalist, Theater- und Ausstellungmacher. «Meine Grosseltern ¦ Erinnerungsbüro» (2010) und «21 – Erinnerungen ans Erwachsenwerden» (2013) waren im MfK schon zu sehen. In «Death and birth in my life» geht es wieder um Erinnerung, aber auch um Ahnung von der Zukunft, die uns allen bevorsteht. Der Titel ist Englisch, weil Staub in Johannesburg war, als er das Thema aufnahm.

Acht Gespräche von je einer Stunde. Man muss sich darauf einlassen, den Rhythmus aufnehmen, in den Gesichtern lesen, den Lebensläufen folgen. Die zwei Menschen schauen sich an, während sie reden. In der Projektion blicken beide zu uns, wie wenn sie mit uns im Gespräch wären. Wir werden einbezogen, das schafft Nähe und Vertrautheit. Aus den Filmen spricht angewandte Lebensphilosophie, so viel konkreter und wertvoller als Reminiszenzen à la Alain de Botton.

1958 hat die jüdische Philosophin Hannah Arendt im Werk «Vita activa oder Vom tätigen Leben» den Begriff der Natalität eingeführt. Danach kommt auf der Welt «dem Neuankömmling die Fähigkeit zu (…), selbst einen neuen Anfang zu machen, d.h. zu handeln». Jeder Mensch, der ins Leben tritt, hat grundsätzlich die Möglichkeit, es zu gestalten – und damit auch das Leben anderer Menschen. Mit jeder Geburt also erhält die Menschheit (hochgestochen gesagt) eine neue Chance. Wie verschiedenartig diese sein kann, zeigt die neue Ausstellung im Mfk beispielhaft: leise, ruhig, zum Nachdenken über sich anregend.