Gentri-fickt euch!

von Nina 24. April 2024

Kolumne Die Lorraine ist das gentrifizierte Berner Quartier par excellence. Das musste Nina während der Wohnungssuche am eigenen Leib erfahren.

Ich sitze in einem süssen kleinen Pärkli in der Lorraine, dem Quartier, in dem ich mein ganzes bisheriges Leben verbracht habe, in meinem Quartier. Ich verspüre eine Hassliebe zu diesem Teil Berns: Die Frühlingssonne strahlt auf mich herab, die Vögel zwitschern laut vor sich hin, doch alles, was ich denken kann, ist: «Ich hasse Verwaltungen, ich hasse Gentrifizierung, ich hasse Kapitalismus, fickt euch doch alle.»

Seit nunmehr einem Dreivierteljahr suchen meine derzeitigen WG-Mitbewohnis und ich eine neue Wohnung, ein neues «Deheime». Erfolglos.

Angefangen hat der ganze Spass Ende des letzten Sommers: Wir wollten eine Freundin, die gerade das Gymnasium abgeschlossen hatte und ready war auszuziehen, zu uns holen. Da aber unser Zuhause nur drei Zimmer hat, schien uns die Sache klar: Wir finden eine grössere Wohnung, ganz einfach. Aber Inflation, steigende Mietpreise und erhöhte Nebenkosten liessen uns schnell spüren, dass dieses Vorhaben alles andere als einfach werden würde.

Also heckten wir einen Plan aus: Wir einigten uns auf einen Radius (zentral zu wohnen ist für unseren Arbeits- und Schulweg unabdingbar), eine Schmerzgrenze bezüglich Miete (und eine zweite, höhere für den Fall, dass wir sonst nichts finden) und Mindestanforderungen für den Zustand der Wohnung (einen Dampfabzug zu haben wär schon nice…).Wir verteilten Verantwortungen (Inserate anschauen und aussortieren, Besichtigungen koordinieren, Bewerbungen schreiben und schicken) und kümmerten uns um eine Solidarhafterin, denn wer gibt schon vier «broken» linken Arbeiter*innen und Studis Anfang 20 eine teure Wohnung? (Tatsächlich wurde uns als Ablehnungsgrund auch schon gesagt: «Schliesslich wollen wir ja nicht die Reitschule vor unserem Haus versammelt haben…»).

Vielleicht machten wir etwas grundlegend falsch, es konnte doch nicht sein, dass uns niemand wollte?

Also immoscoutet-en, flatfoxt-en, ronorpt-en, besichtigten und bewarben wir uns, was das Zeug hielt, ununterbrochen, über mehrere Monate hinweg. Von den meisten Verwaltungen hörten wir nie etwas. Wir konnten uns glücklich schätzen, wenn wir in irgendeiner Form eine formale Absage erhielten. Eine Zusage – egal für welche der dutzenden Wohnungen – schien immer mehr zum Traum zu werden. Nach einem halben Jahr Bürokratiestress, Frust und einigen verdrückten Tränen fingen wir uns ernsthaft an zu fragen, ob es an uns lag. Vielleicht machten wir etwas grundlegend falsch, es konnte doch nicht sein, dass uns niemand wollte?

Doch, das kann eben genau sein. Und «das» nennt sich Gentrifizierung: Ein sozioökonomischer Prozess, in dem durch «Aufwertung» des Quartiers die Attraktivität gesteigert wird, wodurch reichere Eigentümer- und Mieter*innen angelockt werden, welche die Preise erhöhen und die bereits dort wohnenden Menschen an den Rand drängen oder ganz vertreiben.

Viele Familien meiner Kindheits-Friends können sich schon lange nicht mehr leisten, hier zu wohnen und mussten in die Agglomeration ziehen.

Die Lorraine ist das Gentrifizierungs-Beispiel par excellence: Anfang 20. Jahrhundert noch ganz Arbeiter*innen-Quartier (hier war der erste Bahnhof der Stadt Bern und mit ihm seine Arbeiter*innen zu finden) und in den 90er Jahren als sogenanntes A-Quartier (“Arme, Arbeitslose, Ausländer und Alternative”) abgestempelt, ist es heute zum Hipster-Hotspot mit veganen Kafis, teuren Brockis und verkapitalisiertem Lifestyle-Linkssein geworden.

Die wenigen öffentlichen Orte, die noch kollektiv organisiert sind, kämpfen mit aller Kraft um ihr Überleben (beispielsweise die Brass und der Q-Laden). Viele Familien meiner Kindheits-Friends können sich schon lange nicht mehr leisten, hier zu wohnen und mussten in die Agglomeration ziehen. Mein Vater kann seine Wohnung nur zahlen, weil er seit über zwölf Jahren unermüdlich gegen jede Mieterhöhung kämpft und sich mit Mietrecht auskennt.

Und für unsere WG war mittlerweile klar geworden, dass wir auch zu dritt nicht in unserer Wohnung in der Lorraine bleiben können, da unsere liebe Verwaltung uns ein Jahr Zeit gibt, bis wir ausziehen müssen, weil sie den ganzen Block neu sanieren und dann teurer vermieten möchten (Aufwertung… klingelt da was?).

Kurz: Die verdammte Gentrifizierung hat uns einen Strich durch die eh schon brutal teure Rechnung gemacht!

Umso aufgeregter waren wir, als wir vor ein paar Wochen unsere Traumwohnung mitten in der Lorraine fanden: Dampfabzug, grosser Kühlschrank, Terrasse und nur 100 Franken über unserer zweiten, höchsten Schmerzgrenze! Da müssen wir zupacken! Wir bewarben uns, gingen persönlich mit den Vormieter*innen sprechen, backten ihnen einen Kuchen und bekamen ihre Zusage. Wir waren überzeugt: Fast ein Jahr Dauerstress hat sich gelohnt, wir ziehen da jetzt ein! Dann schaltete sich die Verwaltung ein: «Bitte beachten Sie, dass wir den Mietzins an die Marktmiete anpassen müssen und sich der neue Mietzins deshalb wie folgt zusammenstellt: …»

Eine Mail, 450 Franken mehr Miete, Traum geplatzt. Kurz: Die verdammte Gentrifizierung hat uns einen Strich durch die eh schon brutal teure Rechnung gemacht!

Extrem wütend und völlig im Stress mussten wir die Kündigung unseres jetzigen Mietverhältnisses zurückziehen (wir waren so sicher, dass wir einziehen würden, dass wir unsere Wohnung bereits gekündigt hatten!) und sind nun gezwungen, weiter zu suchen.

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Jetzt sitz’ ich also da, in einem Quartier, das ich nicht wirklich wiedererkenne, das nicht mehr wirklich meins ist, umringt von Yuppies und renovierten Gebäuden und merke einmal mehr: Jammern ist zwar schön und gut, muss auch mal sein, aber wütend sein ist besser. Ich bin eine*r von vielen, denen es so geht. Mit diesem Quartier, mit dieser Stadt. Und trotz allem gehöre ich zu denen, die immer noch bedeutend höhere Chancen haben, eine Wohnung zu finden, als viele andere Menschen, die hier leben. Hätte ich einen unsicheren Aufenthaltsstatus, keine Unterstützung meiner Familie oder keine Arbeit (um nur ein paar Faktoren aufzuzählen), sähe meine Ausgangslage komplett anders aus.

Mit ganz viel Liebe im Herz habe ich also eine Botschaft zu übermitteln. Sehr geehrte Verwaltungen und Kapitalist*innen dieser Welt: Gentri-fickt euch!