Gendergaga

von Mo 16. November 2023

Gender Beim Gendern gehe es nicht darum, was wir sagen dürfen, sondern was wir sagen wollen, schreibt unsere Kolumnistin Mo.

Letzten Samstag war ich mit meinem Beziehungsmenschen in der Stadt unterwegs. Wir spazierten im Feierabendverkehr vom Bollwerk Richtung Hirschengraben und überlegten, wo wir am einfachsten durchkommen würden. «Der Fussgängerstreifen!», schlug mein Freund vor. Ich lachte und neckte ihn, er solle gefälligst gendern wie ein anständiger Gutmensch, woraufhin er erwiderte: «Na gut, dann eben der Fussgängerstreifen*innen». Ich kriegte mich nicht mehr ein vor Lachen.

Diese Anekdote kommt mir oft in den Sinn, wenn irgend so ein Roland (so nennt die grossartige Anna Rosenwasser gewisse ältere Herren, Sie wissen schon) in einer Zeitung oder einer Talkshow etwas von der undankbaren Jugend erzählt, die die hübsche Binarität der Geschlechterordnung aufzuweichen versucht, statt sich brav in einen 43-Stunden-Job zu fügen. Von Verbotskultur und Cancel Culture wird gesprochen, von Sprachpolizei und dem Ende der Redefreiheit.

Nun ist es aber so, dass es beim Gendern nicht darum geht, was wir sagen dürfen, sondern, was wir sagen wollen. Ich zum Beispiel will gendern. Ich finde es wichtig, dass Sprache die Realität abbildet, und meine Welt ist nun mal nicht binär, und schon gar nicht männlich dominiert. Ausserdem weiss ich sehr genau, dass Sprache auch unsere Vorstellung und unsere Welt beeinflusst. Mag gut sein, dass Sie sich unter «Feuerwehrmann» Ihre Tante Gertrud vorstellen, mein Hirn ist da nicht so fortschrittlich. Und auch Lehrer waren in meinem Kopf immer Männer, obwohl mehr Frauen meine Klasse unterrichteten.

Was mich selbst betrifft ist es mir bitzli veggie-wurst, wenn mensch mich, sagen wir, als Student bezeichnet.

Für mich und meine Freund*innen ist Gendern vor allem eins: Nebensache. Wir gendern munter von der Leber weg, mal holpert’s, mal ergeben die Fallendungen keinen Sinn mehr, und manchmal ist der gute Herr Doktor bei Ärzt*in halt mitgemeint, weil meine Tastatur einfach keine Stärndli über das A machen will. Ich gendere beim Zähneputzen, beim Kochen und beim angetrunkenen Deeptalk in irgendeiner WG-Küche, beim WhatsApplen, Kinderhüten, Einkaufen, beim Streiten und beim Blumenpflücken. Es ist Teil meiner Sicht auf die Welt und meines Daseins, und als solches, wie ich, unvollständig und fehlerhaft.

Nun sehen das natürlich nicht alle Menschen so. Das Bildungsministerium von Sachsen-Anhalt verbietet zum Beispiel, dass an den Schulen des Bundeslandes gegendert wird. Und auch Esther Friedli von der SVP liess sich kürzlich im Bund zitieren, ihre Partei werde auf allen Ebenen Vorstösse einreichen, um das Gendern zu verbieten (wie war das nochmals mit linker Verbotskultur?).

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Was mich selbst betrifft ist es mir bitzli veggie-wurst, wenn mensch mich, sagen wir, als Student bezeichnet. Ich fühle mich halt nicht so angesprochen. Wenn wer also grad versucht, mich für ein Studienfach, eine Umfrage oder ein Gespräch zu gewinnen, werde ich da jetzt nicht super motiviert sein. Ist dann auch nicht mega mein Problem. Und wer mich und meine weiblichen und nonbinären Friends weiter munter halt irgendwie vielleicht doch eventuell auch noch mit meint, weil Sprache doch frei sei, muss eben auch mit unserer Redefreiheit leben. Und mit unserem Humor.

Denn während die Rolands und Esthers dieser Welt sich mit Händen und Füssen gegen das Gendern wehren, als ginge es ums Überleben, suchen meine Friends und ich fröhlich nach neuen Möglichkeiten, unsere Sprache zu erneuern, mit ihr zu spielen, zu experimentieren und sie, grad z Trotz, ein bitzli zu verhunzen.

Esther Friedli von der SVP liess sich kürzlich im Bund zitieren, ihre Partei werde auf allen Ebenen Vorstösse einreichen, um das Gendern zu verbieten – wie war das nochmals mit linker Verbotskultur?

Und so spielen wir denn beim Beach-Volley im Marzili in einer Menschschaft, beim Werwölfle sind wir Hexe*r und Glüüser*innen, wir sind liebevolle Gäst*innengeber*innen und Nahbeziehungsmenschen, organisieren Nachbar*innenschaftsfeste und lesen von Momo und den grauen Herr*innen vor.

Und wenn ich denn, meinen Bauch haltend vor Lachen, beim WG-Znacht sitze und mich gehalten und gesehen und verstanden fühle, dann wünsche ich den Rolands und Frau Friedlis ein bisschen mehr Selbstironie, ein bisschen mehr Binnen-I, ein bisschen mehr Fantasie, Liebe und Leichtigkeit.