Geld und Reichtum im Stadtteil IV

von Remo Goetschi 11. April 2023

Zwischen den reichsten und ärmsten Strassenzügen im Stadtteil IV liegen manchmal nur 200 Meter.

Klar, Geld ist nicht alles. Es gibt unglückliche Reiche und zufriedene Geringverdiener*innen. Lebensqualität ist gewiss nicht gleichbedeutend mit Geld. Zeit zu haben ist zum Beispiel ebenso wichtig – und eine Villa mit Rolls-Royce-Sammlung gibt bestimmt fürchterlich zu tun. Gleichwohl sind sich vermutlich die meisten Menschen einig darin, dass Gesellschaften mit extremer Ungleichheit unglücklicher und instabiler sind als solche, in denen es finanziell allen einigermassen gut geht. Mit den Zeilen von Mani Matter: «Dene wos guet geit, giengs besser, giengs dene besser, wos weniger guet geit.»

Beim Thema Ungleichheit denkt man allerdings eher an die Berichte aus San Francisco als an unsere Bundesstadt. Die Fantasiesaläre der Techfirmen haben dort die Lebenskosten derart ansteigen lassen, dass Normalverdiener aus der Stadt verdrängt wurden oder – in leider nicht seltenen Fällen – im Auto oder auf der Strasse leben. Von solchen Missständen sind wir glücklicherweise weit entfernt. Die materielle Ungleichheit in unserem Stadtteil IV ist dennoch offensichtlich.

Stadtteil IV im Vergleich

Ganz allgemein lässt sich sagen, dass der Stadtteil IV, im Vergleich mit den anderen Stadtteilen, sehr wohlhabend ist. Nur in der Altstadt, wo bloss 1’600 Menschen leben, haben die Leute ein noch höheres mittleres Einkommen. Sehr erstaunlich ist das nicht. Ein grosses Gebiet unseres Stadtteils, das Kirchenfeld, wurde vor 140 Jahren ausdrücklich für Wohlhabende überbaut (überliefertes Zitat: «Dass kein Proletarierquartier auf dem Kirchenfeld entstehe, dafür ist durch den hohen Preis des Terrains gesorgt»).

Was für San Francisco die Tech-Angestellen, für Zug oder Zürich die Angestellten der Finanzbranche oder die «Googler», sind für Bern – in bescheidenerem Ausmass – die gut verdienenden Angestellten des öffentlichen Dienstes und der bundesnahen Betriebe.

Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Quartieren im Kirchenfeld sind allerdings teilweise sehr gross: Im Freudenberg-Quartier, nahe der Autobahnausfahrt Ostring, ist das mittlere (Median) Pro-Kopf-Einkommen fast 3-mal tiefer als im benachbarten Sonnenhof-Quartier, bezüglich Einkommen der Spitzenreiter der ganzen Stadt. Auch in den Quartieren Weltpost, Schönberg Bizius/Ost und – wenig überraschend – Kirchenfeld sind die Einkommen sehr hoch. Im Gegensatz dazu müssen die Bewohnerinnen und Bewohner des Ostring-Quartiers und des Murifelds mit stark unterdurchschnittlichen Einkommen auskommen.

Etwas überspitzt könnte man sagen: Was für San Francisco die Tech-Angestellen, für Zug oder Zürich die Angestellten der Finanzbranche oder die «Googler», sind für Bern – in bescheidenerem Ausmass – die gut verdienenden Angestellten des öffentlichen Dienstes und der bundesnahen Betriebe. Sie treiben mit ihren Löhnen die Miet- und Immobilienpreise (ungewollt) in die Höhe.

Geerbte Vermögen und Immobilienpreise

Allerdings: Die Gefahr, dass sich die «Schere zwischen Arm und Reich» öffnet, geht nicht primär von den Einkommen aus – die Einkommensunterschiede haben sich in der Schweiz über die letzten Jahrzehnte nämlich kaum verändert. Deutlich grösser sind die Vermögensunterschiede: Die 10% Reichsten besitzen in der Schweiz drei Viertel aller Vermögen. Zwar veröffentlicht die Stadt Bern zu den Vermögen der Haushalte keine Zahlen. Doch es würde erstaunen, wenn Bern diesbezüglich eine Schweizer Ausnahme wäre.

Ob und mit welchen Mitteln wir diese Entwicklung bremsen wollen, ist am Ende eine politische und auch eine weltanschauliche Frage.

Diese Vermögen wurden von ihren Besitzern zu einem grossen Teil nicht erarbeitet, sondern geerbt. Gemäss einer Schätzung von Marius Brülhart von der Universität Lausanne werden landesweit jedes Jahr 95 Milliarden Franken vererbt, im Kanton Bern für direkte Nachkommen steuerfrei. Zum Vergleich: Vor 20 Jahren waren es weniger als die Hälfte davon. Beinahe verdoppelt haben sich in dieser Zeit auch die Immobilienpreise (daraus darf man freilich nicht schliessen, dass das eine die alleinige Ursache des anderen ist). Unbestritten ist: Das Eigenkapital für Wohneigentum in unserem Stadtteil kriegen im mittleren Lebensabschnitt zunehmend nur noch Topverdiener*innen zusammen. Wer normal verdient und nicht in den Genuss eines Vorerbes kommt, muss – steigende – Mieten zahlen. Ob und mit welchen Mitteln wir diese Entwicklung bremsen wollen, ist am Ende eine politische und auch eine weltanschauliche Frage.

Zuerst erschienen im QuaVier März 2023