Dass es in Schwarzenburg einen Gnomengarten gibt, wissen die meisten und sagen, wenn man sie fragt: «Was man hört, soll er sehenswert sein. Irgendeinmal werde ich wohl auch hinfahren.» Allen, die so reden, sei gesagt: Im Gnomengarten läuft die zweitletzte Saison. Im Oktober 2015 ist Schluss.
Jürg Ernst, der Eisenbetonplastiker und Gnomenvater, ist der Sohn des Kunstmalers Hans Ulrich Ernst (1924-1980), dem Paul Nizon als Kunsthistoriker einmal attestiert hat, einen «eigenständigen und herausragenden Beitrag an den schweizerischen Surrealismus» geleistet zu haben. Jürg Ernst – ursprünglich soziokultureller Animator und Fotograf, dem die Digitalisierung den Beruf verleidete – hat schon als Bub bedauert, dass der Vater seine Figuren gemalt, statt dreidimensional gebaut hat.
«Nid jede Furz isch e nöie Wind!»
Jürg Ernst
2001 hat er mitten in Schwarzenburg und direkt neben dem Haus, in dem er mit seiner Familie wohnt, ein Grundstück gepachtet und darauf mit Armierungseisen und Beton die Bildsprache seines Vaters ins Dreidimensional-Monumentale übersetzt und weiterentwickelt. Heute stehen Dutzende, bis zu sieben Meter hohe, Wasser spritzende, grollende, lichtblitzende Skulpturen in der kleinen Parkanlage, die deshalb so perfekt aussieht, weil Ernst im Sommer Schweissbrenner und Betonspachtel mit Rasen- und Baumschere vertauscht.
Moorhexe und Schreckgümper
Der Gnomengarten war 2001 schnell ein Geheimtipp. Seit Jahren ist er nun eine Publikumsattraktion für Gruppenausflüge aller Art aus der ganzen Schweiz. Ernst macht pro Saison Dutzende von Führungen mit Apero; die Dorfbeizen garantieren das Catering. Diese Führungen sind deshalb so unterhaltend, weil Ernst zu jeder seiner Figuren sprachwitzsprühende Geschichten zu erzählen weiss.
Man muss ihnen einfach einmal begegnet sein: der Madame Froidevaux mit ihrem kopflastigen Vogel, der unvollendeten Helvetia, dem wellnesssüchtigen Olaf, dem dreibeinigen Wahrheitssucher, dem Schreckgümper, der Moorhexe oder dem Wächter Walter Harnisch, der mit schwacher Blase den monumentalen (und besteigbaren) Gnomengartenkönig Pluto im Auge hat.
Neu in der laufenden, vierzehnten Saison ist der tonnenschwere «Grosse Augenblick», der dank dem «Kleinen Schwanzaugenblick» ab und zu ein goldenes Ei legt. Daneben ist in Gajas Reich – einer unterirdischen Beton-Tropfsteingrotte – ein dreizehnteiliges Panoptikum fertig geworden, in dem vom Weingeisttänzer über Gnomenelfen und Sensegeischtli bis zu den Punks auf Wanderschaft die Figurenwelt von Maria Messerli, Ernsts Lebenspartnerin, zu sehen ist. Und neu ist auch die eben erschienene Broschüre «Undurchdachte Gedanken, die beim Betonieren entstehen…» – eine Sammlung von Jürg Ernsts Aphorismen, auf jeder Doppelseite kommentiert mit einer Karikatur von Heinz «Pfuschi» Pfister.
«Es ist ungemütlich, mitten in einer ‘Standing Ovation’ sitzen zu bleiben.»
Jürg Ernst
Übrigens: Dass im Gnomengarten keine förderungswürdige Kunst stehe, dekretierte das Gremium der Kantonalen Kunstkommission (mit Kopie an den Schwarzenburger Gemeinderat) bereits 2005, zu einer Zeit, als der Garten im Vergleich zu heute noch fast leer war.
Die Gründe für die Schliessung
Seit dieser Saison ist für Ernst klar: Nach fünfzehn Saisons, im Herbst 2015 ist Schluss. Im Gespräch erwähnt er drei Gründe für seinen Entscheid: Erstens wird auf dem angrenzenden, jetzt noch offenen Areal eine Überbauung geplant. Es sei einfach nicht möglich, fünf Meter über dem Boden in der Krone des Pluto auf der in Beton verewigten Inschrift «I’m the best!» zu stehen und statt in die Weite in das Badezimmer des Nachbars zu gucken.
Zweitens hat Ernst unmittelbar nach der Finissage der Saison 2012 einen Hirnschlag erlitten. Er hat sich zwar gut erholt und macht längst wieder Führungen. Aber es redet ihm nicht mehr automatisch: Seine pointenreichen Geschichten auf den Punkt zu bringen ist zur Arbeit geworden, die ihn ermüdet.
Und drittens wird Ernst nächstes Jahr 65: Zeit für etwas Neues. Bereits experimentiert er mit kolorierten Zeichnungen, die Surrealismus und Pop Art zusammenbringen: Nach fünfzehn Jahren grauem Beton, den höchstens mit der Zeit etwas moosgrüne Patina zu überziehen beginnt, hat er nun Lust auf leuchtende Farben.
Spoerri-Park oder Bagger-Happening?
Aber was geschieht im Herbst 2015 mit dem Gnomengarten? Jürg Ernst kann sich Verschiedenes vorstellen:
• Da sich gezeigt hat, dass der Gnomengarten schnell eine nachgefragte Attraktion geworden ist, könnte man ihn in der Region Schwarzenburg an anderer Stelle neu aufbauen – vollständig oder nur einzelne Skulpturen als Teil eines Parks im Sinn von Daniel Spoerris «Giardino» in der Toskana. Denkbar wären zudem Wechselausstellungen mit Gastkünstlern. Aber wer stellt das Areal zur Verfügung? Und wer übernimmt die Infrastruktur- und die wiederkehrenden Personalkosten?
«Zuviel Wissen versperrt den Weg für eigene Gedanken.»
Jürg Ernst
• Der Schwarzenburger Gemeindepräsident Ruedi Flückiger (SP) hat als Präsident der Stiftung Schloss Schwarzenburg grundsätzliches Interesse signalisiert, einige Skulpturen zu übernehmen. Beunruhigt ist zudem der Förderverein des «Naturparks Gantrisch»: Auf seiner Homepage wird der Gnomengarten in der Rubrik «Weitere Attraktionen» geführt und gilt als Publikumsmagnet. Wie die Region schliesslich reagieren wird, ist abzuwarten.
• Höchstwahrscheinlich könnten zumindest einzelne Private gewonnen werden, ihren jeweiligen Lieblingsgnom zu ersteigern.
• Realistisch ist aber, dass so oder so oder anders schliesslich einige der Figuren zurückbleiben und ein Bagger auffahren wird, um auf dem gepachteten Areal den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Für den soziokulturellen Animator Ernst wäre dies eine Herausforderung, noch aus dieser herzzerreissenden Einebnung seiner Utopie ein melancholisch-ironisches Happening zu machen.
Soweit ist es freilich noch nicht. Aber langsam müsste man jetzt hingehen und sich die Sache einmal anschauen. Die kantonale Kunstkommission zum Beispiel könnte sich in geradezu unsterblicher Weise lächerlich machen, wenn ihr Njet von 2005 ohne erneuten Augenschein das letzte Wort gewesen wäre, bevor der Bagger kommt.
Spurlos verschwinden wird der Gnomengarten allerdings nicht: Miriam Ernst – die Tochter von Maria Messerli und Jürg Ernst – hat als Filmemacherin den Gnomengarten seit Jahren begleitet. 2016 will sie ihren Dokumentarfilm zum Thema abschliessen.