Gegen Globalisierung und Beliebigkeit

von Redaktion Journal B 23. Februar 2017

Im Berner Münster findet heute ein Dankgottesdienst für den verstorbenen Schriftsteller und Pfarrer Kurt Marti (1921-2017) statt. Hier kommt er als Theologe noch einmal zu Wort: An welcher Front ist heute ein Bekenntnis nötig?

Am 20. November 2010 fand im Kirchgemeindehaus Johannes in Bern die OeME-Herbsttagung der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn statt (OeME steht für Oekumene, Mission und Entwicklung).

Die Titel der Tagung lautete «Hinstehen und bekennen» und ging von Kurt Martis Text «ein nachapostolisches bekenntnis» aus, der 1980 in seinem Gedichtband «abendland» (S. 92) erschienen war:

«ich glaube an gott
der liebe ist
den schöpfer des himmels und der erde
ich glaube an jesus
sein menschgewordenes wort
den messias der bedrängten und unterdrückten
der das reich gottes verkündet hat
und gekreuzigt wurde deswegen
ausgeliefert wie wir der vernichtung des todes
aber am dritten tag auferstanden
um weiterzuwirken für unsere befreiung
bis dass gott alles in allem sein wird
ich glaube an den heiligen geist
der uns zu mitstreitern des auferstandenen macht
zu brüdern und schwestern derer
die für gerechtigkeit kämpfen und leiden
ich glaube an die gemeinschaft der weltweiten kirche
an die vergebung der sünden
an den frieden auf erden für den zu arbeiten sinn hat
und an die erfüllung des lebens
über unser leben hinaus»

Zwei Monate vor seinem 90. Geburtstag diskutierte Marti an dieser Tagung mit dem Theologen und Leiter der OeME-Fachstelle Bern Albert Rieger, die Frage, wozu sich eigentlich die bekenntnisfreien Reformierten bekennen  in einer Zeit, die sich kirchlich, religiös und gesellschaftspolitisch im Umbruch befindet. Nachfolgend ein Ausschnitt aus dem Gespräch:

*

Albert Rieger: Bekenntnisse sind ja in der Geschichte immer dann formuliert worden, wenn es notwendig war, auf eine Herausforderung zu reagieren, auf die Zeichen der Zeit, wie man das auch genannt hat. Karl Barth soll einmal drastisch formuliert haben, solche Bekenntnisse brauche es bei einer neuen Herausforderung – sie folgten ihr wie der Donner dem Blitz folge. Wie siehst Du das heute? Gibt es auch heute solche unausweichlichen Herausforderungen, wo es ein Bekenntnis dringlich bräuchte?

Kurt Marti: Ich habe mir diese Frage überlegt. – An welcher Front ist dieses Bekenntnis zu sehen? Oder wünschenswert? Wogegen stellt es sich? Vordergründig könnte man vielleicht sagen, dass im Denkbild der Trinität Gottes bereits eine gewisse Antwort auf die Herausforderung des Islam zu sehen sei, der ja eine autokratische Gottesvorstellung hat. Aber das scheint mir eigentlich nicht die Hauptsache zu sein.

Wir sind herausgefordert durch die Globalisierung, die uns als alternativlos aufgenötigt oder aufgeschwatzt wird. Globalisierung ist – meiner Ansicht nach – eine falsche Vereinheitlichung der Welt nach den Prinzipien und Vorstellungen des Kapitalismus. Gegen diese mentale Globalisierung, die in unseren Köpfen stattfindet oder stattfinden soll, die uns eingeredet wird – dagegen müsste unser Glaube eine Möglichkeit finden, sich auszurücken, auszusagen, dass das nicht der Weg Gottes sein kann. Für mich ist Gott kein Monopolist. Wenn man die Schöpfung ansieht, gibt es eine ungeheure Vielfalt von Kreaturen, von Möglichkeiten, von Wirklichkeiten. Die Globalisierung schränkt all diese Möglichkeiten ein oder vernichtet sie sogar, wie wir wissen. Und ich glaube, es ist auch nach Gottes Willen, dass es nicht nur eine Monopolreligion gibt, sondern dass es auch mehrere Religionen gibt und geben darf und geben soll – Gott ist eben kein Monopolist, sondern er ist als der trinitarische Gott wirklich der Gott der Beziehung und der Vielfalt. Das wäre eine mögliche Frontstellung.

Und eine andere – vielleicht hängt das ja zusammen – ist: Es werden Umfragen gemacht, auch in der Zeitung «reformiert.», was reformiert sei. Da stösst man auf eine Fülle von Beliebigkeit. Reformiert sein scheint zu heissen: Man kann glauben, was man will. Nun, diese Freiheit soll nicht eingeschränkt werden, keineswegs. Aber die Kirche als solche sollte doch einmal sagen, was sie wirklich glaubt und woran sie sich festhält und wofür sie sich einsetzt. Das wäre schon die Aufgabe eines Bekenntnisses, in der Front gegen dieses Beliebigkeitsverständnisses des Reformiertseins.

Damit zusammen hängt noch eine andere Strömung. Wenn in Umfragen gefragt wird: Was ist denn eigentlich Religion, Religiosität, was ist denn eigentlich Glaube, so kommt meistens vorherrschend die Antwort: der Glaube an ein individuelles Leben nach dem Tod; der Glaube ans Jenseits, für jeden persönlich. Aber dreiviertel der Bibel, nämlich das erste Testament, weiss nichts von einem Jenseits, ist radikal diesseitig, und die ganze Leidenschaft des Volkes Gottes, von Israel, ist von umwerfender Diesseitigkeit. Und wenn man im Neuen Testament sucht, hat es natürlich Hinweise, dass mit dem Tod nicht einfach alles aus sei. Aber: Jesus hat nach dem Zeugnis der Evangelisten Tote auferweckt. Keiner dieser Toten hat uns etwas erzählt vom Zustand nach dem Tod; keiner hat vom Jenseits berichtet. Von Lazarus wird ausdrücklich gesagt, dass er geschwiegen habe, dass er nichts gesagt habe. Und der auferstandene Christus: Hat er etwas erzählt von postmoralen Dingen, von Jenseitserlebnissen und -visionen? Soweit ich sehe auch nicht. Er hat seine Jünger ausgesandt ins Diesseits. Also ist diese populäre Auffassung von Glaube und Religion eigentlich nicht biblisch. Dass alles fokussiert ist auf das Leben nach dem Tod, das ist nicht biblisch. Und wenn wir als Reformierte immerhin sagen, wir stützen und berufen uns auf die Bibel, dann können wir dieses Verständnis von Glaube und Religion nicht teilen, diese Fokussierung auf das Jenseits. Das wäre eine andere Front, an der zu bekennen wäre. Und vielleicht hängt ja dies alles auch mit der Beliebigkeit zusammen. Das könnte man des Nähern untersuchen, vielleicht.

Gleich zu diesem letzten Stichwort noch eine Frage: Seitdem Du das «nachapostolische bekenntnis» geschrieben hast sind ja jetzt fünfundzwanzig Jahre vergangen. Man kann sagen, unsere Gesellschaft, die ist nicht nur säkularer geworden – eben, Du hast das Stichwort erwähnt: Es gibt andere Religionen auch bei uns, daneben sieht man vielfältige Formen von privatisierter Religiosität, die wachsen, und einen Markt von Spiritualitäten, der boomt. Da ist vielleicht die Frage, was eine religiöse Identität sei, umso brisanter geworden. Kann in dieser Situation ein klares Bekenntnis helfen?

Wem helfen? – Zunächst müsste uns geholfen werden als Glieder der Kirche, als reformierte Christen, damit wir selber über unseren Glauben ins Klare kommen oder ein bisschen klarer sehen. Natürlich wäre damit auch andern geholfen. Wir würden erkennbarer für andere Religionen, für Atheisten oder wen auch immer. Wir würden auch für uns selber erkennbarer. Dazu wäre ein Bekenntnis hilfreich.

Wobei ich natürlich als reformierter Christ sehr für Freiheit bin. Ich möchte kein Zwangsbekenntnis, kein Bekenntnis, das den Gemeinden gleichsam aufoktroyiert wird, sondern wirklich ein Bekenntnis als Orientierungshilfe zur Selbsterkenntnis, zur Erkennbarkeit für die andern. Eine Orientierungshilfe, aber kein Zwangsbekenntnis. Als solches könnte ein Bekenntnis eine Rolle spielen in der Liturgie, im Gottesdienst; es könnte eine Hilfe sein vielleicht auch im Unterricht. Aber nicht als – wie soll ich sagen – als Pflicht, als eine reformierte Pflicht, dass man darauf sozusagen verpflichtet wird, sondern als Hilfe zur Selbsterkenntnis, zur Erkennbarkeit. Das könnte ich mir vorstellen.