Das Atelierbüro von Bettina Wegenast ist ein Spielplatz und zwar einer sowohl für Erwachsene wie Kinder. In allen Ecken und Winkeln verbergen sich verschiedenste digitale und analoge Spiele, Requisiten für Theaterstücke, bunte Plakate und Kinderzeichnungen hängen an den Wänden, ein grosser Bildschirm lädt zum Gamen ein. Die 61-jährige Bernerin hat 2016 die Fabelfabrik GmbH gegründet. In ihrer Arbeit dreht sich alles um Games: Wegenast konzipiert und produziert Projekte rund um Videospiele, von Games über Spielnachmittage bis hin zu Theaterstücken und Ausstellungen.
2019 hat die gelernte Lehrerin ausserdem zusammen mit anderen Game-Begeisterten den PlayBern Verein gegründet, der den kreativen Umgang mit digitalen Spielen in der Kunst, der Bildung und auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Teilhabe fördern will. Jedes Jahr organisiert der Verein das Festival PlayBern. Das diesjährige Festival steht unter dem Motto «Let’s move» und findet vom 8. bis 10. November im Kornhaus statt.
Frau Wegenast, welches war das erste Game, das Sie in Ihrem Leben gespielt haben?
Pac-Man! Da war ich 19, das war Anfang der 80er-Jahre in einem spanischen Spielsalon. Spanien war sehr früh dran mit elektronischen Spielen. In der Schweiz hatte ich das zuvor noch nie gesehen. Ich habe also Pac-Man gespielt und fand das ganz grossartig. Und dann habe ich für einige Jahre keine Games mehr gesehen, bis wir dann die Game & Watchs von Nintendo gekauft haben, auf denen es immer nur ein Spiel gab. Mein erstes war Snoopy Tennis. (lacht)
Was fasziniert Sie an Games?
Vielfach sind es die kreativen und spannenden Ideen, die mich faszinieren. Mich interessieren ungewöhnliche Gamemechaniken und insbesondere auch das Visual Design eines Games. Und die Geschichten. Abgesehen davon, dass ich viel zu langsam dafür bin, interessieren mich Shooter-Games deshalb einfach von der Geschichte her meistens nicht so. Solche Kriegsgeschichten interessieren mich nur peripher.
Gaming ist weder in der Wirtschaft noch in der Kultur verankert – in der Kulturbotschaft des Kanton Bern kommt Gaming zum Beispiel gar nicht vor.
Nachdem Sie einige Jahre als Lehrerin gearbeitet haben, haben Sie einen Comic-Keller eröffnet und später begonnen, als Fachjournalistin über Games und Comics zu schreiben. Ausserdem haben Sie viele Theaterstücke und Hörspiele geschrieben und organisieren nun schon seit Jahren das PlayBern Festival. Ein Game haben Sie selbst aber nie designt?
Noch nie. Ich habe mal mit Judith Zaugg eines angedacht. Da haben wir sogar den Berner Designpreis dafür erhalten, weil Judith so ein schönes Design gemacht hat. Aber daraus ist bisher noch nicht ein richtiges, fertiges Game entstanden.
Weshalb nicht?
Weil Game-Programmierung sehr aufwendig ist. Und im Gegensatz zu Theater oder Hörspielen gibt es dafür auch keine Förderung. Gaming ist weder in der Wirtschaft noch in der Kultur verankert – in der Kulturbotschaft des Kanton Bern kommt Gaming zum Beispiel gar nicht vor. Das macht es wahnsinnig schwer, Finanzierungsgesuche zu beantragen und Gelder zu kriegen. Alle Leute, die Games entwickeln, sind extrem am Kämpfen.
Woher kommt dann das Geld für die Gameentwicklung?
Oft werden die Games in der Schweiz von den Entwickler*innen selbst querfinanziert. Viele Leute arbeiten nebendran zum Beispiel noch als Informatiker*innen.
Wird Gaming auch abgesehen von der Förderung nicht so wirklich zu Kultur gezählt?
Games sind definitiv noch nicht im kulturellen Kanon angekommen. Das erleben wir auch beim PlayBern Festival. Jedes Jahr müssen wir aufs Neue erklären, was denn ein Gamefestival sein soll, wie man sich das vorstellen muss. Das ist ein bisschen anstrengend.
Was ist der Grund dafür?
Der Journalist und Gaming-Experte Guido Berger, der am PlayBern Festival einen Vortrag zu «Bildungsbürger vs.Games» halten wird, argumentiert unter anderem damit, dass es Games eben erst seit 50 Jahren gibt. Auch der Film hat einige Zeit gebraucht um sich in der Kultur zu etablieren. Aber ich weiss nicht genau, was der Grund ist. So viele Leute gamen oder haben Games gespielt, aber haben sich darin auch nie wirklich ernst genommen. Vielleicht liegt es daran, dass einem oft von den Eltern oder dem Umfeld zu verstehen gegeben wurde: Gaming hat keinen Wert. Geh mal lieber raus spielen, lies ein Buch. Viele haben das verinnerlicht. Und schämen sich dementsprechend auch, wenn sie sagen, dass sie gerne gamen oder früher sehr viel gespielt haben. Aber so richtig erklären kann ich es mir auch nicht.
Analoge Spiele sind interessanterweise weniger schambehaftet.
Das liegt daran, dass schon früh in der Pädagogik erkannt wurde, dass Spielen gesund und entwicklungsfördernd ist. Vielleicht weniger im Hinblick auf Erwachsene, aber für Kinder ist dies mittlerweile etabliert. Bei Computerspielen gibt es sehr viel mehr Skepsis und die Angst, dass Kinder zu viel Zeit am Computer verbringen. Ich finde, eine Mischung wäre gesund.
Insgesamt scheint, dass es gegenüber Gaming sehr viele Vorurteile gibt. In den Köpfen vieler ist auch dieses Bild des jungen männlichen Gamers präsent, der am liebsten Shootergames spielt und herumballert. Eine kürzliche Studie des MYI Entertainment und des Meinungsforschungs-Institut LINK hat jedoch gezeigt, dass Gaming in der Schweiz keine Männerdomäne ist, 44 Prozent der regelmässigen Gamer*innen seien Frauen. Wie erleben Sie die Geschlechterverteilung in der Gaming-Welt?
An Festivals, an die ich gehe, an den innovativeren Orten, ist es sehr ausgeglichen, auch von den Gameentwickler*innen her, da ist es wirklich fifty-fifty. In meinem Umfeld sind es aber schon eher Männer, die gamen.
In der Pädagogik wurde schon früh erkannt wurde, dass Spielen gesund und entwicklungsfördernd ist.
Wie erklären Sie sich diesen Unterschied?
Gaming war ganz früher mit einem gewissen technischen Aufwand verbunden. Und technisches Verständnis wurde eher bei Jungs gefördert. Ein gewisses Nerdtum war bei Männern sicher auch positiver besetzt als bei Frauen.
Oft werden weibliche Charaktere in Games sehr sexualisiert dargestellt. Wie erleben Sie das als Gamerin? Und gibt es in der Gaming-Szene mittlerweile auch einen Wandel diesbezüglich?
Das kommt sehr auf die Spiele an. Manche Spiele feiern das geradezu zum Beispiel GTA, auch wenn das inzwischen auch von Frauen gespielt wird. Im Grossen und Ganzen gibt es den Versuch, in den Games diverser zu sein. Aber in der Industrie selbst und bei den männlichen Gamern ist Mysogenie noch immer ein Problem.
Wir haben jetzt viel über die negative gesellschaftliche Haltung gegenüber Gaming gesprochen. Haben Sie trotzdem das Gefühl, dass sich die gesellschaftliche Haltung in den letzten Jahrzehnten etwas verändert hat?
(Überlegt). Gaming ist sicher präsenter geworden. Früher war das ein Nischenphänomen. Und heute sieht man die Veränderung schon nur an der Gamescom [die weltweit grösste Messe für Video- und Computerspiele in Köln, Anm. d. Red.], die extrem gewachsen ist. Die erste Gamescom, die ich besucht habe – das war noch sehr klein und überschaubar. Heute sind fast 400’000 Personen an der Gamescom. Was ich dort schön finde, ist der Enthusiasmus der Besucher*innen, diese ungefilterte Begeisterung. Als Fachperson darf man schon etwas früher rein und wenn dann die Türen für alle aufgemacht werden, stürmen die Leute herein und freuen sich wie wahnsinnig!
Wie ist das am PlayBern Festival, das Sie ja jetzt seit 2019 in Bern organisieren?
Wir sind natürlich viel kleiner. Das Hero Fest möchte eher so Richtung Gamescom gehen. Wir sind mehr ein Nischenfestival. Bei uns findet man unbekanntere Spiele, ältere Spiele, Workshops und transdisziplinäre Projekte in Verbindung mit anderen Künsten. Es kommen auch viele Familien, da wir viel für Kinder und Jugendliche anbieten.
Dieses Jahr ist das Thema des Festivals «Let’s move». Gamen und Bewegung erscheinen vielen Leuten als etwas eher Gegensätzliches…
(lacht) Genau, wir trainieren auf dem Sofa die Daumenmuskulatur!
Was kann man sich also darunter vorstellen?
Zum Beispiel Wii Fit, wo man mit Controllern kegelt, Tennis spielt oder Ski fährt, « Just Dance», ein sehr beliebtes Tanzspiel. Oder dieses Spiel von Nintendo, wo man Fahrrad fahren und Abfall einsammeln muss. Aber natürlich werden bei uns auch unbekanntere Spiele gezeigt, zum Beispiel FRU. Manchmal sind in den Games Geschichten enthalten, zum Beispiel muss man Fitnessübungen machen und am Schluss jedes Levels kleine Monster bekämpfen.
Einer eurer Schwerpunkte von PlayBern ist jedes Jahr auch die Zugänglichkeit von Gaming. Wie inklusiv ist die Gamingwelt?
Partiell. Es gibt hin und wieder Spiele, die sehr zugänglich sind und dann passiert wieder lange nichts. Manchmal sind inkludierende Mechanismen in den Games angelegt, z.B. eine Overvoice, die dir genau erklärt, wo du bist. Oder auch, dass der Controller reagiert, wenn du an eine Wand stösst, sodass auch Leute mit Sehbehinderungen das Game spielen können. Manchmal können in den Einstellungen der Spielverlauf oder einzelne Kämpfe vereinfacht werden Aber es gibt noch nicht besonders viele Spiele, die über solche Mechanismen verfügen. Es gibt aber auch Lösungen, die aus der Community selbst kommen. Zum Beispiel der Quadstick, der für gelähmte Menschen gedacht ist, und den man mit dem Mund spielt. Aber ich finde, eigentlich sollten Spiele für alle zugänglich gemacht werden. Es wäre ja auch im Interesse der Game-Designer, dass mehr Leute Zugang zu ihren Spielen haben.
Abgesehen von mehr Inklusion: Wie sieht die Zukunft des Gamings aus?
Das finde ich schwierig zu sagen. Eine Zeit lang haben alle gesagt, die Zukunft des Gamings sei die Virtual Reality. Aber die VR-Brillen haben sich nicht so sehr weiterentwickelt, dass sie wirklich praktisch zu handhaben wären und deshalb hat sich VR auch noch nicht zu einem Massenphänomen entwickelt.
Wie gross ist die Rolle, die Künstliche Intelligenz schon spielt?
Gerade was die Entwicklung und das Programmieren von Games angeht, übernimmt KI schon jetzt gewisse Aufgaben – und zunehmend mehr. Die Gamedesigne-Szene sieht das aber durchaus ambivalent. Auf der einen Seite ist es natürlich toll, weil es Abläufe vereinfacht. Auf der anderen Seite haben die Leute wie überall Angst, dass sie durch KI ersetzt werden könnten.