Das dezente Licht, das von der Decke der Messehalle 3.2. auf dem BernExpo Gelände fällt, vermag kaum den Boden zu erreichen, geschweige denn die enorme Halle auszuleuchten. Ein junger Mann blickt konzentriert in das fahle Licht seines Monitors. Über das Display huscht eine drahtige Frau mit Helm und Maschinengewehr und duckt sich hinter eine Mauer. Sekunden später hebt sie ihre Waffe und feuert eine Salve in ein Fenster. Der Teenager, der zwei Stühle weiter am Monitor sitzt stösst einen leisen Fluch aus und zieht sein Headset aus. Die SwitzerLAN, so heisst diese grösste Lan-Party des Landes, ist in vollem Gang. Rund 2000 Gamer und Gamerinnen treffen sich hier, um vier Tage lang ihre Lieblingsspiele zu zocken.
Die SwitzerLAN ist Teil des in den übrigen Hallen des Gebäudes gleichzeitig stattfindenden HeroFest. Das Festival für Gaming, E-Sports und Cosplay fand vergangene Woche zum zweiten Mal statt und soll gemäss den Angaben des Veranstalters rund 17’000 Besucher*innen angelockt haben, was einem Zuwachs von 40% gegenüber dem Vorjahr enspricht. In der Schweiz ist das HeroFest zwar nicht das einzige Festival seiner Art, aber ganz bestimmt eines der erfolgreichsten. Zahlreiche namhafte Unternehmen unterstützen die Messe entweder als Sponsoren oder als Aussteller. Die Swisscom war Hauptpartnerin und hatte für die Hero League, eine schweizerische Liga für E-Sports, eine Bühne aufgebaut, auf der an allen drei Messetagen kompetitiv gespielt wurde. Mit Asus oder Nintendo waren auch internationale Grössen aus der Tech- und Gamingbranche vertreten.
Jedes Jahr mehr Gamer*innen
Das HeroFest ist der Kraftbeweis einer potenten Industrie, die die Nähe zu ihrem Publikum sucht. Verschiedene Studien bestätigen, dass dieses in den letzten Jahren konstant gewachsen ist. In der Schweiz spielen gemäss einer Erhebung der ZHAW über ein Drittel der über 16-jährigen mindestens einmal pro Woche Videospiele. Auch wer selbst nicht zockt, gerät immer öfter in die sich ausdehnende Einflusssphäre der Videospiele. Werbung zum neusten Mobile Game wartet hinter jeder Ecke und E-Sports hat den Sprung in die reguläre Berichterstattung vieler szenefremder Medien geschafft. Gamen ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Diese Entwicklung ist nicht per se besorgniserregend, aber sie verlangt nach einer vertieften Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen und politischen Fernwirkung von Videospielen und deren Inhalten. Einordnungsarbeit, die noch geleistet werden muss.
Zentral ist die Frage nach der Darstellung von Politik und Gesellschaft in Games. Vor drei Wochen fand im Politforum Bern im Rahmen des alternativen Gaming-Festivals PlayBern die Podiumsdiskussion «Was haben Games mit Politik zu tun?» statt. Einige der folgenden Gedanken sind dieser Diskussion entliehen.
«Das ist kein politisches Statement»
Um überhaupt eine offene Debatte über Politik in Videospielen zu ermöglichen, müssen die Spieleentwickler*innen anerkennen, dass ihre Games politisch geprägt sind. Das ist jedoch nicht selbstverständlich. Ein aktuelles Beispiel:
Die Entwickler kapitalisieren ein politisches Setting, um ihr Spiel atmosphärisch und interessant zu machen, ohne sich aber die Verantwortung eines sorgfältigen Umgangs aufzubürden.
2018 erschien «Tom Clancy’s: The Division 2», ein Shooter, der in einem postapokalyptischen Washington D.C. spielt. Eine Pocken-Pandemie hat das Land ins Chaos gestürzt. Bewaffnete Gruppen kämpfen um die Vorherrschaft, die Regierung ist kollabiert. Die Handlung wird von einer Protestästhetik gerahmt. Die Aufgabe der Spieler*in ist es, die Ordnung wiederherzustellen und die USA zu retten.
Trotz des augenfälligen politischen Settings stritten die Entwickler ab, dass «The Division 2» politische Aussagen treffe. Wenn auch diese Behauptung selbstverständlich absurd ist, ist sie aus einer marktwirtschaftlichen Perspektive doch nachvollziehbar. «The Division 2» ist eine sogenannte AAA-Produktion, also ein Spiel, das mit erheblichem Budgetaufwand für ein grosses Publikum entwickelt wurde. Dieses politisch diverse Publikum soll nicht vergrault werden.
Die Folge: Die Entwickler kapitalisieren ein politisches Setting, um ihr Spiel atmosphärisch und interessant zu machen, ohne sich aber die Verantwortung eines sorgfältigen Umgangs aufzubürden. Dieses einseitige Verhältnis geht zulasten des öffentlichen Diskurses und der Spieler*innen.
Schwarze in Leopardenhöschen
Ist diese Hürde einmal genommen, kann die Optik auf die konkrete Darstellung von Politik und Gesellschaft scharf gestellt werden. Allzu oft werden in Games nämlich Klischees bedient oder Dinge schlicht falsch dargestellt. Hier einige Beispiele:
• Gegner in Shooter sind – mit Ausnahme von Weltkriegsszenarien – fast nie westlicher Herkunft. Stattdessen nehmen in der Regel Kommunisten oder (nahöstliche) Terroristen die Rolle der Bösewichte ein.
• Gut und Böse sind strikt getrennt. Dass dies im echten Leben praktisch nie der Fall ist, kommt selten zum Ausdruck. Das Heldenepos ist nach wie vor beliebt.
• Sexismus und Rassismus sind auch in der Welt der Games noch zugegen. Während die Spieler*innen oft in die Haut hypermaskuliner Männer schlüpfen, bleiben Frauen passive Objekte. Auch Schwarze kommen nicht immer gut weg. Ein etwas älteres Beispiel: Im Horror-Shooter «Resident Evil 5» von 2008 tragen die infizierten schwarzen Zombies Federschmuck und Leopardenhöschen und vollführen Zauberrituale.
• Die Darstellung von Staaten erfolgt nicht immer unvoreingenommen. So wurde Bolivien in «Tom Clancy’s Ghost Recon Wildlands» jüngst als «failed state» dargestellt. Dagegen erhob die bolivianischen Regierung Klage.
Sorgfalt braucht Mut
Natürlich sind die genannten Punkte nicht allgemeingültig. Stattdessen bestehen zwischen den Games massive Unterschiede. Während einige Entwickler*innen nach wie vor mit Klischees arbeiten, versuchen andere bewusst, verfestigte Strukturen aufzubrechen – darunter auch einige AAA-Produktionen.
In «Battlefield 5», dem neusten Spiel aus der berühmten Reihe des US-Unternehmens «EA», spielt man in einer Episode der Kampagne eine norwegische Widerstandskämpferin im zweiten Weltkrieg. Eine andere Episode erzählt die Geschichte eines jungen senegalesischen Soldaten, der nach Europa gebracht wird, um dort für die französischen Kolonialtruppen zu kämpfen und ein Land zu verteidigen, das er noch nie zuvor gesehen hat. Damit machte sich EA jedoch keineswegs nur Freunde. In der Kommentarspalte unter einem Rezensions-Video des deutschen Gaming-Magazins «Gamestar» ist die Rede von der Befriedigung «pseudofeministischer Bedürfnisse» oder davon, dass «diese ganze Frau/Mann Debatte» in Battlefield nichts verloren habe.
Gerade junge Gamer*innen sind besonders empfänglich für stereotype Darstellungen.
Mutige Entscheide, wie jener von EA, machen Hoffnung. Entwickler*innen müssen ihre Verantwortung ernst nehmen, zumal gerade junge Gamer*innen, die einen erheblichen Anteil der AAA-Produktionen konsumieren dürften, besonders empfänglich für klischierte Darstellungen sind. Sie befinden sich in einer plastischen Phase ihrer Sozialisation, in der Werte und Normen noch nicht im gleichen Mass gefestigt sind, wie das bei älteren Menschen der Fall ist. Ihnen darf kein wiedergekäutes Stereotypen-Konglomerat vorgesetzt werden.
Es ist es deshalb wichtig, dass ein offener Diskurs über Games gepflegt wird. Die Debatte darf nicht nur – wie in der Vergangenheit – auf die Gewaltdarstellung in sogenannten «Killerspielen» reduziert werden. Dadurch wird verkannt, dass Videospiele auch fernab davon Aussagen treffen, die auf Spieler*innen einwirken und von ihnen gelegentlich internalisiert werden. Sofern diese kritische Auseinandersetzung fester Bestandteil der Gaming-Community wird, können Messen wie das HeroFest schon deutlich bedenkenloser genossen und die schönen Seiten des Zockens zelebriert werden.