Fussreisen und andere friedliebende Kämpfe

von Esther Fischer-Homberger 4. Februar 2015

Es gibt sehr verschiedene Möglichkeiten, auf eine als unerträglich empfundene Gegenwart zu reagieren. Die 50. Solothurner Filmtage haben einige davon vor Augen geführt, auch mit Bernbezug. – Eine Nachlese.

Er habe die Welt künstlerisch konstruieren müssen, um sie ertragen zu können, hat der im Emmental und dann in der Stadt Bern aufgewachsene Frühwarner Friedrich Dürrenmatt schon vor Jahrzehnten zu Protokoll gegeben (Sabine Gisiger: «Friedrich Dürrenmatt  im Labyrinth»).

Pedro Lenz, Reithalle, Frauen

Der Autor Pedro Lenz, Mitglied der Spoken-Word-Gruppe «Bern ist überall», schreibt, intoniert und tourt unermüdlich mit seiner abgründig kritischen Sprachkunst («Mitten ins Land» von Norbert Widmer und Enrique Ros), die, wie die überfüllte Première des Films bewies, mittlerweile auch vom grossen Publikum verstanden und honoriert wird.

Von der schönen, bunten Saat, die in der Gegenkultur der Berner Reithalle aufgegangen ist, berichtet Andreas Berger in «Welcome to Hell».

Die eher unscheinbare Bernerin Louise Schneider («Louise, 83, Friedensaktivistin – eine Rentnerin kämpft gegen den Gripen» von Kathrin Winzenried) bleibt aktiv, so lange sie kann. Sie hilft demonstrieren, Unterschriften sammeln und argumentieren und ist überglücklich, wenn sie für einmal – bei der Abstimmung über den Gripen – auf der Gewinnerseite steht. Altershalber wurde sie vom Festival in die Seniorenecke versorgt, und auch die Filmerin fragte sie besorgt, warum und wie sie noch immer ein solches Engagement auf sich nehme. Eine Überzeugung sei an kein Alter gebunden, antwortete Louise Schneider kurz und bündig.

Anderswo  springen die todesmutigen jungen Frauen von «femen» ihr bei (Alain Margot: «Je suis femen»). Blumenkränze im Haar, die jeweiligen Slogans  mit Farbe auf ihre entblösste Brust geschrieben, schleudern sie den Mächtigen ihren Protest entgegen im Scheinwerferlicht der zuverlässig anwesenden medialen Öffentlichkeit – zum Beispiel bei ihrem Protest gegen die «Gangasta party in Davos».

Weniger spektakulär engagiert sich José Alberto Mujica Cordanos im Dokumentarfilm «Pepe Mujica – Lessons From the Flowerbed» von Heidi Specogna. Als Mitglied der Tupamaros sass er vierzehn Jahre im Gefängnis und amtet nun seit 2010 als gewählter Präsident von Uruguay, seine Frau Lucía als Senatorin. Das Paar hat seinen bescheidenen Lebensstil beibehalten, sodass Pepe neunzig Prozent seines Salärs an Bedürftige abgeben kann. Dem gelernten Blumenzüchter ist wie Louise Schneider Gartenarbeit nach wie vor wichtig – denn die Hände helfen denken, erklärt er.

Tibetan Warrior

In einer politischen Extremsituation sieht sich auch der seit fünfundzwanzig Jahren in Bern wohnende, stadtbekannte Tibeter Loten Namling. Er kann sich als Vertriebener mit der Besetzung Tibets durch die Weltmacht China nicht abfinden, seiner verlorenen Heimat, wo sich in den letzten Jahren über hundert Mönche in ihrer Verzweiflung selbst angezündet haben, um mit ihrem Körper als Fackel die Welt aufzurütteln. Sie haben aber ausser jeweils einigen Zeilen auf den dritten Seiten der Weltpresse nichts erreicht.

Loten Namling macht sich daher auf, selbst etwas zu tun. Begleitet von Dodo Hunzikers Filmteam zieht er im Film «Tibetian Warrior» einen Sarg, 150 Kilogramm schwer, als Zeichen für den langsamen Tod Tibets, von Bern zum Palais des Nations in Genf. Im Gespräch mit Bundesrat Schneider-Ammann macht er sich dafür stark, dass das Handelsabkommen zwischen der Schweiz und China einen Abschnitt über Menschenrechte enthält. Auch sucht er zahlreiche Landsleute auf.

Irgendwann kommt er mit seiner Wut nicht mehr zurecht, zweifelt am buddhistischen friedlichen Weg und reist schliesslich ratsuchend zum Dalai Lama. Diese Begegnung erschüttert ihn. Er habe erwartet, dass sein geistiger Führer mit ihm Erbarmen haben würde, stattdessen habe umgekehrt er selber Mitleid gehabt mit ihm, der so lange und ohne Erfolg friedlich für Tibet gekämpft habe. Auf diese merkwürdige Weise befreit ihn die Audienz von der unerträglichen Last, in seiner Bemühung erfolgreich sein zu müssen.

Was tun?

Was kann man also tun angesichts der offensichtlichen Übermacht von Kapital, Krieg und Kontrolle?

Die ukrainischen Frauen von «Femen» – schwer eingeschüchtert und mittlerweile aus ihrem Land geflohen – machen weiter. Louise Schneider glaubt an die Kraft des Senfkorns, für welche die Reithalle ein fruchtbarer Boden bleibt. Pedro Lenz ist noch für manche Überraschung gut. Den heimgekehrten Krieger Loten sieht man mit seinen herangewachsenen Kindern auf einem Trampolin herumspringen. Das ist ein guter Schluss.