Fürsorge als aktivistische Tätigkeit?

von Nina 28. August 2023

Care Arbeit im Aktivismus: Gemeinsam füreinander sorgen ist ein unabdingbarer Bestandteil in der Vision für eine gerechtere Welt, findet Kolumnist*in Nina.

Be careful with each other, so we can be dangerous together – ein Lieblingsspruch vieler meiner Mit-Aktivist*innen. Ich finde: Zu Recht. Doch was impliziert dieser bewegende englische Satz eigentlich?

Im politischen Aktivismus gibt es so ein Ding, das eintritt, sobald mensch einen Fuss in dieser Welt gefasst hat: Die Realisation, dass wir eine Handlungsfähigkeit haben, die wir kollektiv aktivieren können, öffnet die Perspektive darauf, dass echte Veränderung tatsächlich möglich ist. Was darauf oft folgt – so habe ich es auch bei mir selbst erlebt – ist ein extremes Verspüren der Dringlichkeit dieser Veränderungen.

Die Probleme unserer Welt sind komplex. Es ist unmöglich, sie alle über Nacht  zu bewältigen.

Diese Dringlichkeit, die gerade bezogen auf die Klimakrise eine sehr präsente zeitliche Komponente hat, führt dazu, dass die aktivistische Arbeit gegenüber allem anderen priorisiert wird. Schliesslich heisst es nicht zufällig auf einem unserer Sticker: «Die Klimakrise wartet nicht auf deinen Abschluss.» Grundbedürfnisse wie Schlaf und Essen werden plötzlich hinten angestellt. Weil: Was, wenn genau diese Aktion die ist, die endlich alles verändert? Da kann ich doch später Pause machen!

The Bad News: Die Probleme unserer Welt sind komplex und viel zu viele, dass es unmöglich ist, sie alle über Nacht oder mit einer Aktion zu bewältigen.

The Good News: Schon seit Jahrhunderten kämpfen Menschen für Klimagerechtigkeit. De facto länger, als es das Wort selbst überhaupt gibt. So schnell sind wir nicht unterzukriegen.

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Was müssen wir also anders machen? Wir brauchen in erster Linie einen Fokus auf interne Care-Strukturen. Diese sollten uns erlauben, zu reflektieren, wie unsere Arbeitsweisen Burnout-Kultur fördern. Dass wir uns keine Zeit für Fürsorge nehmen und gegenseitig geben können, ist eine Lüge des Kapitalismus. Wir müssen lernen, wie wir nachhaltig aktiv sein können. Fragen wie «Was brauche ich, um meine Grenzen einschätzen und respektieren zu können? Was ist der Fokus meiner Arbeit? Was macht mir Spass?» können dabei helfen.

Gemeinsam füreinander sorgen ist ein unabdingbarer Bestandteil in der Vision für eine gerechtere Welt. Care ist keine Nebensache, Care ist Aktivismus!

Was mir nebst solch einem Reflexionsprozess jedoch zentraler scheint, ist ein Shift, also eine Veränderung, in unserem Verständnis von Aktivismus. Ein Beispiel: Zwei mutige junge Aktivist*innen kommen nach einem Tag voller Ups und Downs mit Tränen im Gesicht auf mich zu. Es war eine lange und anstrengende Aktion mit viel zu wenig Schlaf. Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass die beiden für ein nächstes Mal gar nicht an den Punkt gelangen, an dem sie jetzt sind. Pause machen, essen und Zeit in unserer Community verbringen sollte aktiver Teil unseres Aktivismus sein und nicht erst nach Aktionen, sondern so gut es geht auch vorher und während der anstrengenden Phasen möglich gemacht werden. Kurz: Regeneration macht Aktivismus erst möglich.

Gemeinsam füreinander sorgen (to care!) ist ein unabdingbarer Bestandteil in der Vision für eine gerechtere Welt. Care ist keine Nebensache, Care ist Aktivismus! Lasst uns also mit diesem Wissen den Spruch «Be careful with each other, so we can be dangerous together» sorgfältig untersuchen und gemeinsam neue Wege des Zusammenseins erproben.