Für eine Medienförderung, die eine breite Kulturberichterstattung garantiert

von Christoph Reichenau 6. Dezember 2020

Welche Folgen hat die Zusammenlegung der Redaktionen von «Bund» und «Berner Zeitung» im Frühjahr 2021 auf die Kulturszene in Bern? Journal B befragte Bernhard Giger, den abtretenden Leiter des Kornhausforums und Präsident von bekult, der Vereinigung der Berner Kulturveranstaltenden. Das Gespräch wurde per Mail geführt.

Journal B: Ab April 2021 gibt es in Bern nur noch eine Redaktion für eine oder zwei Tageszeitungen. Einer der bekannt gewordenen Gründe ist, dass es für die Berichterstattung über Kultur nicht zwei Tages-Medien brauche. Welche Auswirkungen wird dies auf die Kulturveranstaltenden haben?

Bernhard Giger: Es ist erschütternd, aber genauso wird argumentiert: Warum es denn nach der Stadttheater-Premiere zwei Besprechungen brauche, eine genüge doch, soll Tamedia-Co-Geschäftsführer Marco Boselli gegenüber den Redaktionen erklärt haben. Er meinte es nicht als faulen Witz. Aber es geht ja bei dieser Zeitungs-Zusammenlegung nicht nur um die Kultur, sondern um die ganze Region: Eine Stimme genügt, und auch die eigentlich nur dann, wenn es überregional von Interesse ist. Herr Boselli würde besser Schuhe verkaufen. Die sehen überall gleich aus, in Zürich, Münsingen und an der Spitalgasse. Weil all das, was den Journalismus ausmacht, quer durch alle Medien und Zeiten und neuen Techniken, das, weswegen wir überhaupt eine Zeitung lesen, egal, ob im Print oder online, das holzt er jetzt gerade flach: Die lokale Verbundenheit und Kompetenz der beiden Berner Zeitungen, die Verwurzelung mit der Welt, für die man berichtet. Lokaler Charme, das ist nicht provinziell, das bedeutet einfach Nähe zu den Leserinnen und Lesern – das klassische Rezept für ein erfolgreiches Medienprodukt.

 

Wie wichtig sind Vorschau und Berichterstattung über kulturelle Produkte und Anlässe? Was geschieht, wenn in Zukunft eine Stimme fehlt?

Nicht nur eine Stimme wird fehlen, es werden Stimmen fehlen. Es ist zu befürchten, dass die Redaktionen nicht nur zusammengelegt, sondern auch abgebaut werden. Was braucht es noch den Theaterkritiker oder die Musikspezialisten, wenn die Redaktion – noch einmal Herr Boselli – doch einfach mehr über Netflix bringen soll anstatt vielleicht an einen Tanzabend in die Dampfzentrale zu gehen oder in ein neues Stück im Tojo. Es ist in der Kultur wie in der Politik: Fehlt der öffentliche Dialog darüber – und der findet nun einmal vor allem über die Medien statt –, hat das Einfluss auf ihre gesellschaftspolitische Funktion. Ist die Kultur nicht mehr im öffentlichen Gespräch – noch einmal: wie in der Politik –, verliert sie gegenüber dieser Öffentlichkeit, für die sie doch gemacht wird, an Relevanz. Es gehörte lange zum Selbstverständnis und Stolz der Zeitungsverlage, auch eine gesellschaftspolitische Verantwortung zu übernehmen. Aber die Zeiten, als es noch gab, was man respektvoll Verlegerkultur nannte, sie sind offenbar definitiv vorbei. 

 

Man müsste selbst etwas aufbauen können

 

Weshalb blieb die Kulturszene bisher stumm?

Ich kann nicht für die Kulturszene reden – aber aus eigener Erfahrung im Kornhausforum und aus Berichten anderer weiss ich, dass es durch Corona seit diesem Frühling Themen gibt, die uns, ob wir wollen oder nicht, näher gehen. Das soll keine Ausrede, allenfalls eine Erklärung sein. Denn, ehrlich: Was sich am Nordring anbahnt, habe ich, wie vermutlich viele in Bern, mehr oder weniger einfach zur Kenntnis genommen. Überraschend kam es ja nicht. Und, ja: Was machen ausser protestieren und – in stetig sanftem Kulturpessimismus älter geworden – über die Zeiten reden, als alles noch anders war? Man müsste, aus der Kultur und der Politik dieser Stadt heraus, selbst etwas aufbauen können. Ideen dafür gibt es sicher genug, bloss das Geld, das es dafür braucht, hat wohl keiner und keine von uns.

 

Die Schriftstellerin Tabea Steiner hat unlängst einen Ausbau der Kulturkritik gefordert. Wie soll das gehen, wenn jetzt im Bereich der Berner Printmedien das Gegenteil geschieht? Kann die «Berner Kulturagenda» die Lücke schliessen?

Sie muss, müsste man sagen. Aber es ist bekannt, auch ihre Zukunft ist ungewiss. Irgendeinmal in den nächsten Jahren wird es den Anzeiger nicht mehr als Printprodukt geben. In welcher Form die «Kulturagenda» weitergeführt wird, ist offen. Aber ob nur noch online oder auch als Printprodukt, nur ein Veranstaltungskalender dürfte das nicht sein. Hier müsste vielmehr eine Plattform entstehen, eine eigentliche Berichterstattung über die Kulturszene.

 

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Stadtpräsident Alec von Graffenried erwähnte im Gespräch mit «Journal B» die Notwendigkeit eines Anschlussprodukts, wenn der Stadtanzeiger als Träger wegfällt. Die Stadt, sagte er, würde sich daran im Rahmen des heutigen Beitrags an die «Kulturagenda» beteiligen. Jetzt müsste bloss jemand richtig die Initiative ergreifen, am besten die Stadt selber, zumindest solange, bis geklärt ist, was unter welcher Trägerschaft und Finanzierung und mit welcher Art von Redaktion entstehen soll.

 

Bekult würde sich gern beteiligen

 

Gibt es Möglichkeiten, über öffentliche Medienförderung die Kulturberichterstattung zu stützen?

Das sind jetzt wahrscheinlich kulturpolitische Träumereien: Aber in der Kulturförderung gibt es genau definierte inhaltliche Vorgaben, die zu erfüllen sind, damit das Geld fliesst. Das könnte in der Medienförderung ähnlich laufen. Gefördert werden nur Medienprodukte, die eine breite Kulturberichterstattung garantieren, das könnte man festschreiben. Eine Regionalzeitung aus einem nationalen Konzern hingegen, bei der die eigene Region nur noch Nebenthema ist, sollte kein Anrecht auf Fördergelder haben.

 

Was unternimmt bekult, um in Bern Gegenkräfte zu wecken bzw. den Schaden zu minimieren? Steht die Kulturszene auf?

An der Entwicklung eines Anschlussproduktes, wie es der Stadtpräsident nennt, an die «Kulturagenda» würde sich bekult gern beteiligen. Eine weitere Möglichkeit, nicht gerade Gegenkräfte, aber doch ein wenig Gegensteuer zu entwickeln, wäre vielleicht eine noch stärkere Vernetzung der Kulturschaffenden und Kulturveranstaltenden untereinander, ein vermehrtes, gegenseitiges Aufeinander hinweisen. Aber für all das muss die Kulturszene vorerst überhaupt einmal wieder aufstehen, wieder spielen können.