Für die ökologische Verkehrswende

von Evi Allemann 25. September 2015

«Die Verkehrswachstumsprognosen sind horrend und machen Angst, nicht stolz. Schon der heutige Verkehr ist vielerorts kaum zu bewältigen. Jetzt ist die Zeit reif, nach der Energiewende die Verkehrswende voranzutreiben.»

Verkehrspolitik war lange hauptsächlich Infrastrukturpolitik. Die Währung war Asphalt und Beton, der Erfolgsmesser die wachsende individuelle Mobilität. Das hat sich zum Glück geändert. Die Verkehrswachstumsprognosen sind horrend und machen Angst, nicht stolz. Schon der heutige Verkehr ist vielerorts kaum zu bewältigen, geschweige denn in Zukunft, sollten die Prognosen eintreffen. Die Herausforderung besteht heute insbesondere bei der Strasse nicht mehr darin, die Infrastruktur kopflos auszubauen, sondern die Verkehrsströme auf den bereits bestehenden Infrastrukturen so zu lenken, dass der Verkehr fliesst und nicht staut. Alles andere ist weder finanzierbar noch ökologisch vernünftig.

Weg von der Infrastrukturpolitik

Verkehrspolitik ist immer weniger reine Infrastrukturpolitik. Verkehrspolitik ist auch Wohnbaupolitik, weil es wieder möglich sein muss, dort bezahlbare Wohnungen zu finden, wo das Gros der Arbeitsplätze ist. Verkehrspolitik ist auch Energiepolitik, weil 40 Prozent der Treibhausgas-Emissionen aus dem Verkehrsbereich stammen. Die Energiewende und die Klimaziele sind ohne ökologische Verkehrswende nicht realisierbar. Verkehrspolitik ist auch Steuerpolitik, weil sich die heutige Verkehrsfinanzierung stark auf Einnahmen aus der Mineralölsteuer, der Autoimportsteuer und anderen Verkehrsabgaben abstützt. Mit innovativen Ansätzen wie Mobility Pricing muss der Verursachergerechtigkeit und Leistungsabhängigkeit bei der Bepreisung mehr Gewicht gegeben werden. Eine Umorientierung der Verkehrspolitik ist der Ausweg aus der Sackgasse des Verkehrswachstums. Und dieser Ausweg heisst ökologische Verkehrswende.

Die Analogie zur Energiewende ist frappant: In den letzten zehn Jahren sind Konzepte und Technologien entstanden, welche die Energiewelt verändern werden. Gleichzeitig ist das Bewusstsein für die Klimafrage und die Problematik der Atomenergie sowie die Endlichkeit der Ressourcen derart gestiegen, dass neue politische Allianzen möglich wurden. Jetzt ist die Zeit reif, um das Gleiche im Verkehrsbereich zu tun: Neue Antriebstechnologien wie die Elektromobilität kamen auf, der öffentliche Verkehr legte an Marktanteil und Akzeptanz zu und bei der Raumplanung stieg das Bewusstsein für die negativen Auswirkungen der Zersiedelung. Nun muss das Ganze wie bei der Energiewende zu einer eigentlichen Verkehrswende gebündelt und politisch eine Vorwärtsstrategie eingeschlagen werden. Genauso wie bei der Energiewende wird der Staat nicht alles alleine lösen können. Die Bevölkerung, aber auch die Wirtschaft müssen die ökologische Verkehrswende mittragen – weil sie zu mehr Lebensqualität führt und zur wirtschaftlichen Entwicklung einen wesentlichen Beitrag leistet.

Ein nachhaltiges Mobilitätssystem vorantreiben!

Zugegeben, die Schweiz ist in der Verkehrspolitik noch nicht so weit wie in der Energiepolitik. Aber erinnern wir uns an jene Zeit, in der drei neue AKW in der Planung waren und die Erdölvereinigung die Einführung der CO2-Abgabe auf Brennstoffen verhindern konnte. Das ist keine zehn Jahre her. Das zeigt, was in zehn Jahren möglich ist, wenn die politischen Allianzen breit genug sind. Wenn wir auch in der Verkehrspolitik in zehn Jahren soweit sein wollen wie heute in der Energiepolitik, müssen wir die Verkehrswende zügig vorantreiben. In einigen Kreisen der Bevölkerung hat sich diese Einsicht bereits verbreitet. Das erklärt auch den Erfolg des öffentlichen Verkehrs. Mit der FABI-Vorlage, welche auf eine Volksinitiative des VCS zurückgeht, wurden bereits erste Schritte eingeleitet.

Die ersten Ansätze sind also da. Aber gleichzeitig spürt man auf der politischen Bühne einen massiven Gegenwind bei der ökologischeren Ausgestaltung der künftigen Strassenverkehrsfinanzierung. Zudem haben die Auto- und die Betonlobby eine Offensive gestartet, sowohl im Parlament (Stichworte: zweite Gotthard-Röhre und Ausbauprojekte im NAF) als auch per Volksinitiative (Stichwort Milchkuh-Initiative).

Das zwingt uns, in der nächsten Legislatur nicht nur vorwärts zu schauen, sondern wir müssen parallel dazu Rückschritte abwehren. Denn die Schweiz darf nicht in die verkehrspolitische Betonzeit zurückfallen, sondern soll ein nachhaltiges Mobilitätssystem bekommen, das die Energiewende erst komplett macht.