Frauenquote auf Schweizer Bühnen?

von Jessica Allemann 4. Dezember 2012

Von 33 Headliners am Gurtenfestival 2012 waren fünf weiblich. Den Bühnen fehlen die Frauen. Ein Podium sollte Ursachen ergründen und Lösungen ansprechen und tat dies etwas kraftlos. Ein «subtil kommentierender» Bericht.

Von 33 Headliners am Gurtenfestival 2012 waren fünf weiblich. Unter den 54 Musikerinnen und Musikern, DJs und DJanes, die im Dezember im Gaskessel auftreten, befindet sich eine Sängerin. Im Dachstock treten in diesem Monat 92 Musikerinnen und Musiker, MCs und DJs auf – davon sieben Frauen. Im Café Kairo stehen im Dezember (wahrscheinlich) eine Frau und 16 Männer auf der Bühne, im Bierhübeli sind es drei Frauen und 60 Männer.*

Gaskessel
53 ♂ : 1 ♀
Dachstock
85 ♂ : 7 ♀
Café Kairo
16 ♂ : 1 ♀
Bierhübeli
60 ♂ : 3 ♀

Das Männer-Frauen-Verhältnis auf Berner Bühnen im Dezember 2012*

Im Schweizer Musikbusiness in den Bereichen Jazz, Pop und Rock sind Frauen mit nur 5 bis 10 Prozent vertreten. Besonders Instrumentalistinnen sind auf Bühnen eine Minderheit. Um diesem Phänomen auf den Grund zu gehen, lud Helvetiarockt, die Koordinationsstelle für Musikerinnen im Jazz, Pop und Rock, zusammen mit dem Frauenraum der Reitschule zu einem Podiumsgespräch. Gurtenfestival-Veranstalter Philippe Cornu, Managerin Kathy Flück, die Gitarristin der Velvet Two Stripes Sara Diggelmann, Musikjournalistin und DJane Tara Hill, die Leiterin der Sektion Kultur und Gesellschaft des Bundesamtes für Kultur Franziska Burkhardt und Chrigel Fisch, Pop- und Rockförderer, diskutierten unter der Moderation von Radio-Frau und DJane Cheyenne Mackay zum Thema «auf welchen Bühnen spielen die Frauen?».

Man könne während eines Abends zwar nicht die Welt verändern, eröffnet Regula Frei, Geschäftsleiterin von Helvetiarockt, die Gesprächsrunde, das Thema aufs Parkett zu bringen sei zumindest ein Anfang. Zuoberst stehe der Wunsch, dass «ihr hier ein wenig anders rausgeht, als ihr reingekommen seid».

Von Empörung keine Spur 

Alsbald schlichen sich jedoch Zweifel daran ein, dass sich dieser Wunsch erfüllen würde. Das Gespräch zwischen den Podiumsteilnehmenden wirkte kraftlos, von einer Empörung, welche oben genannte Zahlen auslösen könnten, war nichts zu spüren. Viel zu schnell schien man sich darüber einig zu werden, dass das Thema «Frauenförderung im Musikbusiness» ja eigentlich ein gefährliches sei, weil man durch dessen Thematisierung das erreiche, was man ja bekämpfen möchte: Nämlich das Festigen des Sonderstatus der «Frau auf der Bühne».

«Ich buche nicht geschlechts-spezifisch, sondern sound-spezifisch. Ob eine Band aus Frauen oder Männern besteht, ist mir scheissegal.»

Philippe Cornu, Festival- und Konzertveranstalter

«Gurtenmann» Philippe Cornu beteuerte ebenso wie «Steff La Cheffe»-Managerin Kathy Flück, sich bis anhin nicht mit der Geschlechterfrage auseinandergesetzt zu haben, und dass es «eigentlich scheissegal» sei, ob in einer Band Männer oder Frauen sind, solange der Sound stimme (so Cornu), und solange das Zwischenmenschliche funktioniere (so Flück). Gitarristin Sara Diggelmann bestätigte, dass sich der Erfolg ihrer reinen Frauenband Velvet Two Stripes auch ohne Förderung einstellte, weil ihnen von den Medien mehr Aufmerksamkeit zuteilwurde, als wenn sie noch Männer in der Band gehabt hätten – Frauenbonus anstatt Exotenstatus? 

Sogar ein paar Klischees wurden heruntergebetet. So etwa, dass in kommunikativen Bereichen des Business – beispielsweise bei Pressesprecherinnen oder Promoterinnen – durchaus auch etliche Frauen zu finden seien. Oder dass Frauen die besseren Menschen seien, weil sie mehr Sorge zum Planeten trügen und die weibliche Seite der Gesellschaft ohnehin besser bekomme als die männliche. Dass die Gewaltbereitschaft, welche gewissen Musikstilen wie Punk, Hardrock oder Hip-Hop immanent sei, «a man’s thing» und die «Kreativität auf und vor der Bühne nicht nur musikalisch, sondern auch hormonell und dadurch nicht kontrollierbar» sei, wie es Chrigel Fisch unglücklich formulierte. Und worauf er hämisches Gelächter aus dem Publikum des Frauenraums erntete.

Mädchen flöteln, Buben schlagen

Tara Hill brachte neben persönlichen Erfahrungen als Musikjournalistin und DJane («ich bin alleine auf weiter Flur») auch theoretisches Fundament von ihrem Studium der Gender Studies in die Debatte. Das Klischee, dass Frauen und Technik, wie Mischpulte und Verstärker, wenig verbindet, hält sich letztlich ebenso hartnäckig wie die männliche Konnotation von «Spezialistenorten» wie Plattenläden, Bandräumen und auch Rock-Kneipen. Eine Frau hat an diesen Orten nach wie vor Exotenstatus und nicht selten mit Vorurteilen zu kämpfen, wie sie aus eigener Erfahrung zu erzählen weiss: «Als kleiner blonder Teenager bin ich mir sehr blöde vorgekommen, in einen solchen Laden zu gehen. Ich wurde gefragt, ob ich mich verirrt hätte.» Daraufhin hätte sie es ein paar Jahre lang sein lassen mit den Plattenladen-Besuchen. Denn solche Orte seien auch Orte, wo sich Männer treffen, um sich auszutauschen und nebenbei zu zeigen, wie gut sie sich auskennen. «Man muss als Frau erst genug Selbstvertrauen aufbauen, um da hin zu gehen.» Weil Frauen aber eher zu Selbstzweifeln tendieren würden, während Männer sich mehr zutrauten, fehle es letztlich nach wie vor an weiblichen Vorbildern auf den Bühnen.

Einwände aus dem Publikum bewirkten Umdenken

Alles eine Frage des (mangelnden) Talents und des Wollens? Die Öffnung des Gesprächs auf das Publikum zeigte, wo an diesem Abend die Empörung und der Mut zu radikaleren Gedankengängen hockte: In den Stühlen und Sesseln des Frauenraums. Man sei schockiert über die Runde, die sich nicht an das Eruieren möglicher Ursachen der Problematik heranwage. Frau sei lange genug subtil gewesen und müsse zusehen, dass die Welt, die beiden Geschlechtern gehöre, gerecht verteilt werde. Die Diskussion müsse umgehend in den Kontext grösserer gesellschaftlicher Strukturen gestellt werden, weil keine und keiner frei handle und sich die Gesellschaft ohne grundlegendes Umdenken nur reproduziere statt verändere. Und ob nicht etwa auch im Musikbereich analog zum politischen System die Einführung einer Quotenregelung sinnvoll sei. Eine solche würde die Veranstalter letztlich zwingen auf Frauennetzwerke zuzugehen und Alternativen zu den gängigen, männlich dominierten Acts zu suchen. Die Voten des Publikums verhalfen der noch verhaltenen Diskussion auf dem Podium zu mehr Schärfe und zu einer verspäteten Auseinandersetzung mit möglichen Ursachen und Lösungsvorschlägen.

«Es macht Sinn, Mädchen und Frauen so zu fördern, dass sie den Level erreichen, auf dem sie sich getrauen, mitzumischen.»

Tara Hill, Musikjournalistin und DJane

Zwar wurde nicht auf den Vorschlag der Frauenquote auf den Schweizer Bühnen eingegangen, aber die Idee spezieller Förderungsprogramme schien Gefallen zu finden. Allerdings müssten solche Programme viel früher als beim Booking der Bands angesetzt werden, am besten noch im Kindesalter. «Es macht Sinn, Mädchen und Frauen so zu fördern, dass sie den Level erreichen, auf dem sie sich getrauen, mitzumischen», fand Hill. So könnten etwa Mädchen und junge Frauen in speziellen Workshops darin unterstützt werden, eigene Bands zu gründen oder sich das nötige technische Wissen anzueignen. Denn noch immer würden Mädchen, welche ein Instrument erlernen wollen allzu oft in den Chor oder in die Blockflötenstunde geschickt, während Buben mit Schlagzeug spielen beginnen. «Wenn das Mädchen als Jugendliche aufs Schlagzeug umsteigt, hat sie bereits einen Rückstand. Diesen kann sie aber mit entsprechender Ermutigung und Unterstützung leicht aufholen.» Noch besser wäre es, wenn ein Mädchen von Anfang an erfahren würde, dass es «okay ist, dass sie E-Gitarre spielen will», findet Cornu, der sich fortan mehr Gedanken zum Thema machen wolle.

Weniger Frauennetzwerke, mehr Frauen in die Netzwerke 

Auch Franziska Burkhardt («ich bin die einzige Frau in der Chefetage, oben sind nur noch Männer») befürwortet das Coaching von Frauen. Sie möchte aber generell weniger Frauennetzwerke und mehr Frauen in den bestehenden Netztwerke sehen. «Es wäre gut, wenn Netzwerke wie Helvetiarockt andere Netzwerke unterwandern würden, anstatt sich parallel dazu aufzubauen. Wir leben in einer männerdominierten Welt mit einem strukturellen, gesellschaftlichen Problem. Dieses System muss unterwandert werden, indem Frauen andere Frauen in alle Stellen und auf alle Hierarchieebenen holen, um verstärkt an strategischen Entscheidungen teilnehmen zu können.»

Und bis so viele Frauen an allen Positionen, auch auf Bühnen und hinter Mischpulten, stehen, dass sie nicht mehr als «Exotinnen» wahrgenommen werden, gilt es, «das Bewusstsein permanent zu schärfen» (so Fisch) und «die eigenen Positionen kritisch zu reflektieren und den gesellschaftlichen Kontext des Problems nicht aus den Augen zu verlieren» (so Hill).

Subtiles Unterwandern statt röhriges Poltern

Es scheint, im Frauenraum haben an diesem Abend nicht die Podiumsteilnehmerinnen und -teilnehmer dem Publikum neue Ideen eröffnet, sondern umgekehrt. Aber spielt es eine Rolle, wer am Ende anders nach Hause gegangen ist, als er oder sie gekommen ist?

Das Podiumsgespräch habe wohl tatsächlich mehr Effekt auf die Sensibilisierung der Podiumgesprächsteilnehmenden als auf das Publikum gehabt, sagt auch Organisatorin Regula Frei nach dem Anlass. So sei etwa bei Cornu «s Zwänzgi abe», indem ihm bewusst geworden sei, dass Vorbilder auf die Bühne geholt werden müssen. Flück gab Ende des Gesprächs an, dass sich bei ihr ein neues Bewusstsein eingestellt habe, und Fisch hat sich dazu bekannt, die Anliegen von Helvetiarockt zu untersützen. «Insofern sind wir durchaus zufrieden mit dem Ausgang des Gesprächs», sagt Frei.

Und wenn frau sich statt subtiler Systemunterwanderung ein rockig-röhriges Poltern und Kratzen am Kern gewünscht hätte, tröstet sie möglicherweise der Gedanke, dass ein kleiner Schritt in Richtung Weltveränderung zwar nicht die Welt, aber immer noch besser als Stehenbleiben ist.