Frauenmorde gehen alle etwas an

von Basrie Sakiri-Murati 23. Mai 2024

Kolumne Unsere Kolumnistin wird oft um Informationen über den Kosovo gebeten. Kürzlich sogar von einer Krimiautorin. Sie gab gerne Auskunft, obwohl es um ein düsteres Thema ging.

Vor einiger Zeit sprach mich Iris Minder, eine Autorin aus Grenchen, auf das Thema Femizid an. Sie wolle einen Krimi schreiben, sagte sie, unter anderem auch über Morde an Frauen aus dem Kosovo. Sie ist mutig, dachte ich, weiss sie überhaupt, worauf sie sich da einlässt? Sie war aber überzeugt von ihrer Idee. Und ich gab Auskunft, weil ich mir sagte: Als ich vor 35 Jahren in die Schweiz kam, wusste kaum jemand, wo Kosovo liegt. Heute schreiben Schweizer*innen Bücher über mein Herkunftsland und meine Landsleute. Sogar Krimis…

Ich traf mich also mit Iris und wir spazierten der Aare entlang und unterhielten uns über Alltägliches. Ziemlich bald merkte ich, dass es ihr mit dem Projekt über Femizide und Kosovo ernst ist. Ich erzählte ihr von der Gewalt an kosovarischen Frauen und den Morddrohungen, die mir bei meiner Arbeit als Übersetzerin zu Ohren kommen. Von Femiziden ist in der letzten Zeit in den albanischen Nachrichten leider nur zu oft die Rede.

Wäre Iris Minder in Prizren oder Prishtina aufgewachsen und würde Liridona oder Besa heissen, hätte sie das Buch nicht glaubhafter schreiben können.

Nun ist der Krimi von Iris Minder erschienen und ich frage mich: Wenn sie es nicht gewagt hätte, wer dann? Die Betroffenen bestimmt nicht! Den Angehörigen von ermordeten Frauen fehlt der Mut, sie fürchten um ihr Leben. Überlebende sprechen nicht, sie wurden gedemütigt und haben keine Kraft. Und ganz viele können nicht mehr sprechen, weil sie tot sind.

Als ich die ersten Abzüge des Buches las, war ich überwältigt. Staunen und Freude ergriffen mich. Die beschriebenen Szenen liessen mich ganz still werden, manchmal stockte mir der Atem, mein Puls wurde unregelmässig. Iris Minder beschreibt die Arbeit der Schweizer Polizist*innen genau. Sie handeln wachsam, überlegt, vorsichtig, geduldig, einfühlsam und stark. Nicht selten musste ich meine Tränen unterdrücken und meine Wut zügeln, denn einige Szenen kamen mir leider bekannt vor.

Information und Aufklärung hier wie dort ist wichtig.

Wäre Iris Minder in Prizren oder Prishtina aufgewachsen und würde Liridona oder Besa heissen, hätte sie das Buch nicht glaubhafter schreiben können. Unzählige Albanerinnen werden ihr dankbar sein für ihre Arbeit. Auch jene, die nicht mehr unter uns sind, wie die 41-jährige Ökonomin Shqiponja Isufi, aus Bremgarten, Aargau, die am 25.09.2022, vermutlich von ihrem Mann, getötet wurde, und die 29-jährige Liridona Ademaj, die nur ein Jahr später, am 29.11.2023 in der Anwesenheit von ihren kleinen Kindern, vermutlich im Auftrag von ihrem Mann, auf der Strasse im Kosovo sterben musste.

Die jungen Mütter sind nur zwei von Dutzenden, die in den letzten Jahren in der albanischen Gesellschaft, in der Diaspora oder im Kosovo, getötet wurden. Gjylieta Ukelli, 42 und Erona Cokli, 21, zwei Mütter, heissen die jüngsten Opfer, die durch Schusswaffen von Ihren Ehemännern getötet wurden.

Information und Aufklärung hier wie dort ist wichtig. Es kann jede von uns treffen, auch mich. Die Kriminellen dürfen unter uns keinen Platz haben. Nicht im Balkan, nicht in Afrika, und auch nicht hier in der Schweiz!

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