Frauen im Krieg: Täterinnen und Opfer

von Carmen Scheuber 2. März 2013

Als deutsche Oberstabsärztin in Afghanistan, als kurdische Kriegerin, als Mitarbeiterin beim Internationalen Roten Kreuz oder als Überlebende des Massakers von Srebrenica. Welche Rollen nehmen Frauen im Krieg ein?

«Ich wollte mit der Ausstellung möglichst nahe am Kern der Erzählungen der Frauen bleiben», sagt die Regisseurin der begehbaren Ausstellung «Women and War», Simone Eisenring. Die Ausstellung beschäftigt sich mit der Frage, welche Rolle Frauen im Krieg einnehmen und vermittelt auf eindrückliche Art und Weise die unterschiedlichen Erfahrungen von betroffenen Frauen.

Ihre Lebensgeschichten sollten möglichst authentisch vermittelt werden. Dazu recherchierte Eisenring mit ihrem Team gut zwei Jahre lang und führte mit betroffenen Frauen Interviews. Die im Stück verwendeten Interviewtexte wurden deshalb bis auf einzelne Kürzungen nicht verändert.

Sechs Stoffzelte dienen als Ausstellungsräume. Zum einen haben Zelte keinen häuslichen, sicheren Charakter und symbolisieren die Lebenssituation vieler Flüchtlinge. «Frauen haben einen starken Bezug zu Stoff», findet Eisenring.

«Die erst unklaren Grenzen zwischen Realität und Schauspiel bringen einem die Geschichten besonders nahe.»

Carmen Scheuber, Volontärin

In manchen Zelten begegnet das Publikum Frauen, die von ihren Kriegserlebnissen berichten. Es ist zunächst unklar, ob man die tatsächlich interviewten Frauen oder eben doch Schauspielerinnen vor sich hat. Die erst unklaren Grenzen zwischen Realität und Schauspiel bringen der Zuschauerin und dem Zuschauer die Geschichten besonders nahe. Der Effekt verstärkt sich durch das überzeugende Schauspiel von Franziska Dick, Sabrina Hodzic und Angelika Sautter. Zur Vorbereitung auf ihre Rollen haben sie sich Aufzeichnungen der Interviews angeschaut und versuchen nun die Frauen und ihre Geschichten möglichst originalgetreu darzustellen, erklären sie in der Fragerunde nach der Vorstellung.

Im Krieg Erfahrungen sammeln

Im Zelt namens «Supporteinheiten» wird die Geschichte einer deutschen Frau erzählt, welche nach ihrem Studium bei der Bundeswehr als Zeitsoldatin verpflichtet und mit dem Beginn des Afghanistan-Einsatzes erneut rekrutiert wurde. So verbrachte sie von 2002 bis 2007 insgesamt zwei Jahre als Oberstabsärztin in Afghanistan. Das Publikum erhält einen Eindruck, mit welchen Herausforderungen die Ärztin durch ihre Einsätze in ihrem Privat- wie auch in ihrem Arbeitsleben konfrontiert wurde. Etwa, dass der Einsatz in Afghanistan die Beziehung zu ihrem Mann auf eine harte Probe stellte, und dass auch ihre fünf Kinder einen Weg suchen mussten, mit ihrer Abwesenheit umzugehen. Sie hält fest, dass Ärzte, nebst allen Widrigkeiten, in Kriegssituationen viele Erfahrungen sammeln können, welche sie in einem Zustand des Friedens wohl nie gemacht hätten. In Afghanistan wurde die Ärztin mit anderen Krankheiten und Verletzungen als in Deutschland konfrontiert. Explosionsverletzungen mit zerfetzten Gliedmassen gehörten dazu.

Das Volk vor der Unterdrückung befreien

«Die Frau an den Waffen» ist der Titel eines weiteren Zeltes, das zum Ziel hat, die Täterrolle von Frauen zu thematisieren.

«Es war besonders schwierig, Frauen zu finden, die bereit waren, von ihrer Täterrolle zu erzählen»

Simone Eisenring, Regisseurin

«Es war besonders schwierig, Frauen zu finden, die bereit waren, von ihrer Täterrolle zu erzählen», sagt Eisenring, «weil sich die Frauen fürchten, dass sie dann in ihren Kreisen als Verräterinnen wahrgenommen werden». Mehrere Frauen hätten die Interviews kurzfristig abgesagt, aus Angst vor den möglichen Konsequenzen. Die im Zelt porträtierte Kurdin äusserte sich deshalb auch nur anonym. Grösstenteils in Deutschland aufgewachsen, schloss sie sich der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) an. Als junge Frau wollte sie kämpfen, um das kurdische Volk vor der Unterdrückung zu befreien. In dieser Bewegung nehmen Frauen eine besondere Stellung ein, und es gibt reine Fraueneinheiten. In Deutschland wird die PKK seit 1998 als kriminelle Vereinigung abgestuft. 

Das Abenteuer suchen und Krieg finden

«Hilfsorganisation» heisst das Zelt, in welchem das Leben einer Frau dargestellt wird, welche über sieben Jahre für das Internationale Rote Kreuz (IKRK) tätig war.
Nach einer erfolgreichen Karriere suchte sie das ungewisse Abenteuer als Organisatorin und Koordinatorin von Hilfseinsätzen. Die schwierige Seite der Arbeit wird deutlich, wenn sie davon erzählt, dass in brenzligen Situationen die lokalen Arbeiter ausharren müssen, während die internationalen Mitarbeiter evakuiert werden, und somit ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Krisengebiet alleine lassen. Dadurch war sie den Gefahren der Kriege weniger stark ausgesetzt wie andere der porträtierten Frauen. Das erlaubte ihr einen distanzierteren und gleichzeitig reflektierteren Bezug zum Krieg einzunehmen.

Das Publikum lernt weitere erschütternde Schicksale von Frauen in Kriegssituationen kennen, erfährt die Geschichte einer Frau, welche das Srebrenica-Massaker überlebte und wird Zeuge von Erzählungen über sexualisierte Gewalt und Flucht.

Die Realität nicht verbiegen

Die Ausstellung regt zum Nachdenken an. Einerseits, weil das Publikum mit Kriegserlebnissen konfrontiert wird, die zum Teil schwer vorstellbar sind. Anderseits weil aufgezeigt wird, welch unterschiedliche Rollen Frauen im Krieg einnehmen und wie sie damit umgehen. Gerade diese unterschiedlichen Perspektiven und insbesondere die Benutzung von Originaltexten, lassen diese Ausstellung sehr authentisch wirken.

«Wir haben festgestellt, dass Frauen hauptsächlich Opfer der Kriege sind.»

Simone Eisenring, Regisseurin

Einen wichtigen Beitrag zu diesen Atmosphären leisten insbesondere auch die Schauspielerinnen, welche ihre Rollen als Opfer und Täterin sehr überzeugend verkörpern. Das dokumentarische Theater, wie es Eisenring selber nennt, bleibt trotz des Einsatzes von Schauspielerei ganz nahe an der Realität: «Wir wollten Frauen nicht nur als Opfer darstellen, sondern auch die Täterrolle thematisieren», erzählt Eisenring. «Bei den Recherchen haben wir aber festgestellt, dass Frauen hauptsächlich Opfer der Kriege sind.» Deshalb habe man der «Frau an der Waffe» wohl ein Zelt gewidmet, den Schwerpunkt aber auf die anderen Rollen gelegt. «Wir wollen die Realität schliesslich nicht verbiegen.»