Frauen verdienen im Kanton Bern rund 18 Prozent weniger als Männer, deshalb erreichen sie erst heute den Lohn, den Männer bereits Ende 2012 verdient haben. Dieser Fakt gibt dem heutigen Tag seinen Namen: Equal Pay Day.
«Es gibt keine staatliche Aufsicht über die Lohngleichheit in der Privatwirtschaft», sagt Barbara Ruf, Gleichstellungsbeauftragte des Kantons Bern. Bund und Kanton können aber über das öffentliche Beschaffungswesen Einfluss auf die Lohngerechtigkeit bei Frauen und Männern nehmen. Der Kanton Bern kontrolliert beispielsweise in einem Pilotprojekt stichprobenweise Firmen, die öffentliche Aufträge erhalten. Dies unterstütze die Durchsetzung der Lohngleichheit. «Es wäre ein grosser Schritt erreicht, wenn alle Kantone konsequent Kontrollen durchführten», sagt Ruf. Es wäre auch richtig, dass der Staat von subventionierten Institutionen wie z.B. Museen die Einhaltung der Lohngleichheit verlange.
Frauen müssen für ihr Recht eintreten
«Heute liegt die Verantwortung allein bei den Unternehmen», sagt Ruf. Immerhin haben sich einige Firmen, darunter Mc Donalds und der VCS freiwillig dem Lohngleichheitsdialog angeschlossen. Dies beinhaltet, dass sie die Löhne von Frauen und Männern gemeinsam mit den Sozialpartnern unter die Lupe nehmen und dies öffentlich kommunizieren. 60 Prozent aller Lohnunterschiede können mit einer geringeren Ausbildung, weniger Arbeitserfahrung und mehr Auszeiten etwa wegen Familienarbeit begründet werden. Die übrig bleibenden 40 Prozent lassen sich nicht erklären — dabei handelt es sich um Diskriminierung. Leider stösst der freiwillige Weg bisher nur auf mittelmässiges Interesse bei den Unternehmen, sagt Ruf.
«Leider wird Familienarbeit immer noch nicht als qualifizierende Erfahrung im Berufsleben gewertet.»
Regula Rytz, Nationalrätin GB
«Nur wenige Unternehmen haben ihre Löhne auf Diskriminierungen hin durchsucht», Regula Rytz, Nationalrätin des Grünen Bündnisses. Sie merkten deshalb nicht, dass Frauen z.B. im Anstellungsgespräch oder bei Beförderungsrunden oft bescheidener auftreten als Männer von der Lohnentwicklung abgehängt werden. Deshalb sind auch die Frauen selber gefragt. «Frauen müssen selbstbewusst auftreten und ihre Erwartungen an die Gleichbehandlung klar auf den Tisch legen», sagt die frühere Tiefbaudirektorin der Stadt Bern.
Barbara Ruf schliesst an: «Wenn sich eine Frau in ihrem Lohn benachteiligt fühlt, empfehlen wir, dass sie zuerst betriebsintern nach einer Lösung sucht oder als nächstes an die Schlichtungsbehörde gelangt.» Erst wenn dies nichts fruchte, solle sie eine Klage erwägen, die mit einigen Belastungen für die Klägerin verbunden sein kann. «Natürlich können Frauen mit der Unterstützung einer Gewerkschaft eine Lohnklage einreichen. Es ist allerdings nicht Sache der Frauen, die gesetzlich vorgeschriebene Lohngleichheit durchzusetzen», betont Rytz. Da seien in erster Linie die Wirtschaft und die Politik gefordert.
Niedriglohn-Arbeit setzt Teufelskreis in Gang
Die ungerechtesten Gewerbe sind die Finanz- und Versicherungsbranche sowie die Kommunikations- und Informationsbranche. Zudem arbeiten Frauen viel stärker in niedrig bezahlten Jobs als Männer. Demnach werden Stellen mit einem Bruttolohn unter 3500 Franken zu 67 Prozent von Frauen besetzt. Hingegen arbeiten Frauen nur zu rund 22 Prozent in Positionen mit einem Bruttolohn über 8000 und nur 13 Prozent verdienen 160’00 Franken. Rytz empfiehlt Mädchen daher bereits bei der Berufswahl genau zu schauen, welche Lohn- und Entwicklungsmöglichkeiten mit einem Beruf verbunden sind. «Wenn sie sich für den Beruf der Coiffeuse entscheiden, haben sie wenig Aufstiegsmöglichkeiten. Wenn sie dagegen Ingenieurin werden, stehen alle Türen offen», erläutert Rytz.
Wenn Frauen vermehrt in gering entlöhnten Berufen arbeiteten, werde damit auch das klassische Rollenmodell gefördert, weil dann die Frauen eher ihr Pensum reduzierten oder sich ganz aus dem Beruf verabschiedeten. Diese Familienzeiten wirkten sich wiederum negativ auf den Lohn aus. «Das ist ein Teufelskreis», sagt Ruf. «Leider wird Familienarbeit immer noch nicht als qualifizierende Erfahrung im Berufsleben gewertet», bedauert Rytz. Absenzen wegen Militärdienst dagegen scheinen in vielen Betrieben kein Handicap für die Karriere zu sein. «Solche Ungleichheiten sind stossend.»