Alltag - Kolumne

Fasnacht heisst auch Freiheit

von Basrie Sakiri-Murati 14. Februar 2025

Kolumne Fastnacht gehörte zu den vielen hiesigen Traditionen, die unserer Kolumnistin erst kennenlernen musste. Heute reflektiert sie über die Bedeutung des Festes.

Es war im Winter 1990: In der Solothurner Altstadt sah ich zufällig einen Fasnachtsumzug und war überwältigt. Die vielen bunt gekleideten und maskierten Menschen, dazu die eigenartige Musik! Das Ganze war mir fremd. Ich wollte wissen, was die Masken bedeuteten und was die Leute zu feiern hatten. Ist das eine Tradition? Gibt es das auch anderswo? Warum die eigenartige Ausgelassenheit, diese fröhliche mir völlig unbekannte Stimmung?

Eine Passantin informierte mich «Man will so den Winter vertreiben», erklärte sie. Das fand ich lustig: den Winter mit Masken und lauter Musik vertreiben! Davon hatte ich in meiner Heimat Kosovo nie gehört. Ich weiss nur, dass man am Ende des Winters sagt, wenn nur noch wenig Schnee fällt «Po shkunen plakat.» («Die alten Frauen schütteln sich.»)

Es war das pure Gegenteil von dem, was ich später auf Solothurns Strassen erleben sollte. Die Leute im Kosovo waren unsicher und verängstigt. Sie standen bewaffneten Sicherheitsleuten und Polizisten gegenüber.

Trotz der fröhlichen Atmosphäre in Solothurn weckte die Menschenmenge auch ungute Erinnerungen an Ereignisse ein Jahr zuvor in meiner Heimatstadt Podujeve. Wir hatten nichts zu feiern damals, wir demonstrierten gegen die Unterdrückung durch die serbische Regierung und für die Freiheit unseres Landes.

An jenem Tag war eine Delegation des Europäischen Parlaments im Kosovo. Sie sollte die Lage in unserem Land beurteilen. Deshalb wollten wir unseren Unmut und unsere Unzufriedenheit zeigen. Es war das pure Gegenteil von dem, was ich später auf Solothurns Strassen erleben sollte. Die Leute im Kosovo waren unsicher und verängstigt. Sie standen bewaffneten Sicherheitsleuten und Polizisten gegenüber. Der Protest der Menschen richtete sich gegen das Regime, das ihnen die Teilautonomie verwehrte. Zuschauer gab es kaum, es war zu gefährlich. Einige Männer schauten am Strassenrand neugierig zu, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Sie hatten nicht den Mut, sich den mehrheitlich jungen Demonstrierenden anzuschliessen. Wir feierten nichts, wir riskierten unser Leben vor den serbischen Panzern. Es gab Verletzte und Tote. Ein guter Freund von mir starb.

Im mehrheitlich muslimischen (und patriarchalen) Kosovo war und ist Fasnacht bis heute unvorstellbar.

Eigentlich kein Vergleich zum kreativen, fröhlichen Fasnachtstreiben hier. Heute erinnere ich mich gerne an den kleinen Umzug mit Musik durch unser Quartier mit meinen kleinen Kindern. Es war wunderbar zu sehen, wie sie verzaubert und neugierig auf das Treiben reagierten. Sie liessen sich ihre Gesichter schminken; und meine Tochter trug einmal sogar ein Prinzessinnenkleid. Sie amüsierten sich köstlich. Die Fasnacht in der Stadt, die wir später auch einmal besuchten, machte ihnen aber eher Angst. Die Masken, die vielen Leute und die laute Musik gefielen ihnen nicht.

Journal B unterstützen

Unabhängiger Journalismus kostet. Deshalb brauchen wir dich. Werde jetzt Mitglied oder spende.

Im mehrheitlich muslimischen (und patriarchalen) Kosovo war und ist Fasnacht bis heute unvorstellbar. Im Nachbarland Albanien, wo in grösseren Städten viele Christen leben, kennt man das Fest seit einigen Jahren wieder. Unter den Kommunisten, die von 1946 bis 1990 regierten, waren öffentliche religiöse Volksfeste aber untersagt gewesen. Religion wurde nur begrenzt toleriert – zuhause oder in Moscheen und Kirchen.

Ob sich die Fasnächtler hierzulande bewusst sind, wie viel ihr kreatives Treiben auch Freiheit bedeutet?