Die Bühne ist leer, leichter Nebel steigt auf, fast immer herrschen Halbschatten und Zwielicht. Wir schauen auf einen Nicht-Ort, an dem die Tänzerinnen und Tänzer wuchtig, kämpferisch, leidenschaftlich auftreten, ohne eine Geschichte zu erzählen. Wir schauen Tanz pur, das heisst Körper in Bewegung. In Bewegungen, Verrenkungen, Dehnungen der Körper von der Fussspitze bis zu den grün bemalten Fingerkuppen, von der Kopfhaltung bis in extreme Muskelspannungen, von gezierten Spreizungen bis zu heftigem Klatschen der Leiber auf den Boden, wobei die Bewegungen letztlich stets gebändigt sind. Man lässt sich wegtragen von der atemlos-verzweifelten Anstrengung der Frauen und Männer (Eligmos), berühren durch die in Konventionen eingesperrten Körper, deren gelegentliches Fauchen die einzige Möglichkeit sprachlicher Kommunikation zu sein scheint (Lonesome George), aber auch überfordern beim Verstehenwollen eines tieferen Sinns der kollektiven Querungen der Bühne, in denen doch jede und jeder allein bleibt (Lost Cause).
Drei Stücke, drei Musiken, nahe Verwandtschaft
So sehr einen die Tänzerinnen und Tänzer als athletische Körperkünstlerinnen und -künstler höchsten Respekt abverlangen, so wenig berühren sie einen als Darstellende. Das Versprechen im Programmheft zu Eligmos, der Choreograf «umarmt mit starken, assoziativen Bildern den Fakt, dass wir Menschen Gefühle haben» bleibt ein leeres Versprechen.
Das griechische Wort Eligmos bedeutet Manöver, Volte, Winkelzug. Auf der Bühne erscheint die in Bern uraufgeführte Choreografie von Andonis Foniadakis lange nur direkt, kraftvoll, schonungslos, kämpferisch; erst spät öffnet sich ein Spalt zu mehr Wärme und Zugetanheit unter den Auftretenden. Die elektroakkustische Musik von Julien Tarride untermalt mit ihren starken Rhythmen das oft blindwütig erscheinende Treiben.
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Für Lonesome George von Marco Goeckes, 2015 entstanden und nun erstmals in der Schweiz gezeigt, stammt die Musik von Dmitrij Schostakowitsch. Lonesome George war eine Riesenschildkröte auf der Galapagos-Insel, die 2012 hundertjährig als Letzte ihrer Art starb. Die Choreografie versucht, die Gefühlwelt des Tiers heraufzubeschwören: das Alter und die Einsamkeit, das Eingeschlossensein im gepanzerten Körper.
In den Untergrund führt der Techno-Soundtrack von Gai Behar, der Sharon Eyals Lost Cause vorantreibt. Auch dieses Stück war bereits 2019 in Bern zu sehen. Geschmeidige, ganz präzise Schritte, oft auf Halbspitze, geben dem Hin-und-her auf dem Boden Eleganz.
Ikonisch?
Iconic heisst der Tanzabend des Bern Balletts. Iconic oder ikonisch bedeutet anschaulich, prägend, unverwechselbar. Wenn man bei drei Choreografien an einem Abend auf kahler Bühne mit Musik ab Band wach genug ist, genau zu folgen, mag dies stimmen. Doch wenn wenig erzählt wird, selten Gefühle den Tanz tragen und überwiegend dessen breites Bewegungsrepertoire vorgeführt wird, verschwimmen die einzelnen Stücke ineinander, verblasst das Ikonische.
Kein Zweifel: Die Tänzerinnen und Tänzer sind athletisch, technisch, musikalisch hervorragend. Man folgt mit Bewunderung ihrer sehr anspruchsvollen Körperarbeit. Doch es bleibt beim eher kühlen Interesse; Anteilnahme stellt sich kaum ein. Schade. Und eigentlich ungerecht: Angesichts ihres Könnens und Einsatzes hätten die Mitglieder des Bern Balletts über den anerkennenden Applaus hinaus wärmere Gefühle des Publikums verdient.