Demoaufruf, Petition, Liveupdate. Während ich mich in den Stories bei Instagram durch den Nahostkrieg klicke, besucht meine Freundin seit einigen Wochen das «Ciné Résistance». Gemeinsam mit anderen direkt und indirekt betroffenen Menschen schaut sie sich jeden Dienstag einen Film zu Palästina an. Mensch isst zusammen, trinkt Tee und tauscht sich aus. Und manchmal wird auch gemeinsam getrauert. Als ich sie zum ersten Mal begleite, muss ich mich ziemlich überwinden. Danach jedoch fühle ich mich endlich leichter.
«Büro Résistance»
Mit einem kleinen Stück Papier im Backoffice vom Kapitel hat’s damals angefangen. Nach dem Wiederausbruch des Kriegs am 7. Oktober 2023 haben sich die vier Gründer*innen des «Ciné Résistance» hier ausgetauscht – nicht selten bis spät in die Nacht. Dabei fühlten sie sich oft hilflos. Nach einer intensiven Zeit im Internet, in der viel geteilt und aufgeklärt wurde, wuchs bei den Gründer*innen der Wunsch danach, den Dialog ins echte Leben zu übersetzen. «Résistance, das bedeutet auch, im ganz eigenen, nahen Umfeld, etwas für den Dialog zu tun. Nicht Meinungen als Meinungen abzutun, hinzunehmen und stehenzulassen. Dafür braucht es einen Ort, an dem sich Menschen verbinden und finden können», sagt eine der Gründer*innen von «Ciné Résistance».
Ein Saferspace musste her, um gemeinsam pro-palästinensisch, antifaschistisch, antizionistisch und dekolonial denken zu können. Ein sicherer Raum sollte es sein, für Menschen aus dem SWANA-Gebiet und für deren Verbündete. Im soso.space war das sofort möglich. Bald schon stand das Konzept und am 30. Januar – begleitet von arabischen Klängen und Kulinarik – öffnete das Ciné Résistance erstmals seine Türen. «Farha», ein Film von Regisseurin Darim J. Sallam, machte damals den Auftakt in einer Reihe von Screenings, die der palästinensischen Sache seither Woche um Woche gewidmet werden.
Selbstgemachter Hummus
Der Hummus fiel B. gleich bei seinem ersten Besuch im «Ciné Résistance» auf. Er ist Palästinenser, wohnt in Bern und kocht selbst sehr gerne. Um die Sicherheit seiner Familie in Palästina zu gewährleisten und um weiterhin ins Land einreisen zu können, wird sein Name hier nicht genannt. Schnell kam er mit den Organisator*innen ins Gespräch, da wurde ihm schon die Verantwortung fürs Kochen übertragen.
Seither besucht er das «Ciné Résistance» regelmässig. Wie viele andere auch vermisst er hier in Bern ein Gefühl von Gemeinschaft. In Europa habe man Angst, die Menschen auf der Strasse anzuschauen oder anzusprechen, erzählt er. Im «Ciné Résistance» dagegen werde er aufgenommen und wenn nötig auch aufgefangen. Für B. sind die Menschen hier mittlerweile zu einer Familie geworden. Vielleicht sei es für einige schwer vorstellbar, dass hier Araber*innen und Alternative, Atheist*innen, Muslim*innen und Menschen der LGBTQIA+-Community zusammenkommen. Dabei würden sich alle respektieren – was nicht etwa bedeute, dass alle stets gleicher Meinungen seien, betont B.
Hier ist einer der einzigen Orte, an dem ich über meine Geschichte sprechen kann
Und nicht nur mit Schweizer*innen komme er hier in Kontakt, auch andere Palästinenser*innen, wie A. hat er hier kennengelernt. Denn auch untereinander ist man sich bei der palästinensischen Frage uneinig. Im «Ciné Résistance» aber erlebe er trotz unterschiedlicher Herkunft und Sprache eine grosse Verbundenheit: «Das ist einer der Gründe, warum ich jedes Mal hingehe, und diese Gemeinschaft unterstütze, denn es zeigt uns, dass wir es schaffen können. Dass wir in Frieden miteinander leben können, ohne die Meinung der anderen zu ändern oder uns gegenseitig zu beeinflussen», meint B. dazu.
Per Simulator durch Palästina
Auch, ergänzt A., sei hier einer der einzigen Orte, an dem er über seine Geschichte sprechen könne. Auf der Arbeit und im Alltag finde das oft keinen Platz. Hier aber werde er gehört. Wir zeichnen unser Gespräch bei A. zuhause auf. Im Hintergrund läuft die live-Berichterstattung aus Gaza stumm weiter.
Wir sind ihre Stimme, weil wir ihre Geschichten zeigen, ihre Sichtweise, ihre Tragödie, ihre Überlebensgeschichte, manchmal sogar ihre Kultur, ihr Essen, all das
A. hat in Palästina als Lastwagenfahrer gearbeitet. Weil seine Ausbildung in der Schweiz nicht anerkannt wird, fährt er manchmal mit einem Simulator bei sich zuhause am Computer. Er sei damit schon über die Kornhausbrücke gefahren, erzählt er. Aber auch ihm bekannte Strecken in Palästina fährt er gerne ab. So könne er abschalten.
A. möchte mit seiner Geschichte nicht belehren. Trotzdem verstehen sich die beiden auch als Sprachrohr für die Menschen, die heute in Palästina, in Gaza und dem Westjordanland um Hilfe rufen. «Wir sind ihre Stimme, weil wir ihre Geschichten zeigen, ihre Sichtweise, ihre Tragödie, ihre Überlebensgeschichte, manchmal sogar ihre Kultur, ihr Essen, all das. Wenn wir anfangen, diese Stimmen von einem Ort zum nächsten und so in die ganze Welt zu tragen, dann wird das Rufen der Menschen in Palästina gehört werden, und zwar früher», meint A. dazu.
«Zyschtigabe-Therapie»
Meine Freundin ist eine eher stille Zuhörerin. Für sie bedeutet die Zeit, die sie im «Ciné Résistance» verbringt, eine lehrreiche Lektion in Geschichte. «Es ist ein Treffpunkt, wo Mensch sich auch schweigsam versteht. Dieses Angebot gibts nicht häufig», erzählt sie.
Seit ihrem ersten Besuch im Januar sind die Dienstagabende im Kapitel zu einem wichtigen Termin in ihrer Woche geworden. Tagtäglich erreicht uns eine Flut an Berichterstattung – es brennt, im wahrsten Sinne des Wortes, an allen Ecken und Enden. Das führen uns die jüngsten Bilder aus Rafah schmerzhaft vor Augen. Die regelmässigen Treffen im Ciné Résistance geben meiner Freundin Hoffnung und helfen ihr, aus der Ohnmacht herauszukommen. Anderen Menschen zuzuhören und andere Aktivist*innen kennenzulernen, das gebe ihr den Mut dazu, selbst aktiver zu werden, sagt sie.
So können wir den Widerstand erweitern – stellt euch vor wie gross das sein könnte
Auch ich merke, dass es guttut einen Ort zu haben, der diese humanitäre Katastrophe auch im Alltag zum Thema macht. Ich merke, dass es hilft, mich mit Menschen über die Ereignisse auszutauschen und anderen zuzuhören. «Vielleicht sprechen wir jetzt über Palästina», sagt B. zum Schluss unseres Gesprächs. «Aber wo immer auf der Welt Menschen unterdrückt werden, werden wir darüber sprechen und wann immer wir die Möglichkeit haben, Widerstand zu zeigen, werden wir das tun. So können wir den Widerstand erweitern – stellt euch vor wie gross das sein könnte.»