«Es ist wichtig, im Gespräch zu bleiben»

von David Fürst 27. Oktober 2023

Paartherapie Liebesbeziehungen beschäftigen Menschen in jedem Alter. Ein Gespräch mit den Paar- und Sexualberater*innen Mirjam und Matthias über Kommunikationsprobleme, alternative Beziehungsformen und Unterschiede zwischen den Generationen.

Journal B: Weshalb habt ihr Beziehungen und Sexualität zum Schwerpunkt eurer Arbeit gemacht?

Mirjam: Beziehung und Sexualität sind unglaublich spannende Themen, die viele Facetten unseres Lebens berühren und bei denen wir nie ausgelernt haben. Ich erlebe es als dankbare Arbeit Menschen in diesem Bereich begleiten zu dürfen.

Matthias: In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen habe ich festgestellt, dass oft die Elternarbeit vernachlässigt wird. Dabei ist die Eltern- bzw. Paarebene entscheidend für das Wohlbefinden der Kinder. Auf persönlicher Ebene begann ich, mich mit alternativen Beziehungsformen auseinanderzusetzen, da es wenig Berater*innen und Therapeut*innen gibt, die sich mit dieser Thematik befassen.

Wer sind die Menschen, die eure Beratungen in Anspruch nehmen?

Mirjam: Ich nehme hinsichtlich der Generationen Unterschiede wahr. Viele junge Menschen haben gelernt, dass Therapie hilfreich sein kann, und holen sich zu einem frühen Zeitpunkt Unterstützung. Ältere Menschen kommen ebenso, aber häufig zu einem späteren Zeitpunkt.

Aus welchen Gründen kommen die Klient*innen in eure Beratung?

Mirjam: Oft nennen Paare als Hauptthema die Kommunikation oder Streit, der schnell eskaliert. Dann geht es darum, gemeinsam die dahinterliegenden Themen und Bedürfnisse zu klären.

Könntest du ein Beispiel machen?

In Bezug auf die Sexualität ist ein häufiges Thema in einer Partner*innenschaft, dass eine Person mehr Sexualität leben möchte als die andere Person. Das kann zu festgefahrenen Rollen führen, die frustrierend sind. Gemeinsam versuchen wir dann herauszufinden, was dahinterliegt. Daneben ist es mir ein wichtiges Anliegen, auch immer darauf zu fokussieren, was in der gemeinsamen Sexualität gut gelingt.

Hauptthema ist oft die Kommunikation.

(Foto: David Fürst)

Wie beratet ihr Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen in ihrer Beziehung?

Mirjam: Beim vorherigen Beispiel würde ich der Person, die weniger Lust erlebt, Raum geben, sich mit ihrer eigenen Sexualität auseinanderzusetzen. Dabei stellt sich die Frage, auf was die Person Lust oder eben keine Lust mehr hat. Hier können sowohl Gespräche wie auch Wahrnehmungs- und Körperübungen hilfreich sein. In diesem Prozess ist es wichtig, dass die Person sich selbstwirksam erleben kann, um wieder in eine aktive Rolle zu kommen. Dies ermöglicht auf der Paarebene oft andere Gespräche und neue Lösungen.

Wie viel aus eurem privaten Leben gebt ihr in den Beratungen preis? 

Mirjam: Ich teile persönliche Informationen gezielt und nur wenn ich denke, es könnte hilfreich sein.

Matthias: Ich teile persönliche Informationen nur auf Anfrage der Klient*innen. Ich überlege sorgfältig, was ich von meinem Privatleben erzählen möchte und was nicht. Früher habe ich fast nichts Persönliches mitgeteilt, langsam fange ich an mehr von mir zu erzählen, wenn es für die Beratung Sinn macht. Gerade auf der Beziehungsebene kann es sehr hilfreich sein, auch eigene Erfahrungen zu schildern.

(Foto: David Fürst)

Das Sprechen über Sexualität ist oft immer noch ein Tabuthema. Wie erlebt ihr das in eurer Arbeit – trauen sich die Menschen, darüber zu sprechen?

Mirjam: Sexualität scheint zwar allgegenwärtig, aber darüber zu sprechen kann immer noch schwierig sein. Unsere Rolle ist es, Menschen dabei zu unterstützen und ihnen eine Sprache für Sexualität anzubieten.

Beziehungen und alternative Beziehungsformen sind heute in aller Munde. Bemerkt ihr diesen Trend auch in eurer Arbeit?

Matthias: Ich denke nicht unbedingt, dass das Thema Beziehungen im Allgemeinen heute mehr Gewicht hat als früher. Aber heute haben die Menschen mehr Wahlmöglichkeiten. Unsere Eltern haben auch oft über Beziehungen gesprochen, aber vielleicht weniger über offene oder nichtmonogame.

Wie ist das in eurem Umfeld?

Mirjam: In meinem persönlichen Umfeld gibt es ein wachsendes Interesse und eine Offenheit für andere Beziehungsformen. Das ist eine positive Entwicklung. Wenn aber beispielsweise alle in einem offenen oder polyamoren Umfeld leben und jemand monogam sein möchte, kann das Druck erzeugen, diesem Trend zu folgen. Es ist wichtig, dass Menschen in Beziehungen Raum haben, gemeinsam herauszufinden, welches Modell für sie das passende ist.

Alternative Beziehungsformen können dabei helfen, über Machtverhältnisse in Beziehungen zu sprechen.

Matthias: In meinem Umfeld setzen sich viele Menschen mit ihren Beziehungen auseinander. Ich denke, alternative Beziehungsformen können dabei helfen, über Machtverhältnisse in Beziehungen zu sprechen. Die meisten Paare wollen eine gleichberechtigte Beziehung, aber das ist in einer Gesellschaft, die darauf nicht ausgerichtet ist, oft schwierig. Alternative Beziehungsformen können dazu beitragen, diese Diskussion zu fördern und ein politisches Verständnis von Beziehungen zu entwickeln.

Sind Beziehungen politisch?

Mirjam: Beziehungen sind insofern politisch, als dass sie von gesellschaftlichen Strukturen und Erwartungen geprägt sind. Ein Beispiel ist die Aufteilung der Arbeit in Beziehungen, insbesondere wenn Kinder da sind. Hier gibt es oft traditionelle Rollen, die vermeintlich aufgebrochen sind. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass der sogenannte „Mental Load“ oft bei einer Person liegt und das ist in heterosexuellen Beziehungen häufig die Frau. Das kann dazu führen, dass Frauen in dieser Rolle bleiben und unbezahlte Sorgearbeit leisten.

Welche Erfahrungen habt ihr mit alternativen Beziehungsformen in der Therapie gemacht?

Mirjam: Viele Themen, die in monogamen Beziehungen auftreten, sind auch in nicht-monogamen Beziehungen relevant: unterschiedliche Bedürfnisse, Kommunikation und der Umgang mit Konflikten. Schliesslich ist aber jede Beziehung einzigartig.

In Zweierbeziehungen geht man oft davon aus, dass alles von selbst läuft.

Matthias: Es sind oft die gleichen Themen, aber alternative Beziehungsformen bringen sie an die Oberfläche. Menschen müssen sich mit Eifersucht und der Notwendigkeit, Bedürfnisse zu kommunizieren, auseinandersetzen. In Zweierbeziehungen geht man oft davon aus, dass alles von selbst läuft. Dabei entwickeln wir uns ständig weiter. Bedürfnisse nach Nähe und Distanz verändern sich. Darüber sollten wir reden.

Was sollten junge Menschen über Beziehungen wissen?

Matthias: Das Thema Einvernehmlichkeit ist zentral. In der Schulzeit sammeln viele Menschen ihre ersten romantischen und sexuellen Erfahrungen und es ist wichtig, dass diese einvernehmlich sind. Respekt für Vielfalt ist ein weiteres wichtiges Thema. Man sollte über Privilegien und Machtverhältnisse nachdenken.

Mirjam: Es ist wichtig, früh zu lernen, was die eigenen Bedürfnisse sind, Gefühle wahrzunehmen und darüber zu sprechen.

(Foto: David Fürst)

Und welche Ratschläge würdet ihr Menschen generell geben für ihre Beziehung(en)?

Mirjam: Hinsichtlich alternativen Beziehungsmodelle ist es wichtig, dass beide Partner*innen gemeinsam unterwegs sind. Wenn eine Person den Takt angibt und die andere nicht mitkommt oder nicht mitwill, kann es problematisch werden. Allgemein, egal in welchem Beziehungsmodell, ist es wichtig, im Gespräch zu bleiben und sich immer wieder bewusst Zeit füreinander zu nehmen.

Matthias: Es wird dann schwierig, wenn jemand keine Verantwortung übernimmt. Alternative Beziehungen bedeuten nicht, dass man tun kann, was man will, ohne Rücksicht auf die Beziehungspersonen. Es ist wichtig, gemeinsam Schritte zu unternehmen und Absprachen zu treffen.

Mirjam: Manchmal müssen beide Partner*innen einen Schritt aufeinander zugehen. Die Beratung kann hierfür Zeit und Raum bieten, um über diese Unterschiedlichkeiten zu sprechen.