Bernhard Giger: Du bist nicht das erste Mal in der Kulturförderung tätig, du warst im Bundesamt für Kultur und hast für Pro Helvetia gearbeitet. Für uns, die Begünstigten, ist Kulturförderung Geld, Politik, auch Anerkennung, aber nicht unbedingt etwas wirklich Kreatives. Was ist, gewissermassen auf deiner Seite des Tischs, so spannend an der Kulturförderung?
Franziska Burkhardt: Für mich ist die Kultur prinzipiell spannend, das ist die wichtigste Voraussetzung. Ich bin davon überzeugt, dass die Kultur ein wichtiger Bestandteil des gesellschaftlichen Zusammenlebens ist. So gesehen, macht arbeiten nur dann Sinn, wenn du etwas machst, das der Gemeinschaft zugutekommt. Ich bin keine Künstlerin, keine Kulturschaffende, finde es aber nötig, dass Kultur einerseits gefördert wird und dass man sie andererseits zu sehen bekommt. Ich denke immer an beide Seiten: Publikum und Kulturschaffende. Das wichtigste an der Arbeit in der Kulturförderung ist, dass du die bestmöglichen Rahmenbedingungen schaffst und die bestmöglichen Beratungen anbietest. Es ist für mich eine Dienstleistungsaufgabe.
Wie bist du dazu gekommen, in der Kulturförderung zu arbeiten?
Es mag sich absurd anhören: Weil ich Russisch studiert habe. Pro Helvetia hatte einen Leistungsauftrag von der DEZA für Entwicklungszusammenarbeit im Kulturbereich im Balkan und der Ukraine, sie suchten jemanden, der Russisch kann. Ich habe eine Blindbewerbung geschrieben und bekam den Job. Fünf Jahre habe ich an dieser Schnittstelle zwischen Entwicklungszusammenarbeit und Kultur gearbeitet. Seither war ich immer in der Kultur tätig.
Auf beiden Seiten, als Kulturorganisatorin – Leiterin Filmfestival Freiburg, Leitung Progr – und als Kulturförderin. Diese Seitenwechsel waren dir offenbar wichtig?
Ja, sehr wichtig, damit lässt sich viel Verständnis wecken für die, die dir vis-à-vis sitzen. Du kannst besser nachvollziehen, was es heisst, wenn jemand für ein Projekt Geld sucht. Wenn du Geld verteilst, ist es gut zu wissen, was den oder die auf der anderen Seite des Tisches umtreibt. Aber es hat mir immer auch geholfen, wenn ich selbst Geld gesucht habe: zu begreifen, unter welchen Zwängen oder politischen Rahmenbedingungen dein Gegenüber als Geldgeber steckt und entscheiden muss. Es bringt viel, beide Seiten zu kennen.
Als Leiterin der städtischen Kulturabteilung wirst du oft auch Nein sagen müssen. War das ein Thema, als du dir überlegt hast, dich für dieses Amt zu bewerben: dass du dich auch unbeliebt machen wirst, und dies in einem Bereich, der Kultur, wo die Emotionen oft und gern hochgehen?
Das war kein Thema, das musste ich schon in früheren Jobs, und ich weiss, dass ich das kann. Es ist unangenehm, aber man muss es einfach machen. Man kann nicht von allen geliebt werden, das ist für alle Menschen so. Es waren andere Dinge, die ich mir überlegt habe: Neben der Progr-Leitung habe ich auch selbstständig gearbeitet, das hat mir sehr gefallen, diese Freiheit, die man als Selbstständige hat. Mich wieder in eine grosse Struktur einzufügen, ob ich das wirklich will, habe ich mir lange überlegt. Und das andere war, dass ich in einem solchen Amt dauernd in der Öffentlichkeit stehe. Bern ist nicht gross. Vorher konnte ich einfach ins Theater gehen, jetzt sagen die Leute: Aha, die Kulturbeauftragte geht ins Theater, obwohl ich vielleicht ganz privat dort bin. Vielleicht muss ich in Zukunft in meiner Freizeit nach Zürich ins Kino gehen…
Als was verstehst du dich? Landläufig würde man sagen, du bist Vermittlerin zwischen Kultur, Verwaltung und Politik. Was schliesst das alles ein? Kann man gegen zwei Seiten hin gleich offene Ohren haben, oder ist man da nicht mit dem Herz oder der Vernunft – und natürlich gemäss Lohnblatt – immer mehr oder weniger auf einer Seite?
Dass man manchmal Entscheide umzusetzen hat, hinter denen man nicht wirklich steht, gehört zur Arbeit. Aber sonst verstehe ich das als Anwaltschaft. In bin an der Übersetzungsstelle zwischen Politik und Kulturschaffen. Darum geht es: Auf der einen Seite die politischen Rahmenbedingungen zu erklären und auf der anderen Seite die Bedürfnisse des Kulturschaffens. Du bist eigentlich immer an beiden Orten am Vermitteln. Anwaltschaft für die Kultur, Übersetzen für die Politik. Allerdings bin ich immer wieder erstaunt, wie wenig Wissen im Kulturbereich zum Teil vorhanden ist.
Wenig Wissen worüber?
Wie Entscheide zustande kommen, wie politische Wege verlaufen, welche Funktion der Stadtrat hat, oder was die Aufgaben einer Kommission sind. Wenn man das alles nicht weiss, weiss man auch nicht wie man Lobbyarbeit betreiben könnte. Und dies ausgerechnet in Bern, wo alles so kleinräumig ist. Und wo man eigentlich mit den Leuten in der gleichen Beiz sitzen würde, mit denen man vielleicht mal drüber reden könnte, dass man gewisse Bedürfnisse hat.
Was macht für dich der Reiz und das Spezielle der Kulturstadt Bern aus? Findest du, man kann, über das touristische Etikett hinaus, überhaupt von Kulturstadt sprechen?
Das finde ich massiv, dass Bern eine Kulturstadt ist. Das sieht man allein daran, wie gross und dicht und vielfältig das Angebot ist – vielfältig schon innerhalb der einzelnen Sparten. Es ist verblüffend. Es wird auch sehr viel produziert hier, ich kenne das vom Progr her. Du hast gesagt, abgesehen vom touristischen Etikett: Genau dort ist es eben kein Etikett. Als Kulturstadt wird Bern touristisch viel zu wenig wahrgenommen. Das ist nicht der Ort, wo du ein Wochenende hingehst, weil du in eine Kulturstadt fahren willst, von der du weisst, dass sie ein grosses Angebot hat.
Du sagst, diese Vielfalt sei verblüffend. Wie erklärst du dir das, wo kommt das her? Es gibt sicher gewisse Traditionen, die Kellertheater zum Beispiel.
Ja, oder die Kunsthalle zu einer bestimmten Zeit. Es ist unglaublich, was hier an Innovativem alles entstanden ist, auch an Kleinteiligem. Es ist auch eine politische Stadt, das war sie schon immer, auch daraus entsteht Kultur, und es ist – mir fällt kein anderes Wort dafür ein – eine alternative Stadt.
Auf die Kultur bezogen oder ganz allgemein?
Auf die Kultur bezogen. Reitschule und Progr, das sind zwei Orte, wären sie in Zürich, wären sie längst Glas und Stahl. Hier bleibt das einfach bestehen, etwas Selbstorganisiertes, Kulturorte, an denen selbstorganisierte Kunst entsteht. Das ist eine Stärke von Bern, und ich denke, aus dem heraus entsteht auch vielfältige Kultur.
Die Vielfalt sehen, kulturpolitisch, nicht alle nur als Qualität. Sie reden dann, bezogen auf die Kulturförderung, von Giesskannenprinzip. Was sagst du denen?
Vielfalt entsteht nicht bloss durch Kulturförderung, es wird ja auch lange nicht alles gefördert.
Die von Giesskannenprinzip reden, meinen, dass hier ein System gestärkt wird, bei dem «alle etwas bekommen».
Wir sind eine Gemeinde, eine Stadt. Ihre Einwohnerinnen und Einwohner bezahlen mit ihren Steuern auch die Kulturförderung. Es kann darum nicht sein, dass alle für etwas bezahlen, was nur fünf Prozent spannend finden. Somit geht es um ein Kulturangebot für die ganze Bevölkerung, wenn man vom Publikum ausgeht. Es braucht eine bestimmte Breite.
Damit diese Bevölkerung weiss, was ihr angeboten wird, braucht sie entsprechende Informationen. Wer in Zukunft wie einen Berner Veranstaltungskalender anbieten wird, ist recht diffus. Wie siehst du das?
Der Veranstaltungskalender war schon bei der Erarbeitung der Kulturstrategie ein grosses Thema. Die von der Kulturstrategie aufgeführten Massnahmen wurden der Direktion für Sicherheit, Umwelt und Energie zugeteilt. Damals gab es Bern Welcome noch nicht, man sprach erst davon, ein neue Vermarktungsplattform aufbauen zu wollen. Jetzt kommen wir in die Phase, in der im Rahmen der Kulturstrategie das nächste Massnahmenpaket formuliert werden muss. Hier soll Bern Welcome nun mit einbezogen werden, sie haben auch ihre Beteiligung am nächsten Kulturforum im Sommer angekündigt. Für mich ist aber klar: Das ist ein Thema, das vermehrt auch von unserer Abteilung behandelt werden muss. Dass wir genau hinschauen: Wo stehen wir eigentlich? Was macht nun eigentlich Bern Welcome mit welchem Auftrag? Ich glaube, es gibt sehr viel Klärungsbedarf. Das können wir von hier aus leisten. Aber schnell geht das nicht, das steht auf der Vierjahresplanung ab 2020.
Gut, im Moment, wo es den «Stadtanzeiger» und damit höchstwahrscheinlich auch die «Berner Kulturagenda» nicht mehr als Printprodukt gibt, pressiert es dann ziemlich. Und das kann in den nächsten zwei Jahren soweit sein.
Ich wollte damit nur sagen, dass es nicht grad in den nächsten zwei Monaten passiert…
Deine Amtszeit hat mit dem Abschluss der neuen Kulturverträge 2020-2023 begonnen. Mit dem Beginn ihrer Wirkungszeit fängt eigentlich bereits auch die Vorlaufzeit der nächsten Förderperiode ab 2024 an. In der Kulturdebatte im Februar im Stadtrat gab es von verschiedener politischer Seite Kritik am Fördersystem der Vierjahresplanung, die man bloss entweder durchwinken oder ablehnen könne, weil grössere Eingriffe und Korrekturen kaum mehr möglich seien. Wie lässt sich die Politik, der Stadtrat, früher in diesen Prozess der Vierjahresplanung mit einbeziehen? Denn die hat ja durchaus ihren Sinn und ihre Nützlichkeit, davon hängen unter anderem zahlreiche Arbeitsverhältnisse ab, die sonst nicht mehr gesichert wären.
Zu den ersten beiden Kulturforen im Rahmen der Erarbeitung der Kulturstrategie wurden alle Stadträtinnen und Stadträte eingeladen. Einige sind gekommen, andere haben sich sonst informiert, es gab viel Feedback. Wenn man diesen Dialog, der bei der Erarbeitung der Kulturstrategie möglich wurde, diesen Prozess besser verschränkt mit der Vierjahresplanung, ist die Politik bereits viel mehr einbezogen. Sie kann, wenn sie will, mitdiskutieren und gleichzeitig zuhören, wenn andere sagen, welche Bedürfnisse sie haben. Dabei geht es nicht nur um die Kulturförderung im engeren Sinn.
Worin liegt die Bedeutung der Vierjahresplanung, warum braucht es sie?
Die Vierjahresplanung ist eigentlich ein Finanzinstrument. Es gibt Kommissionen, man verpflichtet Gelder, von denen man aber noch nicht weiss, wann sie ausgegeben werden. Man muss viel flexibler mit Finanzen umgehen können als in anderen Bereichen. Darum ist es eminent wichtig, diese Vierjahresplanung zu haben, so lassen sich Mittel von einem Jahr ins andere hinüberschieben und es muss nicht Ende Jahr abgerechnet werden, weil das auch kaum möglich wäre. Und das andere: Es geht um Planungssicherheiten bei längeren Verträgen, du hast es schon erwähnt. Von einer gewissen Grösse an muss eine Institution auf einige Jahre hinaus planen können, dafür braucht sie Sicherheiten.
Wie steht es mit der sozialen Sicherheit der Kulturschaffenden ganz allgemein?
Das ist ein Riesenthema, das mir extrem wichtig ist. Es gibt sehr prekäre Arbeitsverhältnisse und -situationen. Wenn Kulturschaffende bei einer Institution angestellt sind, ist es etwas angenehmer, da hat man eine feste Stelle und einen mittelmässigen Lohn. Sehr viel schwieriger ist es als Freischaffende, Künstlerinnen, Künstler, Gruppen. Selbst wenn Kulturschaffende an mindestens drei Projekten gleichzeitig arbeiteten und ständig überall eingeben, kommen sie kaum auf einen grünen Zweig, sprich: sie verdienen viel zu wenig, um ihre normalen Lebenskosten bestreiten zu können. Und was so fast immer auf der Strecke bleibt, ist die Frage der Vorsorge. Aber da hat sich in den letzten Jahren viel verändert, die Kunstschaffenden selbst sind mehr sensibilisiert, vor allem auch, weil sich die Verbände dem Thema angenommen haben, die Städte haben sich abgesprochen, die Kantone, man sucht nach anwendbaren Modellen, es gibt erste Pilotprojekte.
Es ist bekannt – und erledigt: Die Kommunikation zwischen Kulturszene und dieser Abteilung war in den letzten Jahren nicht immer optimal. Wie gehst du auf die Kulturszene zu? Ganz konkret, mit Veranstaltungen, und überhaupt: Wie offen ist deine Tür?
Diese Tür ist offen. Ich habe auch schon mit sehr vielen Leuten gesprochen in den letzten Monaten, dabei habe ich mich mehr auf die konzentriert, die ich noch nicht gekannt habe. Meine Tür ist offen, man kann mir schreiben und ein Gespräch verlangen, man muss sich einfach bewusst sein, dass es manchmal länger dauert, bis ich eine Mail beantworten kann und meine Agenda voll ist. Aber das spielt keine Rolle, es ist mir wichtig, dass wir zusammen sprechen.
Und gewissermassen offizielle Treffen mit der Kultur?
Im August gibt es ein nächstes Kulturforum, dann werden die Gesprächsformate weitergeführt, die in den letzten Jahren aufgebaut wurden. In diesem Jahr werden das vor allem Szenengespräche sein, insbesondere mit der Tanzszene.