«Es ist ein Kampf um Boden und Mieten»

von Michelle Becht 10. November 2021

Wem gehören unsere Häuser? Und weshalb ist es so schwierig, das herauszufinden? Über diese Fragen diskutierten Expertinnen und Experten im Polit-Forum im Käfigturm. Dabei wurde klar: Im Wohnungsmarkt der Stadt Bern herrscht noch mehr Intransparenz als in Zürich oder Basel.

Kürzlich publizierte Grundbuch-Recherchen der unabhängigen Medien Reflekt und Bajour haben gezeigt, dass grosse Unternehmen immer mehr Wohnungen in Städten wie Zürich oder Basel besitzen. «Was ist daran so problematisch?», fragte Moderator Rafael von Matt an der Veranstaltung vom 19. Oktober in die Runde. Firmen wie die Swiss Life oder Zurich seien gewinnorientiert und hätten Druck, ihre Renditen mittels Totalsanierungen in die Höhe zu treiben, sagte Christian Zeier, der mit dem unabhängigen und investigativen Recherche-Team Reflekt den Immobilienmarkt in Zürich untersucht hat. «Renditeoptimierung ist nicht per se illegal, aber im Gesetz ist ein Renditedeckel festgeschrieben», erklärte er. Dass Immobilienfonds mit reinem Wohnungs-Portfolio trotzdem Renditen von 6% und mehr erwirtschaften könnten, sei eigentlich der grösste Skandal der Branche.

«Es ist ein Kampf um Boden und Mieten», ergänzte die Journalistin Andrea Fopp, die mit ihrem Team beim Basler Onlineportal Bajour alle Grundbuchdaten in der Stadt Basel auswerten konnte. In Basel hätten die Mietkosten seit 2005 um 20% zugenommen, der Anteil der grossen Renditefirmen seit 2000 um 6%. Ein konkretes Beispiel: Die Pensionskasse Basel-Stadt, fünftgrösstes Unternehmen im Wohnungsmarkt, wollte im Rahmen der Renditeoptimierung Menschen aus den Häusern werfen, welche bei ihr versichert waren. «Das ist doch absurd», so Fopp.  Ob und wie stark renditeorientierte Unternehmen auch in der Stadt Bern zugelegt haben, ist unklar. Auf Anfrage verweisen die städtischen Behörden auf Statistiken zum Grossraum Espace Mittelland. Das heisst: In Bern weiss man noch weniger über den Immobilien-Appetit institutioneller Akteure als in Zürich oder Basel.

«Schutzkuppel der Schweiz»

Die Problematik der zunehmenden Konzentration auf grosse Akteure werde durch die Überalterung der Wohnungsbesitzer*innen akzentuiert, fügte SP-Nationalrätin Jacqueline Badran an. Immer mehr Immobilien fielen so in die Hände von institutionellem Kapital. Zudem führe die Börsenkotierung der Unternehmen dazu, dass internationale Akteure wie der amerikanische Investmentgigant BlackRock sich in solche Firmen einkaufen können, so Badran. Damit schnitt sie das Thema an, mit dem die Immobilien-Politikerin schweizweit bekannt geworden ist: die Lex Koller. Diese «Schutzkuppel über der Schweiz» solle verhindern, dass Schweizer Immobilien von ausländischen Investoren als Kapitalanlagen genutzt werden und in der Folge den Preis für Boden in die Höhe treiben. Darum setzt sich Badran – «halb monopolisierend, halb einsam» – für eine verschärfte Lex Koller ein.

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Ihr Anliegen werde im Ständerat aber «zu 100 Prozent» keine Mehrheit finden, sagte sie auf Nachfrage des Moderators. «Es wird eine Volksinitiative brauchen», so Badran.  Warum Parteien wie die Grünliberalen oder die ehemalige CVP nicht hinter ihr stünden, könne sie sich selbst nicht erklären, meinte die SP-Nationalrätin. Schliesslich sei die Lex Koller ursprünglich sogar ein CVP-Baby.

Grundbücher: in der Praxis intransparent

Einig war sich die Runde darüber, dass mehr Transparenz einen positiven Effekt auf den Immobilien-Markt hätte. Das Grundbuch ist sowohl bei Immobilienrecherchen als auch bei der Geldwäscherei-Bekämpfung ein wichtiges Werkzeug. Darin lassen sich die Eigentumsverhältnisse einsehen – zumindest theoretisch. In der Praxis entpuppen sich Grundbuchrecherchen als Herausforderung, denn die kantonalen Systeme sind auf Einzelabfragen ausgerichtet. Wer mehrere Informationen über bestimmte Personen oder Unternehmen sucht, stösst auf Granit. In Zürich zum Beispiel musste Reflekt gut begründete Anträge an elf verschiedene Grundbuchämter stellen, um die Eigentumsinformationen der grössten Wohnungsbesitzerin Swiss Life zu erhalten. In einem Fall ging das Recherche-Team sogar vor Gericht, um Transparenz zu schaffen. Auch für die Strafverfolgungsbehörde sei der erschwerte Zugang zu den Grundbuchdaten ein Problem, ergänzte Martin Hilti von Transparency International Schweiz. Anders in Basel: Dort ist das Grundbuch komplett digitalisiert – was der Recherche von Bajour sehr entgegenkam, meinte Andrea Fopp. Jedoch ist die Anzahl der täglichen Abfragen begrenzt, sodass Bajour seine Lesenden um Mithilfe bat.

Die Intransparenz des Sektors fange bei der Grundbuchführung an, stellte Martin Hilti fest. Dass man nur nach Grundstücken und nicht systematisch nach Namen suchen könne, mache Recherchen sehr schwierig und für Aussenstehende oft unmöglich. «In der Kombination mit den bestehenden Gesetzeslücken ergibt diese Intransparenz einen Immobilienmarkt, der sich sehr gut für Geldwäscherei eignet», erklärte er. Hilti plädierte für die Ausweitung der gesetzlichen Sorgfaltspflicht auf Akteure, die in den Kauf und Verkauf von Immobilien involviert sind. Zudem solle das Grundbuch um wichtige Informationen wie den Kaufpreis und die wirtschaftlich berechtigte Person ergänzt werden.

Die Grundbücher sind in der Grundbuchverordnung geregelt, welches im Handlungsraum der Bundesräte liegt. «Es wäre sehr einfach, die Verordnung zu ergänzen», so Hilti. Solange dies nicht geschehe, sei es umso wichtiger, dass Akteure wie Bajour oder Reflekt solche Recherchen betrieben. Andrea Fopp betonte, dass Zusammenarbeit in diesem Bereich enorm wichtig sei. Ohne Kooperation würde es an Ressourcen fehlen: «Alleine können wir solche Recherchen nicht weiterführen.».

Wie weiter?

Die Journalist:innen Andrea Fopp und Christian Zeier wollen mit ihren Teams weiterhin für Transparenz sorgen–bei Reflekt dürfte Bern als nächstes auf dem Plan stehen. Martin Hilti arbeitet mit Transparency International Schweiz daran, die Schlupflöcher bezüglich Geldwäscherei auf Gesetzesebene zu schliessen. «Solange dies nicht der Fall ist, sollte die Immobilienbranche auf freiwilliger Basis aktiv werden.» Jacqueline Badran appelliert an die Gesellschaft: «Wir müssen die Leute motivieren, mitzuarbeiten.» Ihr schwebt eine konkrete Idee vor. So wie in Berlin oder Hamburg solle auch in der Schweiz eine Plattform entstehen, auf der Privatpersonen Mietinformationen und Eigentumsverhältnisse eintragen können.

 

Die gesamte Debatte im Käfigturm lässt sich hier nachschauen: