«Es ist auch ein Beitrag, um Parallelgesellschaften zu verhindern»

von Christof Ramser 3. Dezember 2021

Der Kanton Bern will wissen, welche Glaubensgemeinschaften aktiv sind und will
die Beziehungen stärken. Für Regierungsrätin Evi Allemann (SP) geht es auch um Anerkennung.

Fast 500 Jahre währte die Vorherrschaft der Reformierten im Kanton Bern. Doch das ist seit zwei Jahren vorbei. Nur noch 47,5 Prozent sind evangelisch-reformiert. Dies zeigt die statistische Hochrechnung des Bundesamts für Statistik. Tendenziell Zulauf erhalten überdies die privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften. Dazu zählen sich 12 Prozent. Angeführt werden sie von den «anderen christlichen Glaubensgemeinschaften», gefolgt von den islamischen Gemeinschaften. Hindus, Buddhistinnen und Angehörige weiterer Religionen finden sich unter den 1,4 Prozent «anderen Religionsgemeinschaften».

Nun reagiert der Regierungsrat auf die neuen Verhältnisse. Eine Religionslandkarte macht sämtliche Glaubensgruppen sichtbar. Für Regierungsrätin Evi Allemann (SP) ist sie ein Mittel, um Beziehungen zu privatrechtlich organisierten Gläubigen aufzubauen und zudem ein Beitrag, um Parallelgesellschaften zu verhindern.

Die Religionslandkarte hat zum Zweck, Beziehungen zu privatrechtlich organisierten Glaubensgemeinschaften aufzubauen. Hat man dies bis jetzt im Kanton Bern verpasst?

Evi Allemann: Der Regierungsrat hatte dazu bisher gar keine Möglichkeit. Bis zum revidierten Landeskirchengesetz 2020 hatten wir einzig den Auftrag, Beziehungen zu den Landeskirchen zu pflegen. Nun legitimiert uns ein Auftrag des Grossen Rates dazu, Massnahmen zu prüfen, um auch auf dem Terrain der privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften aktiv zu werden. In einem ersten Schritt verschaffen wir uns mit der Landkarte einen Überblick, wer im Kanton Bern in welcher Gemeinschaft und an welchen Standorten aktiv ist.

Während die Landeskirchen seit Jahren Mitglieder verlieren, haben Freikirchen oder muslimische Gruppen tendenziell eher Zulauf. Wäre es nicht an der Zeit, solche Gemeinschaften ebenfalls öffentlich-rechtlich anzuerkennen?

Dazu haben wir keinen gesetzlichen Auftrag. Und es ist aus meiner Sicht angesichts der Vielfalt von Religionsgemeinschaften auch nicht der richtige Schritt. Ein Aspekt der Religionslandkarte ist durchaus die Anerkennung, aber eben nicht in juristischer, sondern in gesellschaftlicher Hinsicht. Wir werden weitere Massnahmen prüfen, um Ungleichbehandlungen aus der Welt zu schaffen.

Sie sagen, dass die angestrebte Vernetzung unter anderem rasches Handeln im Krisenfall ermöglichen soll. Was meinen Sie damit?

Nicht nur die Landeskirchen, sondern auch andere Religionsgemeinschaften erbringen Leistungen im gesamtgesellschaftlichen Interesse. Sie sind zum Beispiel in Kontakt mit Menschen in existenziellen Nöten, etwa wenn es um Leben und Tod geht. Es ist wichtig, dass diese Gemeinschaften Beziehungen zu staatlichen Stellen aufbauen können. So können Rat- und Hilfesuchende bei Bedarf an geeignete Stellen
weitervermittelt werden. Hinzu kommen Fragen rund um das friedliche Zusammenleben. Dieses ist keine Selbstverständlichkeit, sondern muss aktiv gepflegt werden. Mit der Religionslandkarte schaffen wir Transparenz und verbessern die Zugänglichkeit zu den Gemeinschaften. Das ist auch ein Beitrag, um Parallelgesellschaften zu verhindern.

Über 90 Prozent der von Ihnen kontaktierten Gruppen haben sich an der Erfassung
beteiligt. Wer sind die übrigen 10 Prozent, und warum wollten diese nicht mitmachen?

Dabei handelt es sich mehrheitlich um christliche Gemeinschaften, die vermutlich keinen Mehrwert in der Zusammenarbeit mit dem Kanton sehen. Insgesamt ist aber die Bereitschaft für den Aufbau von Beziehungen zu den kantonalen Behörden erfreulich gross. Die Gemeinschaften wollen sich nicht verschliessen, sondern erkennen die Chancen einer Vernetzung und signalisieren Zugänglichkeit. Man darf nicht vergessen, dass sie oft mit ganz konkreten Fragen konfrontiert sind, etwa wenn es um den Standort eines Neubaus geht. Der Kontakt zu den Behörden erleichtert die Organisation des Alltags. Der Austausch und der Nutzen sollen beidseitig sein, wie in jeder guten Beziehung.

 

Dieses Interview erschien ursprünglich im Berner Landboten.