Es geht um mehr als den Kredit

von Noah Pilloud 14. September 2024

Fischermätteli Tram oder Bus? Diese Frage stellt sich den Berner Stimmberechtigten am 22. September, wenn es um den Ausführungskredit für die Sanierung der Traminfrastruktur im Fischermätteli geht. Die Frage sorgt bei Politiker*innen und Fachleuten für hitzige Diskussionen. Auch das Quartier scheint uneins.

Vordergründig geht es nur um die Frage, ob ein Streckenabschnitt auf dem Berner Tramnetz erneuert werden soll. Doch diese Frage hat es in sich. Denn das Projekt soll insgesamt 42,6 Millionen Franken kosten, davon soll die Stadt 15,7 Millionen Franken zahlen. Mit der Erneuerung der Tramschienen will die Stadt zahlreiche Aufwertungs- und Sanierungsarbeiten entlang der Strecke vollführen. Und nicht zuletzt geht es bei der Frage auch darum, wie das städtische Tramnetz in Zukunft aussehen soll.

Kein Wunder also, erhitzt die Frage nach dem Fischermättelitram die Gemüter. Die Gleisinfrastruktur soll auf dem Abschnitt zwischen dem Brunnhof und der Endstation Fischermätteli erneuert werden. Dabei sollen aber eben noch weitere Arbeiten entlang der Strecke vorgenommen werden (siehe Infobox).

Für die Befürworter*innen ist es eine notwendige Investition in die Traminfrastruktur und Gelegenheit, das Quartier freundlicher zu gestalten. Die Gegner*innen sehen darin ein überrissenes Megaprojekt, das auf einer zu unsicheren Entscheidungsgrundlage beschlossen wurde.

Die Debatte dreht sich um Fragen der Stadtplanung, der optimalen Linienführung und der Verkehrssicherheit. Entsprechend wurde sie lange Zeit von Politiker*innen und Fachpersonen bestimmt. Doch seit kurzem mischt auch die Quartierbevölkerung in der Diskussion mit.

Ist das die Zukunft? Wenn es nach den Gegner*innen geht, ja. Am Cäcilienplatz fährt für eine kurze Zeit der Bus Nummer 17 durch. (Foto: Lucy Schön)

Ein Quartierlokal wehrt sich

Unmittelbar an der Tramstrecke beim Cäcilienplatz steht die Zar Bar. Mit einem Transparent vor dem Lokal, auf dem «Nein zum Geistertram» zu lesen ist, werben die Betreiber*innen dafür, die Vorlage abzulehnen. «Wir im Quartier wissen, dass das Tram oft nahezu leer fährt», schreibt Sheila Winkler von der Zar Bar auf Nachfrage. Dies werde auch durch die erhobenen Passagierzahlen von Bernmobil gestützt. Die Auslastung der Strecke reiche also bei weitem nicht aus, um den Neubau des Tramtrassees zu rechtfertigen, meint Winkler.

Wir im Quartier wissen, dass das Tram oft nahezu leer fährt.

Ein weiteres Argument gegen das Vorhaben sehen die Betreiber*innen der Bar auch in der Sicherheit für die Velofahrer*innen. Schon heute sei es auf dem Velo teils gefährlich, wenn gleichzeitig ein Tram vorbeifahre. Nach dem Umbau werde das Problem noch grösser. Dass die Situation im Bereich der Pestalozzistrasse für Velofahrer*innen nicht ideal ist und das Projekt keine Verbesserungen bringen wird, das wird denn auch von den Befürworter*innen nicht bestritten. Sie verweisen aber auf die vielen Alternativrouten im Quartier. Sheila Winkler schreibt dazu: «Diese Strecke wird vielleicht weniger von den Velopendlern frequentiert. Aber wir, das Quartier, benutzen diese Strecke!» Es sei der kürzeste Weg in den Denner und ins Coop. Auch viele der Gäste kämen mit dem Velo.

Ein Transparent direkt neben der Zar-Bar. (Foto: Lucy Schön)
Für die Zar-Bar wäre eine Grossbaustelle eine kleinere Katastrophe. (Foto: Lucy Schön)

Für die Zar Bar steht mit dem Projekt vieles auf dem Spiel. Denn die Grossbaustelle direkt vor dem Lokal würde den Betreib stark beeinflussen. In einer Medienmitteilung schreibt die Zar Bar gar davon, während dieser Zeit schliessen zu müssen.

Die Betreiber*innen der Bar werden in ihrem Protest durch Menschen aus dem Quartier unterstützt. Dazu zählen ihre Gäste, aber auch weitere Anwohnende und ÖV-Benutzer*innen. «Viele hängen entlang der Tramlinie unsere Plakate und Transparente auf», schreibt Sheila Winkler. Ausserdem hätten einige bereits Einsprache erhoben.

Was sagt die Quartierkommission?

Das wirkt so, als hätte die Stadt in der Angelegenheit am Quartier vorbei entschieden. Doch so einfach ist es nicht. Auch die Befürworter*innen werben ihrerseits mit der Unterstützung durch das Quartier. So heisst es etwa in der Medienmitteilung des Ja-Komitees: «Die Tramlinie 6 hat eine besondere Bedeutung für das Quartier und wird von den Nutzer*innen sehr geschätzt.»

Auch Stadtteilvertretung QM3 sprach sich mehrmals klar für das Tram und gegen ein Umsteigen auf den Bus ausgesprochen. «Die Einführung einer Buslinie ist aus Sicht der QM3 weder für den Stadtteil 3, und da diese Variante bereits mehrfach geprüft wurde, auch für die Weiterentwicklung des Stadtteils nicht zielführend», hiess es etwa in einer Mitteilung im Juni.

Auch die Befürworter*innen werben ihrerseits mit der Unterstützung durch das Quartier.

Doch ganz so klar und einhellig scheint die Sache auch bei der Stadtteilvertretung nicht zu sein. So schreibt Patrik Krebs von der QM3, die Quartierkommission könne den Unmut aus Teilen der Quartierbevölkerung gut verstehen. Das Thema sei innerhalb der Kommission mehrmals intensiv diskutiert worden. Auch die Argumente Auslastung und Sicherheit für Velofahrer*innen seien nachvollziehbar. «Nach Abwägung der Vor- und Nachteile hat sich die QM3 mehrheitlich, aber nicht einstimmig für den Erhalt des Trams entschieden», schreibt Krebs abschliessend.

Die Kosten- und Umweltfrage

Auch ausserhalb des Quartiers findet eine rege Debatte über das Fischermättelitram statt. In Politik- und Fachkreisen wird bereits seit dem Frühling öffentlich darüber gestritten. Hier sorgen allerdings noch andere Punkte für Diskussionsstoff. So sind die Kosten für die Gegner*innen ein ausschlaggebender Punkt.

Die 42,6 Millionen Franken liessen sich im Vergleich mit den viel geringeren Kosten für den E-Bus nicht rechtfertigen, meint Arpad Boa, Architekt und Stadtplaner: «Beim E-Bus würden keine Neuinvestitionen anfallen. Zudem lägen die jährlichen Betriebskosten der E-Buslösung rund 1,5 Millionen niedriger. Bei den ÖV-Abgeltungskosten an den Kanton könnte die Stadt zusätzlich rund 600 000 Franken jährlich sparen», sagt Boa. Er setzt sich mit der «Arbeitsgruppe Planung Städtebau Mobilität» für ein Nein zum Fischermättelitram ein.

Am Brunnhof soll ein neuer Quartierplatz entstehen. (Foto: Lucy Schön)

Neben den Kosten erachtet Boa das Projekt auch als unökologisch. Die 7’800 Tonnen Stahlbeton führten zu einem enormen Ausstoss von über 4’500 Tonnen klimaschädlichem CO2. Dies seien sofort vermeidbare Emissionen, da für den Busbetrieb keine Baustelle nötig sei.

Hier widerspricht Marieke Kruit, Direktorin für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün (TVS), aber: «Die Behauptung aus der Gegnerschaft, wonach bei einem Verzicht auf die Sanierung des Trams ins Fischermätteli, beziehungsweise die Umstellung auf Busbetrieb keine Baustelle nötig wäre, ist schlicht falsch», schreibt sie auf Anfrage. Der Strassenraum und die Abwasserleitungen müssten mit oder ohne Tram saniert werden und auch die Haltestellen müsste die Stadt so oder so hindernisfrei gestalten.

Bei einem Busprojekt müsste die Stadt für diese Bauarbeiten einen höheren Anteil tragen, so die Gemeinderätin. Und die Einsparungen bei den ÖV-Abgeltungskosten an den Kanton gingen mit einem Abbau im Angebot einher: «Die direkte ÖV-Erschliessung des Loryplatzes von Köniz her – mit der Umsteigemöglichkeit auf die Trams in den Westen – würde wegfallen.»

Die Sache mit dem Ostermundigentram

Die Frage, ob zwischen Brunnhof und Fischermätteli ein Tram oder ein Bus verkehren soll, beschäftigt die Politik schon lange. Bei den Beratungen hat die Kommission für Planung, Verkehr und Stadtgrün (PVS) im Stadtrat die Frage nach dem Bus bereits aufgeworfen. Der Gemeinderat liess dieses Szenario daraufhin prüfen und kam zum Ergebnis, dass eine Erschliessung durch den Bus grundsätzlich möglich wäre.

In der Abstimmungsbotschaft weist der Gemeinderat allerdings darauf hin, dass für den Raum Bahnhof verschiedene Pläne für das Tramnetz bestehen und diverse Abklärungen im Gang sind. Vor diesem Hintergrund sei es nicht angezeigt, eine Traminfrastruktur aufwendig zurückzubauen. Da stellt sich allerdings die Frage, ob mit derselben Begründung nicht erst recht gegen eine aufwendige Sanierung der Traminfrastruktur argumentiert werden könnte. Das sieht zumindest Arpad Boa so: «Sollten wir bei allen offenen Planungen wirklich eine unnötige Schieneninfrastruktur bauen?»

Der Strassenraum und die Abwasserleitungen müssten mit oder ohne Tram saniert werden und auch die Haltestellen müsste die Stadt so oder so hindernisfrei gestalten.

Ja, findet die Gemeinderätin Marieke Kruit, denn im heutigen ÖV-Netz würden die Vorteile einer Tramerschliessung des Fischermätteli gegenüber einer Buslösung überwiegen. Zumindest gelte das für die nächste Generation: «Allfällige grundlegende Änderungen im Berner ÖV-Netz – beispielsweise durch eine zweite Tramachse oder eine Umgestaltung des Stadtraums im Bahnhofsumfeld – haben bis zur Umsetzung eine sehr lange Vorlaufzeit von rund 20 Jahren.» Die Sanierung der Tramgleise sei vor dem Hintergrund dieser zeitlichen Dimension zu betrachten. Es sei nicht sinnvoll, eine Tramlinie rückzubauen, wenn sie möglicherweise auch noch in 20 Jahren benötigt werde.

In diese Überlegungen spielt auch ein weiteres Tramprojekt hinein: Im Jahr 2018 sagte die Stimmbevölkerung des Kantons Bern ja zum Tram nach Ostermundigen. Das beeinflusst die gesamten Pläne auf dem Berner Tramnetz: «Ohne Tramast ins Fischermätteli käme es ab der Einführung des Tram Bern Ostermundigen zu gefährlichen Wendemanövern am Hirschengraben durch von Osten wendende Trams», schreibt Marieke Kruit. Um das zu verhindern benötige es im Osten und im Westen gleich viele Tramäste. Im Westen gehört das Fischermättelitram dazu.

Im Fischermätteli vollführt das Tram ein Wendemanöver. (Foto: Lucy Schön)

Die Arbeitsgruppe Planung Städtebau Mobilität schlägt hier aber eine andere Lösung vor: Der Worbtramast – an dem das Fischermättelitram heute angeschlossen ist – würde mit dem Weissenbühltram verbunden. «Damit entfällt sofort die Wendeschlaufe des Weissenbühltrams am Bahnhof/Hirschengraben, was einen direkten Effekt auf den städtebaulichen Planungsspielraum am Bubenbergplatz hat» führt Boa aus. Grundsätzlich sollten die starken Äste miteinander verbunden und das Tramnetz auf diese Weise gestrafft werden. Somit würden Trams nur dort eingesetzt, wo sie auch wirklich benötigt werden.

«Das von den Gegnern vorgeschlagene alternative Netz sieht nicht nur vor, den Tramast ins Fischermätteli stillzulegen, sondern auch das Ostring-Tram zu kappen», gibt Marieke Kruit zu bedenken. Denn sonst wäre nach Inbetriebnahme des Ostermundigentrams im Osten ein Tramast zuviel. Diesen Tramast ebenfalls aufzugeben, kommt für die Baudirektorin schon deshalb nicht infrage, weil die Strecke zwischen dem Burgernziel und dem Freudenbergplatz erst vor wenigen Jahren saniert worden ist.

Ausgang unklar

Die Frage, ob vom Brunnhof ins Fischermätteli weiterhin ein Tram oder doch ein E-Bus fahren soll, beinhaltet also vieles mehr, als es zuerst den Anschein macht. Dadurch, dass die Stadt mit der Gleissanierung gleich noch Entsiegelungen, Arbeiten an den Haltestellen und die Sanierung der Abwasserleitungen in Angriff nehmen will, stellt sich die Frage, wann und wie diese Arbeiten bei einem Nein angegangen würden.

Für die Befürworter*innen überwiegen klar die Vorteile für ÖV und Stadtklima, die Gegner*innen sehen in der Sanierung unnötige Emissionen.

Und nicht zuletzt hängt die Planung des gesamten Tramnetzes an dieser Frage. Dabei geht es auch darum, wie viele Tramachsen die Stadt Bern in Zukunft haben soll. Und über alledem steht die Frage, ob das alles eine solch aufwendige Baustelle rechtfertigt – auch aus ökologischer Sicht. Für die Befürworter*innen überwiegen hier klar die Vorteile für ÖV und Stadtklima, während die Gegner*innen darin unnötige Emissionen sehen.

Kein Wunder also, wirkt auch das betroffene Quartier nicht einig. Während die Quartierkommission das Projekt offiziell befürwortet, scheinen dieser Haltung lange Diskussionen vorangegangen zu sein. Und aus anderen Teilen der Quartierbevölkerung kommt Widerstand gegen das Tramprojekt auf. Wie viele der Quartierbewohner*innen nun wirklich hinter dem Tram stehen und wie viele dagegen sind, lässt sich schwer sagen. Wie es in der Stadt aussieht, wird sich wohl erst am Abstimmungssonntag zeigen.