«Es droht ein erheblicher Verlust an kultureller Vielfalt»

von Nicolas Eggen 6. März 2025

Kulturpolitik Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) kündigt ab 2029 ihre strategischen Partnerschaften mit Schweizer Kulturinstitutionen. Davon betroffen sind unter anderen zwei Organisationen, die im PROGR in Bern beheimatet sind. Welche Auswirkungen haben die Kürzungen?

Die DEZA stellt ihre langjährige Zusammenarbeit mit Schweizer Kulturinstitutionen per Ende 2028 komplett ein. Bereits ab diesem Jahr reduziert sie ihre Kulturförderung von jährlich 3,7 Millionen auf 2 Millionen Franken. Die verbleibenden 2 Millionen werden im Zuge der Kürzungen bis 2029 ganz aus dem Budget gestrichen.

Zu den Betroffenen zählen renommierte Kulturinstitutionen wie das Locarno Film Festival (Open Doors), das Festival International du Film de Fribourg und die Internationalen Kurzfilmtage Winterthur, um nur einige zu nennen.

Mit den Geldern des Fonds werden Reise-, Visa-, und Aufenthaltskosten der Künstler*innen übernommen.

Durch den jüngsten Parlamentsentscheid würden die langjährig aufgebauten Förder-Netzwerke ohne Vorwarnungen zerstört und viele Organisationen immens unter Druck geraten, halten die zwölf Institutionen in einer gemeinsamen Medienmitteilung fest. Sie kritisieren die Kürzungen und warnen:  «Die Konsequenzen, die sich durch die verhältnismässig kleinen Einsparungen ergeben, sind schwerwiegend.»

Artlink in doppelter Weise betroffen

Unter den zwölf betroffenen Institutionen ist auch der Verein Artlink mit Sitz im PROGR in Bern. Seit mehr als 40 Jahren unterstützt Artlink Kulturschaffende aus Afrika, Lateinamerika, Asien und Osteuropa. «Zum einen unterstützen wir Künstler*innen direkt in den betroffenen Ländern. Aber auch Künstlerinnen, die in die Schweiz geflüchtet oder migriert sind. Wir unterstützen, indem wir ihnen den Zugang zur Schweizer Kulturszene erleichtern», erklärt Geschäftsleiterin Rahel Leupin auf Anfrage von Journal B.

Artlink betreibt verschiedene Impulsprojekte in den Bereichen Literatur, Musik, Theater, Film und Kunst. Ein Beispiel ist das Projekt «Weiter Schreiben Schweiz». Es verbindet etablierte Autor*innen in der Schweiz mit kürzlich hierher geflüchteten Autor*innen. «Die Kürzungen gefährden die Existenz von Artlink und haben gravierende Auswirkungen», sagt Leupin.

Das Artlink-Team (von links): Roberto Haçaturyan, Matthias Dellsperger, Rahel Leupin, Markus Baumann, Anastasia Alexandrova. Unten: Malaya del Rosario, Virginia Kargachin. (Foto Marco Frauchiger)

Denn Artlink ist von den Kürzungen gleich in doppelter Weise betroffen. Einerseits erhält Artlink eine jährliche Programmförderung von der DEZA, die 35 % des Budgets von Artlink ausmacht. Im letzten Jahr waren das 320‘000 Franken. Andererseits verwaltet Artlink seit 2010 den Südkulturfonds, der jährlich hunderte Kulturveranstaltungen, -festivals und -projekte mit insgesamt 720’000 Franken unterstützt. «Mit den Geldern des Fonds werden Reise-, Visa-, und Aufenthaltskosten der Künstler*innen übernommen. Wir vernetzen die Künstler*innen mit den Veranstaltern, damit die Künstler*innen aus dem globalen Süden hier auftreten können», führt Leupin aus. Auch mit dem Fonds ist wegen den DEZA-Kürzungen ab 2029 Schluss.

Von der Förderung würden nicht nur die Künstler*innen profitieren sondern auch die Schweizer Kulturszene: «Die Künstler*innen gewinnen internationale Sichtbarkeit und ein Teil ihres Honorars fliesst direkt in die lokalen Kulturszenen zurück. Dies trägt zur Entwicklung der Länder vor Ort bei. Gleichzeitig profitieren die Schweizer Steuerzahler*innen von einem vielfältigen, internationalen Kulturangebot, das nun mit den Kürzungen gefährdet ist.»

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In der Schweiz gibt es gemäss Leupin kaum vergleichbare Fördermöglichkeiten für Projekte an der Schnittstelle zwischen Kultur und Entwicklungszusammenarbeit. Sie warnt: «Mit dem Rückzug der DEZA droht ein erheblicher Verlust an kultureller Vielfalt.»

Bee-flat hätte «grosse Lücken» im Programm

Ein Blick auf die Berner Kulturinstitutionen, die vom Südkulturfonds profitieren, zeigt wie weitreichend die Auswirkungen der Kürzungen schon nur auf die hiesige Kulturlandschaft sein könnten. Leupin zählt auf: «Bee-flat, Schlachthaus Theater, Dampfzentrale, Jazzwerkstatt, Norient Festival, Kunsthalle Bern, Bone Performance Festival und das Kosovo Film Festival. Das sind alles Berner Kulturinstitutionen die vom Südkulturfonds profitieren.» Ohne den Fonds könnten diese Institutionen kein so diverses Kulturangebot präsentieren, wie das heute der Fall ist.

Bei der Konzertreihe Bee-flat würde sich ohne den Südkulturfonds eine «grosse Lücke» im Programm wiederfinden, sagt Lea Heimann, die bei Bee-flat fürs Booking zuständig ist. In dieser Saison allein wären Konzerte von Abdullah Miniawy (Ägypten), Mulatu Astatke (Äthiopien), Meridian Brothers (Kolumbien), Kin`Gongolo Kiniata (Kongo), Dobet Gnahoré (Elfenbeinküste), La Muchacha  (Kolumbien), Sarah Halgan (Somaliland), Zawose Queens (Tansania) und Dakhabrakha (Ukraine) nicht möglich. «Diese Konzerte haben mit dem Entscheid des DEZA in unserem Programm keine Chance mehr, gehört und gesehen zu werden, zu hoch sind für uns mit einem Eigenfinanzierungsgrad von rund 50% die Kosten für diese Produktionen», sagt Heimann.

Ana Sobral und Shukri Al Rayyan an der Vernissage von Al Rayyans Roman «Nacht in Damaskus» im Schloss Burgdorf im Juni 2024. (Foto: Talal Doukmak)

Der so erreichte kulturelle Austausch sei für die derzeitigen globalen Herausforderungen enorm wichtig, er helfe eine gemeinsame Sprache abseits von Polemik zu finden. «Das Ende des Südkulturfonds ist eine Absage an die kulturelle Vielfalt in der Schweiz», so Heimann. Mit diesem Schachzug würde das kulturelle Feld noch mehr in Richtung Mainstream gehen und den grossen Playern wie Live Nation und Eventim würde sich eine perfekte Plattform bieten, um sich auch ungehindert in der Schweiz auszubreiten.

«Gerade für uns mittelgrosse Veranstaltungsorte, die sich nicht nur dem Mainstream widmen, ist diese Entwicklung eine grosse Bedrohung», sagt Heimann. Es gehe schlussendlich um die Frage, wie divers die Kulturlandschaft in der Schweiz in den nächsten Jahren aussehen solle. Mit dem historischen Entscheid des DEZA verzichte die Schweiz auf Nächstenliebe, Moral und soziale Verantwortung.

Angriff auf Kultur und Entwicklung

Gemäss Leupin von Artlink muss die Schweiz die Kultur und die Entwicklungshilfe als Teil ihrer Aussenpolitik wahrnehmen. In Krisenzeiten würden immer zuerst bei der Internationalen Zusammenarbeit und der Kultur die Gelder gestrichen, obwohl diese in Krisenzeiten doch besonders wichtig wären. «Das ist für mich Absurd», sagt Leupin.

Was ihr bei den Kürzungen besonders zu denken gibt: Die DEZA hat die Finanzierung alternativlos, also ohne Nachfolgelösung gestrichen. Für verhältnismässig wenig Geld werden über Jahrzehnte aufgebaute Netzwerke plötzlich komplett in Frage gestellt. «Wer soll da jetzt einspringen?», fragt Leupin.

Mit unseren Programmen und Förderangeboten leisten wir einen relevanten Beitrag an die Debatte rundum Migration, Integration und Kultur.

Wie es für Artlink und den Südkulturfonds ab 2029 weitergehen soll, ist noch unklar. «Wir prüfen aktuell verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten und Andockungspunkte. Mit unseren Programmen und Förderangeboten leisten wir einen relevanten Beitrag an die Debatte rundum Migration, Integration und Kultur. Wir sind zuversichtlich, dass sich neue Optionen auftun werden», sagt Leupin.

Wichtig sei es auch, geschlossen aufzutreten, also alle Interessensgruppen zu mobilisieren. Dazu gehören auch die Südkulturfonds-Veranstalter, die direkt von den Kürzungen betroffen sind. Es sei auch wichtig Diskussionsräume zu öffnen und für Kulturförderung im Allgemeinen in der Politik zu lobbyieren.

Für Leupin ist klar, dass zumindest der Südkulturfonds auf irgendeine Art und Weise weitergeführt werden muss: «Die vielen Veranstalter, die vom Fonds profitieren, zeigen, dass es ein grosses Bedürfnis für den Südkulturfonds gibt.»