«Es braucht uns, weil die Armut in der Schweiz zunimmt.»

von RaBe Info 20. April 2023

Das Strassenmagazin «Surprise» wird heute 25 Jahre alt. Der Geburtstag bringt nicht nur Freude: Der Verein beschäftigt so viele Verkäufer*innen wie schon lange nicht mehr. Ein Treffen mit Verkäuferin Lisbeth am Bahnhof Bern.

Das Surprise ist das grösste Strassenmagazin der Deutschschweiz und wird heute 25 Jahre alt. Insgesamt 500 Personen verkaufen das Magazin an Schweizer Bahnhöfen oder auf der Strasse und bessern sich so ihren Lebensunterhalt auf. Eine von ihnen ist Lisbeth. Ich treffe sie am Bahnhof in Bern. Seit einer Stunde verkauft sie hier das Strassenmagazin. Das Geschäft läuft heute nicht besonders gut, bisher hat sie erst ein Surprise verkauft. «Es ist etwas langweilig heute, viele sind in den Ferien», meint Lisbeth. Ein Heft kostet sechs Franken – die Hälfte davon, also drei Franken, gehen direkt an die Verkäuferin:innen. Das ist so im Arbeitsvertrag geregelt, den der Verein mit den Verkäufer*innen abschliesst.

Am 20. April 1998, also vor genau 25 Jahren, wurde in Basel der Verein Surprise ins Handelsregister eingetragen. Das Surprise schaut auf eine bewegte Geschichte zurück: 2006 geriet der Verein in eine finanzielle Notlage, man bangte um die Zukunft des Projekts. Vor zehn Jahren wurde dann der Verkauf von Surprise an Bahnhöfen verboten. Das Verbot wurde später aufgehoben, doch brachte es den Verein zeitweise ins Wanken. Die Corona-Pandemie brachte den Verein abermals an seine Grenzen, da durch den Lockdown der Strassenverkauf während fast drei Monaten verunmöglicht wurde. «Wir finden immer wieder Lösungen, wie wir aufstehen und weitermachen können – dafür bin ich extrem dankbar», so Jannice Vierkötter, Co-Geschäftsleiterin des Vereins Surprise.

Eine Warteliste muss geführt werden, weil die Nachfrage so hoch ist.

Der Verein beschäftigt so viele Verkäufer*innen wie schon lange nicht mehr.
25 Jahre bewegte Vereinsgeschichte – für Jannis Vierkötter aber nicht nur ein Grund zur Freude. «Es braucht uns, weil die Armut in der Schweiz zunimmt.» Dass die Armut zunimmt, merke man beim Surprise tagtäglich: Der Verein beschäftigt so viele Verkäufer*innen wie schon lange nicht mehr. Eine Warteliste muss geführt werden, weil die Nachfrage so hoch ist. Die Armut nimmt zu, die Ressourcen der sozialen Organisationen sind aber begrenzt. Die Realität ist für armutsbetroffene Menschen also hart, auch im drittreichsten Land der Welt.

Seit 25 Jahren unterstützt das Surprise nun armutsbetroffene Menschen. Lisbeth ist selbst schon seit 24 Jahren dabei, sie ist eine der dienstältesten Verkäufer*innen. Ans Aufhören denkt sie nicht – noch mache ihr die Arbeit Spass. Ein Wunsch bleibt ihr aber: «Wenn man Zug fährt, könnte man statt der 20 Minuten auch mal ein Surprise lesen, oder?»

Beitrag und Text von Sarah Heinzmann von Rabe-Info